Jeder Zweite zu dick: Volkswirtschaft leidet unter Fettleibigkeit
Jeder zweite Erwachsene in Österreich ist übergewichtig (54%), das sind etwa 3,5 Millionen Menschen, die einen Body Mass Index (BMI) zwischen 25 und 30 kg/m² haben. 1,2 Millionen Menschen davon oder 16,6 Prozent insgesamt, gelten laut WHO-Definition als fettleibig (adipös) - sie haben einen BMI von 30 oder mehr. Wer zu viel auf die Waage bringt, leidet aber nicht nur unter einer niedrigeren Lebensqualität, sondern sorgt auch für schwere volkswirtschaftliche Folgen. Darauf hat der Wiener Wirtschaftskreis, Denkfabrik in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der Wirtschaftskammer Wien, anlässlich des europäischen Adipositas-Tags am 21. Mai bei einem Pressegespräch hingewiesen.
Höhere Kosten
So liegen die Ausgaben für Medikamente bei Normalgewichtigen etwa bei durchschnittlich 200 Euro pro Jahr, bei Übergewichtigen betragen sie 275 Euro, bei Adipösen 375 Euro jährlich. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Spitalstagen: Während Normalgewichtige im Schnitt 1,5 Tage pro Jahr ins Krankenhaus müssen, sind es bei Übergewichtigen 2,1 Tage, bei Adipösen 2,5 Tage. "Wenn man nun ermittelt, dass ein Belagstag in einem öffentlichen Spital 1.120 Euro kostet, so ergeben sich für einen übergewichtigen Patienten um 683,2 Euro mehr an Krankenhauskosten pro Jahr – und für einen adipösen Patienten sogar um 1.120 Euro an Mehrkosten", betonte Alexander Biach, stellvertretender Direktor der Wiener Wirtschaftskammer.
Häufiger in Krankenstand
Übergewichtige sind im Schnitt sechs Tage mehr pro Jahr in Krankenstand als Normalgewichtige, Adipöse um 13 Tage mehr als Normalgewichtige. Die Ausfälle für Betriebe aufgrund von Krankenständen belaufen sich demnach auf 1.421 Euro für Übergewicht und 3.079 Euro für Adipositas pro Person und Jahr.
Übergewicht und Fettleibigkeit sorgen zudem für mehr Frühpensionen und höheren Pflegebedarf im Alter, da etwa das Risiko für Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Erkrankungen des Muskel-Skelettapparats zunimmt. Auch steigt das Risiko für Leber- und Tumorerkrankungen, wobei die Heilungsaussichten bei stark Übergewichtigen schlechter ausfallen als bei Normalgewichtigen.
In der Arbeitsbevölkerung könnten laut Biach 800 bis 1.400 Euro an Mehrkosten pro Jahr und Person reduziert werden, wenn durch Bewegung und Ernährung Übergewicht vermieden würde. An Pensionszahlungen durch Berufsunfähigkeitspension seien es in Summe vier Millionen Euro oder 17.220 Euro pro Person, die sich aus Übergewicht und seinen Folgen begründen. Nicht zuletzt in der Pflege wirke sich Fettsucht kostenintensiv aus, mit 2,9 Milliarden an Pflegekosten insgesamt bzw. davon eine Milliarde für Pflegegeld sei "die budgetäre Belastung besonders übergewichtig". Pro Person und Jahr könnten 5.885 Euro an Pflegegeldausgaben durch präventives Verhalten vermieden werden, wurde betont.
Gesunde Ernährung reicht nicht
Die Rufe nach gesunder Ernährung, allen voran mediterrane Kost, die seit Jahren empfohlen wird, sowie nach Bewegung und Sport, seien nicht immer zielführend, meinte Ernährungsmediziner Kurt Widhalm. "Adipositas ist eine Krankheit, deren Behandlung wenig erfolgreich ist. Wesentlicher sind die Konzepte der Prävention, vor allem schon im Kindes- und Jugendalter."
Schon jetzt sind 28 Prozent der Kinder zwischen fünf und neun Jahren übergewichtig, bei den Jugendlichen zwischen zehn und 19 Jahren sind es 26 Prozent - damit liegt Österreich über dem EU-Schnitt von 24 Prozent. Covid-19 hat das nicht verbessert: Laut aktueller Studie haben Kinder während des ersten Pandemiejahres im Schnitt um 1,8 Kilogramm mehr zugenommen als im Jahr davor.
Widhalm sieht in seiner Praxis regelmäßig Kinder, die in jungen Jahren unter Bluthochdruck und Diabetes leiden, weil sie bereits mit 14 Jahren 140 Kilogramm oder mehr wiegen. Widhalm: "Oft hilft nur noch ein operativer Eingriff. Wenn ein Kind einmal so stark übergewichtig ist, leidet es möglicherweise unter Knorpelschäden und Knochenmarksödemen – Sport ist oft gar nicht möglich."
In Österreich fehle es allerdings an strukturierten Programmen zur Prävention, die insbesondere im Alter von sechs bis zehn Jahren erfolgreich seien, so Widhalm. Ein Euro, der in Maßnahmen zur Prävention investiert wird, würde aber einen ökonomischen Rückfluss von sechs Euro generieren. Dazu brauche es mehr Anreizsysteme, etwa gekoppelt an finanzielle Leistungen wie beim Mutter-Kind-Pass oder steuerliche Erleichterungen.
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