Kinder könnten gefährdeter sein: Die Tücken der neuen SARS-CoV-2-Mutation
Seit SARS-CoV-2 in Europa aufgetreten ist, blicken viele bei jeder neuen Verunsicherung gespannt auf den Twitter-Account des renommierten Virologen Christian Drosten. Dort teilte der Coronavirus-Experte von der Berliner Charité Montagabend die jüngsten Daten zur britischen Corona-Mutante – und schrieb: "Das sieht leider nicht gut aus."
Demnach hätten sich erste Vermutungen, die neue Virus-Variante könnte deutlich ansteckender als frühere sein, bestätigt.
Dem pflichtet Virologe Andreas Bergthaler vom Zentrum für Molekulare Medizin in Wien bei: "Der anfängliche Verdacht hat sich nun in Analysen der britischen Gesundheitsbehörde erhärtet." Theoretisch könne es allerdings nach wie vor auch andere Gründe geben, warum sich die Variante derart explosionsartig verbreitet hat: "Beispielsweise ein Superspreading-Event".
Wandlungsfähig
Dass ein Virus mutiert, ist per se nichts Ungewöhnliches. "Gerade Coronaviren sind prädestiniert dafür", sagt Virologe Christoph Steininger von der MedUni Wien. Das bestätigt sein Kollege Lukas Weseslindtner, Leiter des Labors für Antikörperdiagnostik am Zentrum für Virologie: "Seit wir SARS-CoV-2 wissenschaftlich verfolgen, wurden immer wieder genetische Veränderungen festgestellt." Die zentrale Frage sei, ob eine Mutation auch zu einer biologischen Änderung des Virus führt.
Das scheint im Fall von B.1.1.7, so der Name der neuen Viruslinie, passiert zu sein. Ausschlaggebend sind die Regionen im Virus-Genom, in der Mutationen auftreten. "Die neue Variante ist insofern ungewöhnlich, als sie durch insgesamt 23 Mutationen charakterisiert ist und damit besonders viele Veränderungen aufweist", sagt Bergthaler. Rund die Hälfte betreffen das Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus, über das es an Zielzellen bindet. "Veränderungen an genau diesem Teil der Virusoberfläche können dazu führen, dass das Virus infektiöser wird und sich schneller ausbreitet."
Der mutierte Stamm könnte Kinder leichter infizieren, warnen britische Epidemiologen vom Imperial College London. Das würden Daten zu Infektionen im Südosten Englands nahelegen. "Es ist schwierig, für solche epidemiologischen Beobachtungen Beweise zu erbringen", meint Bergthaler. "Die Infektionszahlen sind wohl auch noch nicht hoch genug, um hier Schlüsse ziehen zu können."
Theorien zur Entstehung
Viele Mutationen passieren im Organismus immungeschwächter Menschen. Weil die Immunantwort nicht gut genug aufgebaut wird, kann das Virus über einen langen Zeitraum zirkulieren, ohne, dass es eingedämmt wird. "Dann hat es die Möglichkeit, über Wochen oder Monate Mutationen anzusammeln", sagt Bergthaler. Auch Medikamente, die gezielt zur Virusbekämpfung verabreicht werden, "könnten den Erreger dazu bringen, Versuche zu starten, um der Wirkung mit Mutationen zu entkommen". Denkbar sei auch ein bisher unbekannter tierischer Zwischenwirt als Reservoir.
Aus der Perspektive des verbreitungswilligen Coronavirus ist die neue Variante zweifelsfrei geglückt. Wobei mehr Zufall als clevere Strategie dahintersteckt. "Viren mutieren nicht in intelligenter Weise. Sie verändern ihre genetische Information beim Vervielfältigen rein zufällig", sagt Steininger. Durch viele Veränderungen eliminiert sich das Virus selbst. Übrig blieben die überlebensfähigsten Varianten, die dem Virus einen Vorteil verschaffen.
"Mutationen, die sich stabilisieren, müssen einen Selektionsvorteil für den Erreger haben. Trifft das auf eine Mutation zu, sichert das ihren Fortbestand", fügt Weseslindtner hinzu. Sie entstehen also zufällig, "das Konservieren folgt aber einem gewissen Prinzip".
Kontrollierbar
Darauf, dass B.1.1.7 aggressiver wäre, also häufiger schwere Verläufe nach sich zieht, weist bisher wenig hin. "Die größere Thematik wird sein, ob die Veränderung des Virus eine verminderte Wirksamkeit des Impfstoffes bedingt", sagt Steininger. Laut derzeitigen Daten dürften entwickelte Impfungen wirksam sein. Davon geht auch BioNTech-Chef Ugur Sahin aus.
Manchmal sind sehr infektiöse Erreger weniger pathogen für seinen Wirt. Steininger: "Das ist nur eine Orientierungshilfe und nicht immer anwendbar. Das hat man etwa beim Ebola-Erreger gesehen. Hier ist die Erkrankung so aggressiv, dass nicht so viele infiziert werden, weil die Krankheit so rasch und schwer verläuft, dass die Infektion nicht weitergegeben werden kann."
Ob es B.1.1.7 bis nach Österreich schaffen wird, ist laut Steininger derzeit schwierig abzuschätzen: "Bisher gibt es keinen Hinweis, dass es in Österreich angekommen wäre. Es gibt aber ein Überwachungssystem der Medizinischen Universität Wien, wo immer wieder die Mutationen von in Österreich zirkulierenden Stämmen untersucht werden."
Die gute Nachricht: Derzeit gilt der Nachweis von B.1.1.7 durch etablierte Corona-Testverfahren als gesichert. Steininger: "Wenn es noch zu weiteren Veränderungen der Genetik des Virus kommt, kann es sein, dass PCR-Tests den Nachweis nicht mehr ermöglichen. In diesem Fall würden die Hersteller aber rasch reagieren und die Tests anpassen. Das wäre kein großer Aufwand."
Laut Drosten positiv: Die Verbreitung der neuen Variante ist nur in Regionen mit sehr hohem Infektionsgeschehen aufgetreten. Das Reduzieren von Kontakten wirke "also auch gegen die Verbreitung der Mutante".
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