Krebspatienten: Deutlich mehr Durchbruchsinfektionen mit Omikron
Auch wenn die Corona-Maßnahmen nach und nach gelockert werden: Viele Risikopersonen müssen sich weiterhin schützen. Das zeigen jetzt auch die Ergebnisse einer neue Studie aus Österreich. Diese legen nahe, dass Krebspatienten persönliche Schutzmaßnahmen wie Maske tragen in Innenräumen mit vielen Personen generell weiterhin aufrecht erhalten sollten, wie der Onkologe Matthias Preusser von der MedUni Wien, einer der Autoren, betont.
Bisherige Studien zeigten bei den meisten Krebspatienten nach der dritten Teilimpfung einen deutlichen Anstieg der Antikörperspiegel gegen das Spike-Protein des Virus – schlecht war das Ansprechen auf die Impfung nur bei bestimmten Formen von Leukämien oder Lymphomen, bei denen B-Zellen bösartig geworden sind – und deshalb medikamentös gehemmt werden. Das sind die Zellen, die Antikörper gegen Covid-19 bilden. Von derartigen Therapien sind rund 10 bis 15 Prozent aller Krebspatienten betroffen. Doch die neue Studie kommt zu differenzierteren Ergebnissen.
Diese große Studie mit Daten zu knapp 4.000 Krebspatientinnen und -patienten (85 % hatten zumindest eine Teilimpfung) aus dem Zeitraum Februar 2020 bis Februar 2022 ergab: „Bei der Omikron-Variante kam es bei allen Gruppen von Krebspatienten zu deutlich mehr Durchbruchsinfektionen im Vergleich zur Delta-Variante“, sagt Preusser, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Wien. „Das hatten wir so nicht erwartet.“
Die Studie wurde von mehreren MedUni-Abteilungen gemeinsam mit den Unis in Salzburg und Klagenfurt sowie dem Krankenhaus Franz Tappeiner in Meran durchgeführt. Sie ist im Fachjournal Cancer Cell erschienen, einem der renommiertesten Journale im Bereich der Krebsforschung.
Die Ergebnisse im Detail
Die Studie erbrachte zwei zentrale Erkenntnisse:
- Über alle Patientinnen und Patienten hinweg war das Risiko einer Durchbruchsinfektion bei Omikron mehr als drei Mal so hoch im Vergleich zu Delta. Insgesamt hatten 24 Prozent (950) in den zwei untersuchten Jahren eine SARS-CoV-2-Infektion.
- Innerhalb der gesamten Patientengruppe war bei jenen, die sich gerade in einer aktiven Krebstherapie befanden (z. B. Chemotherapie, Immuntherapie) das Risiko einer Durchbruchsinfektion vier Mal so hoch wie bei Patienten ohne laufende Therapie.
Die Wissenschafter sind auch möglichen Ursachen auf den Grund gegangen:
„Bisher hat man sich zumeist nur die Impfantikörper gegen das gesamte Oberflächeneiweiß (Spike-Protein) der einzelnen Virus-Varianten angesehen. Wir haben jetzt aber mit neuen Methoden speziell jene Antikörper gemessen, die ganz spezifisch jene Stelle des Spike-Proteins erkennen und an diese binden, mit der das Virus an menschliche Zellen andockt.“ Dabei handelt es sich um die sogenannte Rezeptorbindungsdomäne (RBD). Je mehr speziell von diesen Antikörpern vorhanden sind, umso stärker wird das Eindringen des Virus in die Zellen behindert.
Gegen die Omikron-Variante waren die Spiegel dieser Antikörper allerdings am niedrigsten. Preusser: „Aber nicht nur Leukämie- oder Lymphom-Patienten unter einer Therapie gegen antikörperproduzierende B-Zellen hatten hier schlechte Werte im Vergleich zu Gesunden, sondern auch alle anderen Patienten unter laufender Krebstherapie. Also auch jene mit „soliden Tumoren“ wie etwa Darm- oder Brustkrebs. Das hat uns dann doch ziemlich erstaunt. Das bedeutet, dass viel mehr Patienten als bisher gedacht von derart schlechten Werten bei diesen ganz spezifischen und wichtigen Antikörpern betroffen sind.“
"Omikron-Hemmung stark reduziert"
Die Hemmung der Omikron-Variante durch diese spezifischen Impfantikörper „war damit bei allen Krebspatienten im Vergleich mit gesunden Personen stark reduziert – und das ganz besonders stark während einer Krebstherapie“.
Offenbar sei es die Kombination aus Krebserkrankung bzw. Krebstherapie und Omikron, die zu dieser schlechteren Immunantwort führt: „Die Omikron-Variante kann den Impfschutz etwas besser umgehen als Delta oder die Ursprungsvariante. Und viele Krebstherapien greifen in das Immunsystem ein und dämpfen es – ebenso wie Krebserkrankungen an sich. Alles zusammen hat dann diesen Effekt auf die Bildung dieser spezifischen Antikörper.“
Untersucht wurde auch die Schwere der Krankheitsverläufe bei den infizierten Krebspatienten – hier gibt es eine gute Nachricht: „Die Infektionen sind in der Regel mild verlaufen, nur neun Prozent der Betroffenen mussten auf eine Intensivstation“, sagt Preusser.
Unterschiede gab es in der Dauer des Spitalsaufenthalts wegen einer SARS-CoV-2-Infektion: Bei Geimpften betrug dieser im Schnitt 9 Tage, bei Ungeimpften 15 Tage.
„Aber selbst wenn die Krebspatienten aus dieser Studie meist nicht schwer erkrankten, sollten Infektionen möglichst vermieden werden“, betont der Onkologe: „Denn erstens sind schwere Verläufe nicht auszuschließen. Aber es fallen auch bei einer leichteren Erkrankung oft für einen längeren Zeitraum Krebstherapien aus und verzögern sich. Und das sollte vermieden werden.“
„Die Ergebnisse der Studie zeigen jedenfalls, dass es wichtig ist, dass Krebspatienten in gewissen Bereichen weiterhin Maske tragen und generell vorsichtig sind, sagt Preusser. „Unabhängig von den gesetzlichen Regelungen ist es für sie auf jeden Fall empfehlenswert, in Supermärkten, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Theatern weiterhin die Maske nicht abzulegen und auch auf Abstand und Händehygiene weiterhin zu achten.“
Wichtig wäre auch die Entwicklung von adaptierten Impfstoffen, die zum Beispiel ganz gezielt die Bildung von Antikörpern auslösen, die an diese Andockstelle des Virus – die Rezeptorbindungsdomäne – binden und somit das Eindringen des Virus in die Zellen besser verhindern.
Was Medikamente zur Verhinderung eines schweren Verlaufs betrifft – monoklonale Antikörper oder antiviral wirkende Tabletten – gebe es das Problem, dass deren Wirkung bei Krebspatienten schlecht untersucht ist: „In die Zulassungsstudien sind diese in der Regel nicht eingeschlossen oder sie sind nur in kleinerer Zahl dabei, aber spezifische Studien zu Krebspatienten gibt es nicht. Wir setzen die Präparate zwar alle ein, eine Garantie, dass sie einen schweren Verlauf verhindern, sind sie aber auch nicht.“
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