Christina Nicolodi, Virologin:
Brauchen wir die Impfpflicht noch? Ab wann? Macht das jetzt Sinn oder vielleicht erst im Herbst?
Ich befürchte, wenn wir die Impfpflicht jetzt aus- und evt. erst im Herbst in Kraft setzen, sind wir möglicherweise so wie im Vorjahr wieder zu spät dran. Den Kreislauf „Neue Variante – starke Welle – Lockdown“ kann man am besten mit einer breiten Grundimmunisierung durchbrechen – und die dauert mindestens vier bis fünf Monate. Ob im Herbst eine Variante kommt, die nochmals milder ist als Omikron, das wissen wir nicht. Und auch wenn es möglich ist halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass im Herbst eine Variante zirkulieren wird, gegen die eine Grundimmunisierung gar nicht schützt. Realistisch ist, dass bei Grundimmunisierten eine Auffrischungsimpfung im Sommer / Frühherbst ausreichen wird. Die Basis dafür sollten wir jetzt legen. Denn dass es zu einer neuerlichen verstärkten Viruszirkulation kommen wird – mit welcher Variante auch immer –, das ist unbestritten.
Zu den Öffnungsschritten: Sieht so aus, als würden nur die Masken bleiben. Wie sehen Sie das? Was würden Sie empfehlen?
Ich halte es für sehr realinstisch, dass wir in den kommenden Wochen in eine Situation kommen werden, in der wir mit den Masken als einziger Covid–Maßnahme das Auslangen finden werden – aber noch sind wir nicht so weit. Wir haben diese Erfahrungen ja schon gemacht, dass bei zu früher Lockerung die Zahlen wieder steigen. Aus meiner Sicht sollte man damit also noch ein wenig zuwarten. Ich würde auch in den Schulen die Maskenpflicht nicht weiter lockern, abgesehen vom Sitzplatz, schließlich haben wir gerade bei den jüngeren Kindern noch eine Durchimpfungsrate von weniger als einem Drittel. Gleichzeitig ist der Austausch unter Kindern intensiver. Ich würde aber spezielle Informationsangebote für Eltern mit Virologen und Kinderärzten zum Thema Impfen verstärken, um hier Ängste zu nehmen.
Sollen die Tests gratis bleiben und weiter so breitflächig getestet werden?
Im ersten Quartal würde ich nicht viel ändern und die Testmöglichkeiten nicht einschränken. Das sind jetzt nur mehr wenige Wochen – und wir wissen noch nicht, ob die derzeitige Stabilisierung bei den Zahlen eine kurzfristige, oder doch schon eine dauerhaft langfristige ist. Omikron verbreitet sich zwar so rasch, dass man schon infektiös sein kann, bevor ein positives Testergebnis vorliegt. Trotzdem helfen uns die Tests, Infektionsketten zu unterbrechen. Voraussichtlich ab April aber sollten für Menschen, die sich aus Überzeugung nicht impfen lassen wollen, Zutrittstests, wo es sie dann noch gibt, kostenpflichtig werden. Für Geimpfte sollten dann Tests aber nur mehr bei Symptomen oder vor dem Besuch vulnerabler Personen bzw. vor einem Spitalsbesuch notwendig sein. Diese Tests sollten für Geimpfte aber gratis sein.
Karl Zwiauer, Kinderarzt, Mitglied im Nationalen Impfgremium:
Brauchen wir die Impfpflicht noch? Ab wann? Macht das jetzt Sinn oder vielleicht erst im Herbst?
Kurzfristig scheint es so, als ob wir jetzt keine Impfpflicht brauchen würden – wenn die Omikron-Welle abflacht, werden auch die Infektionszahlen sinken. Langfristig brauchen wir allerdings sehr wohl eine Impfpflicht, um eine ausreichende Herdenimmunität zu erreichen. Sonst stehen wir im Herbst vor derselben Situation wie im Vorjahr. Mit einer Grundimmunisierung ist man auch besser gegen neue Varianten gewappnet.
Zu den Öffnungsschritten: Sieht so aus, als würden nur die Masken bleiben. Wie sehen Sie das? Was würden Sie empfehlen?
Wenn Omikron im Abnehmen ist, dann ist die Zeit, Öffnungen anzudenken. Ich glaube, nach Omikron sollten wir diesen Schritt machen. Ich plädiere aber dafür, Entscheidungen aufgrund von Daten und Zahlen zu treffen – dann aber kurzfristiger und rascher als langfristiger, wie das bisher oft der Fall war. Wie sich zum Beispiel BA.2 entwickelt, wissen wir nicht. Auf derartige Möglichkeiten sollte man reagieren können.
Sollen die Tests gratis bleiben und weiter so breitflächig getestet werden?
Angesichts der Erfahrungen mit Omikron sollte man nach dem Ende dieser Welle gut nachdenken und die bisherige Teststrategie überdenken – immer auf den jeweils aktuellen Zahlen basierend. Wir tun manchmal so, als ob mit der Omikron-Welle die Pandemie komplett vorbei wäre. Wir haben aber im Verlauf der letzten zwei Jahre gesehen, dass bisher alle zwei bis drei Monate eine neue Variante aufgetaucht ist.
Norbert Nowotny, Virologe:
Brauchen wir die Impfpflicht noch? Ab wann? Macht das jetzt Sinn oder vielleicht erst im Herbst?
Ich bin für ein Aussetzen der Impfpflicht. Es wäre sinnvoller gewesen, mit der Einführung zu warten, bis die Impfstoffe von Novavax und Valneva erhältlich sind. Damit hätte man noch gute fünf Prozent der skeptischen Bevölkerung erreicht. Für eine Impfpflicht spricht, dass wir nicht wissen, welche neuen Virusvarianten uns im Herbst erwarten werden aber auch als Solidarität mit jenen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen dürfen und die wir mit einer hohen Durchimpfungsrate "mit schützen" ("Herdenimmunität").
Zu den Öffnungsschritten: Sieht so aus, als würden nur die Masken bleiben. Wie sehen Sie das? Was würden Sie empfehlen?
Die geplanten Öffnungsschritte beruhen auf Expertenprognosen. Treten sie ein, sind schrittweise Lockerungsschritte in den kommenden Wochen zu begrüßen. Derzeit deutet alles darauf hin, dass die täglichen Fallzahlen bald sinken werden und die Trendumkehr in Kürze geschafft ist. Ein Unsicherheitsfaktor ist die weitere Entwicklung der ansteckenderen Subvariante BA.2, die die Omikronwelle verlängern könnte.
Sollen die Tests gratis bleiben und weiter so breitflächig getestet werden?
Mit dem Rückgang der Omikron-Welle sollte man aus ökonomischen Gründen die bisherige PCR-Teststrategie überdenken. Man könnte überlegen, nur bestimmte Gruppen zu testen, etwa Risikogruppen und Bedienstete in den Bereichen Gesundheit und kritische Infrastruktur. Man könnte auch andenken, die Testpflicht für symptomlos Infizierte auszusetzen, jene mit Symptomen aber weiterhin zu testen. In Schulen halte ich es für ausreichend, wenn ein Mal pro Woche getestet wird.
Wobei ich hier immer von PCR-Tests spreche. Antigen-Schnelltests sprechen etwa bei Symptomlosen nur zu 50 Prozent an. Da bringen sie also gar nicht so viel. Bei symptomatisch Infizierten könnten sie eine Alternative sein, da die Ergebnisse zu 80 Prozent richtig sind.
Hans-Peter Hutter, Public-Health-Experte:
Brauchen wir die Impfpflicht noch? Ab wann? Macht das jetzt Sinn oder vielleicht erst im Herbst?
Bei einer Epidemie braucht man schlichtweg Glaubwürdigkeit von denjenigen, die Entscheidungen treffen, und die hat bereits enorm gelitten. Jetzt muss man konsequent sein und die Impfpflicht durchziehen, weil die Glaubwürdigkeit sonst nicht mehr gegeben ist. Es ist nicht eindeutig vorhersehbar, was noch alles auf uns zukommt – man darf den Rest Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Wenn jetzt von der Impfpflicht abgegangen wird, müsste das sehr klar dargestellt werden und es sehr gute Gründe dafür geben. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht für eine Impfpflicht bin, aber jetzt ist sie da und da jetzt etwas zu ändern, ist aus meiner Sicht zu spät.
Zu den Öffnungsschritten: Sieht so aus, als würden nur die Masken bleiben. Wie sehen Sie das? Was würden Sie empfehlen?
Ich kann mir nicht gut vorstellen, dass alles aufgehoben wird. Das hätte auch Konsequenzen für die Impfpflicht, denn, wenn man alle Maßnahmen aufhebt, hieße das ja, dass keine Gefahr mehr besteht. Die Infektionszahlen zeigen aber, dass die Hospitalisierungen sich verdoppelt bis verdreifacht haben. Die schweren Fälle auf den Intensivstationen sind derzeit nur deswegen leicht angestiegen, weil der Immunstatus der Bevölkerung nun besser ist. Für Ungeimpfte kann Omikron nach wie vor problematisch werden. Die 2-G-Regel schützt auch sie. Ich wäre sehr vorsichtig, wie mit Öffnungen umgegangen wird. Es braucht einen Zeitplan und Etappen, in denen sie umgesetzt werden. Ein komplettes Aufheben der Maßnahmen halte ich derzeit für nicht sinnvoll, insbesondere nach den Ferien, in denen es verstärkt Kontakte und Reisetätigkeit gab.
Sollen die Tests gratis bleiben und weiter so breitflächig getestet werden?
Tests sind ein wichtiges Standbein in der Epidemiebekämpfung. Gerade in Österreich, wo wir so viele PCR-Tests haben, war das Testen sicherlich auch ein Grund, warum die Infektionszahlen Ende Jänner/Anfang Februar nicht stärker gestiegen sind. Durch das Testen haben wir eine sehr gute Übersicht, die Dunkelziffer ist niedrig. Für die meisten steht der Schutz der anderen im Vordergrund – sie begeben sich eigenständig in Isolation, wenn der Test positiv ist und nicht erst, wenn ein Bescheid kommt. Insofern haben diese Tests sehr viel dazu beigetragen, dass der Gipfel der Infektionen nicht weiter angestiegen ist. Das Testangebot sollte bleiben. Wenn sie etwas kosten sollen, sollte dies ein Solidaritätsbeitrag sein, keine hohe Summe, da dies sonst abschreckt.
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