Warum eine Infektion keinen Schutz vor späterer Ansteckung garantiert
Wer darauf spekuliert, sich jetzt zu infizieren, um damit im Herbst nicht mehr betroffen zu sein, setzt sich nicht nur einem hohen Risiko aus: Denn eine Garantie, damit infektionslos durch den Herbst zu kommen gibt es nicht, ganz im Gegenteil.
"Wenn man die Infektionen weiter nach hinten schiebt durch sehr konservative Maßnahmen (wie Maskentragen, Anm.), dann hat man halt weiter hinten im Winter, wo der Infektionsdruck und die Infektionswahrscheinlichkeit größer ist, noch mehr Fälle", sagte kürzlich der deutsche Epidemiologe Klaus Stöhr.
Die Virologin Judith Aberle von der MedUni Wien sieht das anders: "Eine Infektion jetzt ist keine Garantie, dass es im Herbst nicht wieder zu einer Ansteckung kommt. Wir wissen nicht, welche Varianten im Herbst zirkulieren und ob vorangegangene Infektionen überhaupt einen Schutz bieten werden." Auch innerhalb der Omikron-Subvarianten habe man schon bisher gesehen, dass eine Infektion etwa mit BA.1 keinen ausreichenden Schutz vor BA.4 und BA.5 biete, man sich also neuerlich mit einer anderen Omikron-Subvariante infizieren könne.
Keine anhaltende Immunität
Hinzu komme noch, dass Omikron-Infektionen vielfach keine anhaltende Immunität bringen: "Personen, die vor ihren drei Impfungen eine Infektion mit dem Ursprungsvirus hatten, haben bei einer Folgeinfektion mit Omikron nach den Impfungen stark abgeschwächte neutralisierende Omikron-Antikörper im Vergleich zu Geimpften, die zuvor keine Infektion hatten." Es sei also nicht immer garantiert, dass eine hybride Immunität (Impfungen plus Infektion) den besten Schutz biete.
Eine lang anhaltende Immunität sei auch deshalb nicht sehr wahrscheinlich, weil sich das Virus weiterentwickle: "Neue Varianten oder Subvarianten sammeln Mutationen an jenen Stellen des Virus an, die dazu führen, dass die gegen frühere Varianten gebildeten Antikörper die neue Variante nicht mehr so gut erkennen und damit wieder Neuinfektionen möglich werden."
Aberle betont auch, dass man überhaupt nicht davon ausgehen könne, dass je mehr Infektionen man hinter sich bringe, umso milder deren Verlauf werde. „Neuerliche Infektionen nach einer ersten Corona-Infektion sind nicht harmlos“, sagt Aberle. Eine US-Studie unter US-Veteranen zeige, dass das kumulierte Risiko für Krankenhausaufenthalte, Folgeerkrankungen und Todesfälle bei zwei oder mehr Infektionen höher war als bei der Erstinfektion. „Jede zusätzliche Infektion birgt das Risiko für weitere Krankenhausaufenthalte.“ Der Großteil der untersuchten Personen hatten zwar nur eine oder zwei Impfungen: "Aber das trifft ja auch auf viele Menschen bei uns zu. Und ob ein solches erhöhtes Risiko nach drei Impfungen auszuschließen ist, können wir auch noch nicht sagen."
Erste Hinweise gebe es auch, dass die derzeit zirkulierenden Varianten BA.4 und BA.5 möglicherweise doch etwas schwerere Krankheitsverläufe als BA.2. verursachen. So steige derzeit etwa in Israel die Zahl der Intensivpatienten wieder an. "Es ist noch nicht klar, ob BA.4/BA.5 zu schwereren Erkrankungen im Vergleich zu BA.2 führen. Aber aus Frankreich gibt es Daten, die auf eine etwas stärkere Beteiligung der Lunge und auch mehr neurologische Symptome hindeuten. Alleine das ist ein Grund, vorsichtig zu sein", betont die Virologin.
Gleichzeitig lasse bei vielen Menschen die Immunität durch Impfungen und Infektionen aufgrund des zeitlichen Abstands nach, vielen fehle auch ein ausreichender Impfschutz. "Und wir haben auch viele vulnerable Menschen, die bei starken Infektionswellen gefährdet sind, ebenso wie Kleinkinder, die noch nicht geimpft werden können.“ Deshalb sollte man weiterhin versuchen, Infektionen zu vermeiden, seinen Impfschutz vervollständigen und Masken tragen.
"Mein Eindruck ist, dass manche Menschen die Aussage von Experten, wir werden uns früher oder später mit Corona infizieren, falsch interpretieren", sagt Aberle: "Es wird - auch bei größter Vorsicht und vollständigem Impfschutz - im Laufe eines Lebens zu Infektionen kommen können. Aber das heißt nicht, dass man jetzt keine Vorsicht walten lassen soll. Aus meiner Sicht ist es besser, Infektionen so gut es geht zu vermeiden."
Man könne Corona auch nicht mit Influenza vergleichen: „Die ist komplett anders. Influenza führt zu keinen chronischen Erkrankungen und eine Welle dauert acht bis zwölf Wochen, Corona aber hält sich, wie wir sehen, nicht an Saisonen und verursacht zahlreiche Folgeerkrankungen.“
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