Maßnahme gegen Ärztemangel: Wenn die Ordination per Bus anrollt

12,7 Meter ist der Gesundheitsbus lang – genug Platz für zwei Behandlungsräume, ein Labor und den Wartebereich.
In Hessen fährt ein "Medibus" regelmäßig Orte an, in denen es keinen Arzt mehr gibt. Jetzt wurde das Konzept in Österreich präsentiert. Krankenkasse und Ärztekammer sind aber zurückhaltend.

Um 8.30 Uhr ist Ordinationsbeginn im "Medibus" – heute, Dienstag, in Weißenborn, der kleinsten eigenständigen Gemeinde in Hessen.

Jeden Dienstag am Vormittag und jeden Donnerstag am Nachmittag hält der Medibus, die mobile Hausarztpraxis, in diesem Ort in Deutschland. An Bord sind ein Arzt, zwei Ordinationsassistentinnen und der Busfahrer. Dieser Tage wurde ein solcher "Gesundheitsbus" nun erstmals in Österreich präsentiert.

Maßnahme gegen Ärztemangel: Wenn die Ordination per Bus anrollt

Der Empfangsbereich mit dem Platz für eine Ordinationsassistentin oder einen Ordinationsassistenten.

Gleich nach dem Einstieg bei der vorderen Tür ist der Wartebereich mit einem Platz für einen Ordi-Assistenten, ein erster Behandlungsraum (etwa zur Blutabnahme) mit einer Liege folgt. Im Labor des Busses können wichtige Blutwerte bestimmt werden, darunter der Gerinnungsstatus von Personen, die Blutverdünnungsmittel einnehmen müssen. Auch ein Lungenfunktionsmessgerät und ein Ultraschall sind verfügbar. Medikamente und Blutproben werden in mehreren Kühlgeräten gelagert. Für Impfstoffe gibt es ein Gefriergerät mit einem Temperaturbereich bis minus 40 Grad. Am Ende des Busses befindet sich das Arztzimmer, ebenfalls mit Liegemöglichkeit.

Modellprojekt

16 Solarpaneele am Dach machen den Bus für mehrere Stunden energieautark, sollte das nicht reichen und kein Stromanschluss möglich sein, schaltet sich ein Dieselaggregat zu.

Maßnahme gegen Ärztemangel: Wenn die Ordination per Bus anrollt

Der erste Behandlungsraum, hier werden u.a. kleine Eingriffe und Blutabnahmen durchgeführt.

"Wir haben im ländlichen Bereich einen Ärztemangel und große Versorgungsprobleme", sagt Alexander Kowalski von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. "Deshalb haben wir 2018 den Medibus zunächst als zweijähriges Modellprojekt gestartet. Weil es so gut funktioniert hat, wurde das Projekt mit Unterstützung des hessischen Sozialministeriums um drei Jahre verlängert." Angefahren werden Orte, in denen es gar keinen Arzt mehr gibt – je einer am Vormittag und am Nachmittag: "Gerade für sehr alte Menschen sind Telemedizin und auch Fahrten von 25, 30 Kilometern zum nächsten Arzt keine Alternative." Der Bus sei kein Ersatz für den Hausarzt, sondern bei Versorgungsengpässen nur eine Ergänzung.

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Kühlgeräte für Blutproben, Medikamente und Impfstoffe.

Die Deutschen Bahn (DB Regio) stellt den Bus, die IT-Infrastruktur kommt vom Technologieunternehmen Cis- co. Darunter ist auch eine Videokonferenz-Anlage mit der Dolmetsch-Software der Wiener Firma Savd: "Damit kann innerhalb von 15 Sekunden ein zertifizierter Dolmetscher für eine von 27 Sprachen zugeschaltet werden", sagt Peter Schuller von Cisco. "Auch Fachärzte können per Video konsultiert werden."

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Cisco-Experte Peter Schuller im Arzt-Zimmer mit einer Patientenliege und einem Videokonferenz-System. Hier können Dolmetscher, aber auch Fachärzte zugeschaltet werden.

"In Deutschland sind bereits mehrere dieser Busse unterwegs, wir wollen dieses Konzept jetzt auch nach Österreich bringen", sagt Schuller: Gerade in ländlichen Regionen würden immer mehr Kassenärzte fehlen. "Wir führen auch schon Gespräche mit möglichen Partnern."

Bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sieht man derzeit "keine solchen eklatanten Versorgungsengpässe", die einen derartigen Bus notwendig machen, sagt Sprecherin Marie-Theres Egyed: "Eine mobile Lösung käme nur infrage, wenn es sonst nicht mehr gelingt, die Versorgungslücken zu schließen." Im Fachbereich Allgemeinmedizin seien am Land 98,4 Prozent der Stellen besetzt (städtischer Bereich: 98 Prozent). Man wolle verstärkt jüngere Medizinerinnen und Mediziner ansprechen, sich als Allgemeinmediziner niederzulassen. "Hier bieten wir flexible Kassenmodelle an – etwa das Teilen einer Stelle, das Arbeiten als angestellter Arzt oder Teamwork in einem Primärversorgungszentrum."

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Busfahrer Gert Neumayer zeigt die Batterien (blau) und die Technik der Solaranlage auf dem Dach des Busses.

Der Tiroler Allgemeinmediziner Peter Wutscher sieht die Versorgungslage zwar kritischer: "Die 98 Prozent Abdeckung kann ich nicht nachvollziehen", sagt der Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der Österr. Ärztekammer: "Es sind deutlich mehr Stellen nicht besetzt. Es nützt auch Menschen in einem hinteren Gebirgstal nichts, ihnen zu sagen, die Versorgung sei grundsätzlich eh gut, wenn ihr nächster Arzt 40 Kilometer entfernt ist."

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Noch gibt es keinen Einsatz für den Gesundheitsbus in Österreich. In Deutschland sind bereits einige "Medibusse", wie sie dort genannt werden, unterwegs.

Trotzdem ist auch für Wutscher ein solcher Bus nur die allerletzte Lösung. "Die Versorgung von Notfällen, von bettlägrigen Patienten, das kann damit nicht gewährleistet werden. Vielmehr muss uns gelingen, durch neue Zusammenarbeitsformen eine allgemeinmedizinische Praxis für Junge attraktiver zu machen."

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