HIV und SARS-CoV-2: Wenn neue Viren um die Welt gehen
„Eine neue, tödliche, hochinfektiöse Seuche geht um den Erdball“ – damit war im März 1983 im KURIER der damals noch nicht isolierte Aids-Erreger HIV gemeint. Auch wenn es sich bei HIV und SARS-CoV-2 um sehr unterschiedliche Viren handelt, gibt es im Ablauf der Pandemien Gemeinsamkeiten, wie der Infektiologe Alexander Zoufaly, Präsident der Österreichischen Aids-Gesellschaft, sagt.
Ursprung in der Tierwelt: „Beide Viren haben ihren Ursprung bei Tieren“, sagt Zoufaly. HIV beim Menschen geht auf das SI-Virus in Affen zurück, das im Menschen zu HIV mutierte. „SARS-CoV-2 stammt vermutlich von Coronaviren in Fledermäusen ab. In beiden Fällen hat der Sprung zum Menschen auch mit der Ausweitung von Siedlungsgebieten bzw. der Jagd oder der Züchtung von Wildtieren zu tun.“
Zeitlicher Verlauf: Bei HIV fanden die ersten Infektionen von Menschen „im frühen 20. Jahrhundert“ statt, aber erst in den 80er-Jahren kam es zur weltweiten Pandemie. „Bei SARS-CoV-2 hingegen geht man davon aus, dass die ersten Fälle beim Menschen tatsächlich erst Ende vergangenen Jahres in Wuhan aufgetreten sind.“
Virusisolierung: „Bis man bei HIV wusste, dass es sich um ein neues Virus handelt, dauerte es Jahre, bei SARS-CoV-2 hingegen nur wenige Wochen. Das hängt mit deutlich verbesserten Möglichkeiten zusammen, das Erbgut von Viren rasch zu entschlüsseln und in Datenbanken mit jenem anderer Viren zu vergleichen.“
Übertragungswege: „Die Krankheit kann auch durch Tröpfcheninfektion übertragen werden“, hieß es anfangs über HIV. „Das war falsch, aber es gab nicht so viele Fälle zum Nachverfolgen in den frühen 80er-Jahren. Und man hatte Hinweise auf ganz unterschiedliche Übertragungswege – Blutprodukte, Geschlechtsverkehr –, die man erst im Detail verstehen lernen musste. Deshalb bestand am Anfang viel Unsicherheit.“ Beim Coronavirus hingegen gab es sehr rasch sehr viele Fälle, außerdem wusste man, dass Coronaviren durch Tröpfchen übertragen werden. Trotzdem ist auch bei SARS-CoV-2 manches bis heute nicht eindeutig geklärt, wie hoch z. B. der Anteil der Übertragung durch kleinste virushaltige Partikel (Aerosole) ist.
Therapie: 1987 wurde das erste Mittel gegen HIV zugelassen, rund sechs bis sieben Jahre nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle. „Die erfolgreiche Kombinationstherapie kam aber erst 1996.“ Wie lange es bis zu einer effizienten Therapie des Coronavirus dauern wird, ist noch offen.
Impfstoff: Die Zulassung von Impfstoffen gegen das Coronavirus ist absehbar. Bei HIV gibt es bereits seit den 90er-Jahren eine intensive Impfstoff-Forschung, bis jetzt ohne durchschlagenden Erfolg: „Bei HIV gibt es beim Menschen keine natürliche Immunität, da noch niemand eine HIV-Infektion wirklich durchgemacht und von selber ausgeheilt hat, im Gegensatz zu SARS-CoV-2. Das heißt, man weiß nicht genau, wie eine schützende Immunantwort überhaupt aussehen sollte, die man durch eine Impfung erzeugen möchte. Ich gehe aber davon aus, dass die neuen Technologien, die jetzt bei SARS-CoV-2 zum Einsatz kommen, auch die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes vorantreiben werden.“
Stigmatisierung: HIV hat in den 80er-Jahren zu einer massiven Stigmatisierung homosexueller Männer geführt, manche Länder verhängten z. B. Einreiseverbote für Menschen mit HIV /Aids. „Dabei betrifft HIV weltweit gesehen hauptsächlich heterosexuelle Menschen.“ Beim Coronavirus gab es anfangs „ein regelrechtes Chinesenbashing“ und stigmatisierende Namen wie „Chinavirus“. SARS-CoV-2-Infizierte hören gelegentlich Vorwürfe, sie hätten nicht aufgepasst, seien selber schuld. Zoufaly: „Nie ist jemand an einer Krankheit ,schuld‘. Unwissenheit ist der größte Nährboden für Stigmatisierung.“
Skeptiker und Leugner: Lange wurde von einigen wenigen Wissenschaftern und Politikern ein Zusammenhang zwischen HI-Viren und Aids geleugnet, relativiert bzw. sogar die Existenz des HI-Virus geleugnet. „Auch bei SARS-CoV-2 gibt es selbst ernannte Experten, die keine wissenschaftliche Expertise in der Virologie und Infektiologie haben und Tatsachen verdrehen oder verharmlosen“, sagt Zoufaly. „Das darf man aber nicht mit berechtigter Kritik gleichsetzen.“
Rückschläge bei der HIV-Prävention: Weniger Menschen, die eine HIV-Therapie neu beginnen im Vergleich zum Jahresbeginn, weniger Tests: In vielen Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas hat die Corona-Pandemie bereits zu Rückschlägen in der Eindämmung bzw. Therapie von HIV-Infektionen geführt. „Aber auch bei uns besteht natürlich die Gefahr, dass Präventionsprogramme nachhaltig geschädigt werden, wenn die Aufmerksamkeit für Corona alles andere überdeckt“, sagt Zoufaly. So wäre es wichtig, dass ähnlich wie in Deutschland die Kassen die Kosten für die „PrEP“ („Prä-Expositions-Prophylaxe“) übernehmen: Eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-Negative ein Medikament einnehmen, um sich vor Ansteckung zu schützen. „Das muss aber in ein Präventionskonzept mit Untersuchungen auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen eingebunden sein.“
HIV: 76 Millionen Menschen haben sich seit Beginn der 80er-Jahre mit dem Aids-Erreger infiziert, knapp 33 Millionen Menschen sind verstorben. 38 Millionen Menschen leben mit dem Erreger. In Österreich leben 12.000 bis 15.000 Menschen mit HIV, es werden jährlich ca. 500 Neuerkrankungen registriert.
Coronavirus: 63 Millionen Menschen haben sich heuer bisher mit SARS-CoV-2 infiziert, knapp 1,5 Millionen Menschen sind verstorben.
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