Starkes Übergewicht: Neue Medikamente werden das Abnehmen erleichtern
15 Prozent der Österreichischen Bevölkerung leiden an Adipositas, starkem Übergewicht ab einem Body-Mass-Index von 30 - Körpergewicht (in Kilogramm) durch die Körpergröße (in Meter zum Quadrat. Die Basis der Behandlung bilden eine Lebensstiländerung, kalorienreduzierte Ernährung und mehr körperliche Aktivität. Ist durch die Basistherapie keine ausreichende Gewichtsabnahme möglich, können Medikamente die Gewichtsreduktion unterstützen - ohne ein Ersatz für andere Maßnahmen zu sein. Und hier gibt es jetzt mehrere neue Ansätze - teilweise in Entwicklung, teilweise bereits vor der Zulassung und in Anwendung.
Ein völlig neuer Ansatz ist im Tierversuch Forschenden der Universitäten Köln und Münster sowie der Yale University (USA) gelungen, wie es in einer Aussendung der Uni Köln heißt: Sie konnten zeigen, dass über eine Nervenzellen im Hypothalamus (Gehirnbereich im Zwischenhirn, der u.a. die Bildung von Hormonen reguliert) die Erregbarkeit von Nervenzellen in der Hirnrinde gesteuert wird, was die Nahrungsaufnahme stimuliert. Der entscheidende Schritt dieses sogenannten "LPA-Signalwegs" wird durch ein bestimmtes Enzym (Autotaxin) kontrolliert. Erhalten jetzt Mäuse einen Wirkstoff, der dieses Enzym hemmt, kann ihr Suchtverhalten nach Nahrung im Anschluss an eine Fastenperiode reduziert werden. Adipöse Mäuse wiederum verloren bei einer andauernden Gabe dieser Hemmstoffe nachhaltig an Gewicht.
Menschen, bei denen der Signalweg zur Steuerung der Nervenzellen in der Hirnrinde gestört ist, sind laut dem Forschungsteam öfter übergewichtig und auch öfter an Diabetes Typ II erkrankt. Die Erkenntnisse könnnten zur Entwicklung neuer Medikamente gegen starkes Übergewicht führen, sind die Forscher überzeugt.
Erfolge mit Diabetes-Medikament
Während dieser oben beschriebene Ansatz noch länger benötigen wird, bis er in der Praxis ankommen wird, ist eine andere Entwicklung bereits viel weiter, wie eine kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie zeigt: Der gegen Diabetes Typ II in den USA eingesetzte Wirkstoff Tirzepatid hat in einer US-Studie Adipositas-Patienten geholfen, deutlich Gewicht zu reduzieren: Im Schnitt haben die Studienteilnehmer (durchschnittliches Ausgangsgewicht: 105 kg) je nach Dosierung des Wirkstoffs (5 mg, 10 mg, 15 mg) über 72 Wochen zwischen 15 und und rund 20 Prozent ihres Gewichts abgenommen. 57 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Gruppen mit 10 mg und 15 mg haben 20 Prozent oder mehr ihres Gewichts reduziert, im Vergleich zu drei Prozent in der Placebo-Gruppe. Ein Drittel der Probandinnen und Probanden mit der höchsten Medikamentendosis schaffte es, das Gewicht um 25 Prozent und mehr zu senken.
Das Medikament muss unter die Haut gespritzt werden. Das Präparat ahmt die Wirkung der Darmhormone GIP und GLP-1 nach, die als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme von Zellen des Magen-Darm-Traktes gebildet werden. Sie fördern die Freisetzung von Insulin und tragen dazu bei, dass das Sättigungsgefühl früher einsetzt. Inkretine werden häufig in der Diabetes-Therapie eingesetzt, dabei wurde die Gewichtsreduktion als Begleiterscheinung entdeckt.
"Mit 25 Prozent Gewichtsreduktion sind wir im Bereich, der auch mit Magenoperationen erreicht wird", wird der Diabetologe Marc Donath vom Universitätsspital Basel in der Neuen Zürcher Zeitung zitiert. Er rechnet deshalb damit, dass sich mit einem solchen Medikament viele adipöse Patienten eine Magenoperation ersparen.
Laut ärztlichen Leitlinien ist ein Gewichtsverlust von fünf Prozent oder mehr bei Personen mit einem BMI von 25 bis 35 von zehn Prozent oder mehr bei einem BMI von über 35 innerhalb von sechs bis zwölf Monaten ein Ziel, heißt es bei der deutschen Stiftung Gesundheitswissen. Tirzepatid würde diesen Wert also deutlich übertreffen.
Tirzepatid ist in den USA zur Diabetes-Therapie zugelassen, in Europa noch nicht.
Andere neuere Medikamente konnten bisher nur eines der beiden Darmhormone nachahmen - etwa Liraglutid, das auch in Europa bereits zur Gewichtsreduktion eingesetzt wird, ebenfalls mit Erfolg. "32 von 100 Personen, die ihren Lebensstil änderten und Liraglutid spritzten, verloren zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts", fasst die Stiftung Gesundheitswissen bisherige Studienergebnisse zusammen. "In der Kontrollgruppe, die ihren Lebensstil änderte und ein Scheinmedikament spritze, nahmen zehn von 100 Personen zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts ab."
Neue Allianz für bessere Versorgung
Erst vor kurzem wurde von mehreren medizinischen Fachgruppen die "Österreichische Adipositas Allianz" gegründet, konkret von der Österreichischen Adipositas Gesellschaft (ÖAG), der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und der Österreichischen Gesellschaft für Adipositas- und Metabolische Chirurgie (ÖGAMC).
Laut österreichischer Gesundheitsbefragung (ATHIS) der Statistik Austria sind hierzulande 2,5 Millionen Menschen über 15 Jahren von Übergewicht betroffen und 1,235 Millionen (16,6 Prozent der Bevölkerung) von Adipositas, berichtete Thomas Czypionka von der Abteilung Health Economics and Health Policy des Instituts für Höhere Studien (IHS) bei der Präsentation der Allianzt in Wien. Das liegt zwar nur knapp über dem EU-Durchschnitt, die Wachstumsrate sei aber mehr als doppelt so hoch.
"Aktuell ist die Versorgung für Menschen mit Adipositas in Österreich absolut unzureichend", betont die Diabetologin Johanna Brix, Präsidentin der Adipositasgesellschaft. Diesen Zustand zu verbessern sei das vorrangigste Ziel der neuen Allianz."Es gibt neue Therapien, die gut funktionieren, aber nicht breit verfügbar sind, weil diese Arzneimittel aufgrund der fehlenden Anerkennung von Adipositas als chronische Erkrankung nicht auf der Liste der erstattungsfähigen Medikamente sind."
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