Gegen Omikron helfen nur drei Stiche: Was Sie jetzt wissen müssen
In mindestens 57 Ländern ist die Omikron-Variante des Coronavirus inzwischen nachgewiesen worden. Zudem steigt die Zahl der Neuinfektionen mit der stark mutierten Variante in Südafrika aktuell deutlich an.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es aber noch zu früh, um zu prognostizieren, ob sich das Virus in anderen Weltregionen ähnlich ausbreiten wird. Dennoch haben Länder wie Großbritannien und Dänemark aufgrund der dort ansteigenden Omikron-Ansteckungszahlen schon strengere Maßnahmen angekündigt.
Unterdessen veröffentlichten am Donnerstag Wissenschafterinnen und Wissenschafter erste Erkenntnisse darüber, wie gut Omikron bereits gebildeten Antikörpern ausweichen kann. Die schlechte Nachricht: Die neue Coronavirus-Variante schafft das deutlich besser als Delta. Die gute: Sie entkommt unserem Immunschutz nicht vollständig.
Was Sie jetzt über Omikron wissen müssen:
Was zeigt sich in den ersten Studien zur Wirksamkeit der Impfungen gegen Omikron?
Die ersten Neutralisationsversuche der aus dem NDR-Podcast bekannten Virologin Sandra Ciesek und des Südafrikaners Alex Sigal aus Durban zeigen, dass Omikron sich wohl deshalb so gut verbreiten kann, weil die Variante unserer Immunität bei zweifacher Impfung vollständig entweichen und es so zu mehr Impfdurchbrüchen kommen kann.
Eine dritte Impfdosis sowie die Kombination von Infektion und Impfung blockieren das Virus jedoch: Ciesek vom Universitätsklinikum in Frankfurt am Main kam hier zu dem Ergebnis, dass die Neutralisation der Antikörper bei Omikron immerhin noch bei 25 Prozent liegt. Bei der in Österreich und Deutschland noch vorherrschenden Variante Delta liegt sie bei 95 Prozent.
Eine weitere Studie eines Teams um Daniel J. Sheward vom Karolinska-Institut in Stockholm deutet ebenfalls auf einen merklichen Restschutz hin, besonders durch die Kombination aus Impfung und Infektion.
"Personen, die nur zwei Mal geimpft sind, deren Immunserum neutralisiert das Virus fast gar nicht in der Petrischale, und andererseits, das ist jetzt die gute Nachricht, Personen, die schon eine Auffrischungsimpfung bekommen haben, oder die genesen und geimpft sind, also die drei Mal exponiert waren, die haben immer noch eine recht beträchtliche Neutralisation", sagte Virologe Andreas Bergthaler vom Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien am Donnerstag im "Mittagsjournal" auf Ö1. "Die bisher vorliegenden Antikörperdaten liefern sehr wohl Argumente, warum wir jetzt möglichst viele Personen noch mit der Auffrischungsimpfung versorgen sollten, einfach weil das offensichtlich hilft, in vitro (in der Petrischale, Anm.) zumindest das Omikron-Virus zu neutralisieren."
Alle Studien zeigen, dass der Schutz der Impfungen wie auch einer vorangegangenen Infektion bei Omikron deutlich geringer ausfällt. Sechs Monate nach der zweiten Impfung ist bei der Omikron-Variante die neutralisierende Wirkung der Antikörper deutlich verringert. Das heißt: Ihre Fähigkeit, an das Virus zu binden und so den Eintritt in menschliche Zellen – eine Infektion – zu verhindern, ist reduziert.
"Dieser Rückgang der Neutralisierung ist stärker als bei anderen Varianten", meinte der Virologe Florian Krammer in einem Tweet. Sehr gering sei diese Aktivität auch bei nur Genesenen ohne Impfung.
Für Verunsicherung sorgten Daten, wonach diese Neutralisationswirkung bei Omikron um das 40-Fache schwächer sei als bei anderen Varianten. "Das bedeutet nicht, dass die Effektivität nur mehr ein Vierzigstel ist", schrieb der Mediziner Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) auf Twitter. Das betonte auch der Virologe Christian Drosten auf dem Kurznachrichtendienst: "Eine 40-Fache Reduktion der Neutralisationsaktivität bedeutet NICHT, dass die Impfung 40-mal weniger schützt. Der reale Immunitätsverlust ist viel geringer."
"Die Impfungen sind nicht nutzlos", bekräftigte außerdem der deutsche Immunologe Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, in einer Stellungnahme. Allerdings benötige man deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren.
Was heißt das jetzt für Menschen, die zweimal geimpft sind und noch keinen Booster haben? Hält der Impfschutz Omikron noch stand?
Krammer geht davon aus, dass der Schutz vor Infektionen bei Genesen und zweifach Geimpften stark reduziert sein wird. Allerdings vermutet er, dass der Schutz vor schweren Erkrankungen auch mit dieser Basisimmunität noch hoch sein könnte.
Dazu Watzl: "Die Daten zeigen, dass selbst zweifach Geimpfte oft nicht genügend Antikörper haben, um Omikron zu neutralisieren. Erst nach einem Booster oder nach der Kombination aus Infektion plus zweifacher Impfung sind genügend Antikörper vorhanden." Die Folge könnte sein, dass mit Omikron die Zahl der Durchbruchsinfektionen zunehmen wird: "Die Inzidenzen könnten daher noch einmal deutlich steigen."
Und was heißt das alles für Geboosterte?
Die Daten deuten darauf hin, dass Auffrischungsimpfungen oder eine zweifache Impfung plus Durchbruchsinfektion eine stärkere Wirkung gegen Omikron haben als die Immunantwort von nur zweifach Geimpften. So sind laut einer Studie von Biontech/Pfizer nach der dritten Auffrischungsimpfung die neutralisierenden Antikörpertiter im Vergleich zu zwei Dosen gegen die Omikron-Variante um das 25-Fache erhöht.
Auch erhöhe eine dritte Dosis die Spiegel von T-Zellen gegen mehrere Strukturen des Spike-Proteins. "Eine Auffrischung der Impfimmunität ist aktuell umso wichtiger, da dadurch auch die zelluläre Immunität geboostert wird, was sicher gegen Omikron wichtig ist", sagte Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie des Uni-Klinikums Düsseldorf. "Im Moment ist Dreifachimpfung der beste Schutz", betonte Drosten.
Relativ optimistisch äußerte sich der Bergthaler auf Twitter: "Neue insgesamt zuversichtlich stimmende Daten zu Omicron: Omicron wird schlechter von Impfseren (Biontech) neutralisiert, aber Immunescape unvollständig! Seren von Genesenen+Geimpften neutralisieren."
Manche Experten sprechen sich zudem dafür aus, die Booster-Impfung nun vorzuziehen.
Die derzeitigen Daten beziehen sich hauptsächlich auf die Antikörper. Aber unser Abwehrsystem hat doch auch andere Verteidigungslinien?
"Es gibt mehrere Sicherheitsnetze", schrieb Krammer. Einerseits könne es neutralisierende Antikörper geben, die nicht nachgewiesen werden könnte, aber auch weniger gut wirksame Antikörper könnten eine schützende Rolle spielen und unter anderem eine Schutzwirkung der zellulären Bestandteile des Immunsystems, wie B- und vor allem T-Zellen.
"Die Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse auf die T-Zell-Reaktion auf eine Infektion mit Omikron zu, die für die Schwere des Krankheitsverlaufs mitentscheidend sind", betonte auch die Virologin Ciesek. "Da es noch andere Komponenten des Immunsystems (als Antikörper, Anm.) gibt, bin ich trotzdem optimistisch, dass durch die Immunität eine gute Schutzwirkung vor schweren Verläufen bestehen bleibt."
Wie entwickelt sich die Situation in Südafrika und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Die internationale Wissenschaftsgemeinde beobachtet die epidemiologische Situation in Südafrika genau. Die neue Variante wurde Anfang November mittels Gen-Analysen in der Region zum ersten Mal entdeckt. Ob Omikron tatsächlich dort zuallererst aufgetreten ist, ist unklar. Klar scheint hingegen, dass sich die Variante rasant ausbreitet und die bisher in Südafrika vorherrschende Delta-Variante binnen kürzester Zeit verdrängt hat.
Auch in anderen Ländern, wo Omikron bereits vermehrt aufgetreten ist, scheint sich die Variante schnell durchzusetzen. "In Südafrika war vor einem Monat noch die Delta-Variante dominant, ein Monat später sind 75 Prozent bereits auf die Omikron-Variante zurückzuführen", erklärte Epidemiologin Eva Schernhammer von der MedUni Wien am Mittwoch in der ORF-Sendung "ZiB 2". Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Dänemark, dort hat sich die Zahl der Neuinfektionen mit Omikron – wenn auch auf niedrigem Niveau – binnen zwei Tagen verdreifacht. "Das kann auch durch Cluster getrieben sein, aber es zeigt sich, dass sich Omikron wohl schnell durchsetzen wird und auch infektiöser ist."
Unter Umständen könnten außerdem Kinder von der neuen Variante stärker betroffen sein. Das legen erste Daten aus dem südlichen Afrika nahe. Schernhammer: "Dort hat man gesehen, dass ein Drittel der hospitalisierten Patienten Kinder unter zehn Jahren sind. Ob das bei uns auch so sein wird, wissen wir nicht."
Verteilung
Laut aktuellsten Daten der EU-Seuchenkontrollbehörde ECDC wurden innerhalb Europas bisher 337 Ansteckungsfälle registriert. Dänemark hat bisher 83 und damit die meisten Infektionen dokumentiert (Stand 8. Dezember).
Auswirkungen
Die meisten Fälle stehen im Zusammenhang mit Reiserückkehrern aus Afrika. Bisher wurden nur milde oder asymptomatische Verläufe und keine Todesfälle, die auf Omikron zurückgehen, bestätigt.
Ursprung
Omikron wurde Anfang November in Südafrika zum ersten Mal entdeckt. Ob die Variante tatsächlich dort zuallererst aufgetreten ist, ist unklar.
Zu Beginn hieß es, dass Omikron mildere Krankheitsverläufe hervorrufen könnte als vorherige Varianten – ein Hoffnungsschimmer. Vonseiten südafrikanischer Forscherinnen und Forschern wurde jedoch stets betont, dass diese Entwicklung auch mit dem geringeren Durchschnittsalter der Bevölkerung in der Region zusammenhängen könnte. Außerdem müsse man abwarten, inwiefern sich der Zustand der Infizierten im Laufe der Zeit verschlechtert. Inzwischen steigt die Zahl der Einweisungen in die Spitäler tatsächlich an. Virologe Krammer geht deshalb mittlerweile davon aus, "dass die Variante genauso gefährlich ist wie alle anderen".
Laut Watzl ist das noch nicht in Stein gemeißelt: "Was aktuell noch fehlt, sind Daten dazu, ob eine Omikron-Durchbruchsinfektion auch mehr schwere Verläufe verursacht. Oder anders gesagt: Ob der Impfschutz vor schwerer Erkrankung bei Omikron noch hoch ist. Da dieser Schutz nicht nur auf den Antikörpern beruht, gehe ich aktuell davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist. Das könnte auch erklären, warum man in Südafrika eher milde Verläufe sieht. Es stecken sich Personen mit Immunschutz an, die noch gut vor einer schweren Erkrankung geschützt sind."
Wird es neue, adaptierte Corona-Impfstoffe brauchen?
Viele Meldungen zu Omikron beruhen momentan nur auf vorläufigem Wissen. Die Impfstoff-Hersteller haben dennoch bereits damit begonnen, ihre Vakzine an die neue Variante und ihre Mutationen anzupassen.
Biontech/Pfizer arbeitet schon jetzt vorbeugend an einem Impfstoff-Update von Comirnaty, um keine Zeit zu verlieren. Erste Chargen von 25 bis 50 Millionen Dosen des veränderten Vakzins könnten innerhalb von 100 Tagen ausgeliefert werden, hieß es. Auch Moderna hat den Startschuss für die Überarbeitung von Spikevax gegeben. Man brauche aber Zeit, sagte Stéphane Bancel gegenüber der Financial Times. Im Laufe des kommenden Jahres könne Moderna zwei bis drei Milliarden Dosen herstellen. Im selben Atemzug warnte Bancel davor, die gesamte Produktion auf Omikron auszurichten, während noch andere Varianten grassieren.
Voraussetzung dafür, dass die neuen Mittel von Biontech/Pfizer und Moderna verimpft werden können, ist eine Zulassung der EMA. Sie sieht die Pharma-Konzerne in der Pflicht, rasch variantenspezifische Impfstoffe zu entwickeln, die dann bei Bedarf innerhalb von drei bis vier Monaten Impfstoffe genehmigt werden könnten.
Unterdessen mahnen Expertinnen und Experten dazu, weder mit Erst- noch mit Auffrischungsstichen auf neue Präparate zu warten. In Österreich herrsche nach wie vor die Delta-Variante vor, gegen diese würden existierende Vakzine sehr gut schützen, bekräftigte etwa Epidemiologin Schernhammer. "Da diese angepassten Impfstoffe frühestens nächstes Jahr im Februar oder März kommen werden, sollte man aber jetzt nicht darauf warten, sondern sich jetzt impfen oder boostern lassen", unterstreicht Immunologe Watzl. Ähnlich Virologe Drosten: "Neue Impfstoffe erst nach der Winterwelle. Nicht warten, sondern boostern."
"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es in einer geimpften Bevölkerung einen Neustart der Pandemie wie im letzten Jahr geben wird", gab zudem Andrew Pollard, Immunologe und Entwickler des Astra Zeneca-Impfstoffs gegen Covid-19 von der Universität Oxford, in einem BBC-Interview zu Protokoll.
Virologe Timm wies darauf hin, dass bei der Anpassung der Impfstoffe überlegt werden sollte, "ob das Spike-Protein als Zielantigen ausreichend ist oder, ob die Immunität durch Hinzunahme weiterer Virusproteine breiter aufgestellt werden kann".
Dafür, Impfstoffe anzupassen, spricht sich Immunologe Watzl aus: "Meiner Meinung nach wird es notwendig sein, die Impfstoffe anzupassen. Ein Booster mit einem angepassten Impfstoff würde genau die Gedächtniszellen stimulieren, die Antikörper produzieren, die auch Omikron neutralisieren können. Daher würde in Booster mit einem angepassten Impfstoff sicherlich auch einen guten Schutz gegen Omikron vermitteln."
Werden bereits entwickelte Antikörper-Therapien wegen Omikron jetzt wirkungslos?
Sie gelten als einer der größten therapeutischen Hoffnungsträger im Kampf gegen Covid-19: monoklonale Antikörper-Cocktails. Monoklonale Antikörper werden im Labor hergestellt und sollen das Virus nach einer Infektion außer Gefecht setzen. Monoklonal bedeutet, dass die eingesetzten Antikörper alle gleich sind und das Virus an einem fest definierten Ziel angreifen.
Erst Ende September hatte die WHO die Arznei Ronapreve als erste dritten Behandlungsansatz auf die Liste empfohlener Covid-19-Therapien gesetzt. Das Kombi-Präparat aus den Antikörper-Cocktails Casirivimab und Imdevimab wird Risikopatienten in einer Frühphase der Erkrankung vorbeugend verabreicht. Basis für die Empfehlung waren Daten aus dem British Medical Journal. Demnach verkürzt das Präparat der US-Firma Regeneron und des Schweizer Unternehmens Roche Krankenhausaufenthalte um vier Tage.
Nun befürchtet Regeneron, dass Omikron diese Erfolge zunichtemachen könnte: Casirivimab und Imdevimab binden an bestimmten Stellen auf dem Spikeprotein von SARS-CoV-2. Genau dort weist Omikron eine Vielzahl an 15 Mutationen auf, was dazu führen könnte, dass die künstlich hergestellten Antikörper das Spikeprotein nicht mehr erkennen. Für die Behandlung von SARS-CoV-2 wären sie dann wertlos.
Virologin Ciesek formulierte es auf Basis ihrer Untersuchungen auf Twitter ähnlich drastisch: "Die monoklonalen AK (Antikörper, Anm.) Imdevimab und Casirivimab sind – wie erwartet – bei Omikron wirkungslos."
Timm schätzt die Lage derzeit so ein: "Die ersten Ergebnisse zu der Wirksamkeit von Antikörpern gegen Omikron bestätigen leider unsere Befürchtungen bezüglich des sogenannten Immune Escapes. Demnach ist die Wirkung von monoklonalen Antikörpern für den therapeutischen oder prophylaktischen Einsatz und auch von Antikörpern nach Impfung gegen Omikron drastisch reduziert."
Doch es gibt durchaus auch erbauliche Neuigkeiten: So soll das Antikörper-Präparat Covid-19-Präparat Xevudy, das den Antikörper Sotrovimab enthält, ersten Erkenntnissen zufolge alle getesteten besorgniserregenden Varianten, einschließlich der Schlüsselmutationen von Omikron, neutralisieren. Das gab die Firma Glaxo-Smith-Kline, die Sotrovimab gemeinsam mit Vir Biotechnology entwickelt hat, zumindest in einer aktuellen Pressemitteilung bekannt. Die ersten Daten müssten nun noch in weiteren Tests bestätigt werden. Bis Ende des Jahres sollen belastbare Befunde geben. Sotrovimab wurde nach den USA, Australien, Saudi-Arabien und Japan jetzt auch in Großbritannien zugelassen. Das Hersteller-Gespann hat vor Kurzem bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Antrag auf Zulassung eingereicht. Zum Einsatz kommen soll Xevudy zur Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf.
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