Forscher finden Auffälligkeiten: Wird Long Covid im Blut nachweisbar?
"Endlich kommt Licht in den Long-Covid-Tunnel", schrieb der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter. Und der US-Mediziner Eric Topol formulierte in seinem Blog: "In nur einer Woche haben wir über Long Covid mehr gelernt als in vielen Monaten der Covid-Pandemie." Beide beziehen sich dabei unter anderem auf eine Studie unter der Leitung der Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale Universität in den USA, die international für viel Aufsehen sorgt. Sie ist als Preprint erschienen und wurde noch nicht von externen Expertinnen und Experten überprüft.
Sie verglichen Laborbefunde von 99 Probandinnen und Probanden mit Long Covid mit 215 gesunden Personen, die teilweise infiziert waren, aber ohne andauernde Symptome. Dabei fanden sie bei den Long-Covid-Patienten Auffälligkeiten im Unterschied zu den anderen:
- Eine erhöhte Zahl von erschöpften Abwehrzellen (T-Zellen) – ein Hinweis darauf, dass sie dauerhaft aktiviert werden. Wodurch, ist noch nicht geklärt, diskutiert werden aber im Körper verbliebene Virusbestandteile.
- Antikörper gegen verschiedene Herpes-Viren, darunter das Epstein-Barr-Virus (EBV), mit dem sich im Laufe des Lebens mehr als 90 Prozent der Menschen infizieren, waren erhöht. Möglicherweise werden schlummernde Herpes-Viren – EBV und auch das Varizella-Zoster-Virus – bei Long Covid reaktiviert, vermutet Studienleiterin Iwasaki.
- Die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut war stark verringert. Es wirkt dämpfend auf das Immunsystem und hemmt Entzündungen. Der geringe Spiegel könnte demnach auch eine Erklärung für Long-Covid-Symptome sein. Für Iwasaki war der Cortisolspiegel der signifikanteste Vorhersagewert für Long Covid.
Auf Twitter schrieb Iwasaki: "Wir hoffen, dass diese Daten jenen helfen werden, die immer noch skeptisch sind, zu verstehen, dass Long Covid real ist und eine biologische Basis hat."
Für Thomas Berger, Leiter der Uni-Klinik für Neurologie der MedUni Wien / AKH Wien, handelt es sich „um eine wichtige Studie, die einen Beitrag zur Ursache von Post- bzw. Long-Covid-Beschwerden liefern könnte, aber dafür müssen die Daten erst bestätigt werden. Und es bleiben auch noch Fragezeichen übrig.“
So habe man bisher schwere akute Covid-19-Verläufe mit erhöhten Cortisolspiegeln in Zusammenhang gebracht, bei Long Covid scheine es jetzt anders zu sein: "Aufs Erste ist das ein Widerspruch, aber hier sind weitere Studien notwendig."
Die Uni-Klinik für Neurologie hat selbst eine "Neurologische (Post)-Covid-Ambulanz": "Wir werden die Yale-Studie zum Anlass nehmen, jetzt auch bei unseren eigenen Patienten die Cortisol-Spiegel zu überprüfen."
Für Routine-Blutuntersuchungen auf die in der Studie untersuchten Biomarker sei es aber noch zu früh: "Bevor man das machen kann, müssen diese ersten Daten erst bestätigt werden." Er beschäftigte sich seit 30 Jahren mit der Aussagekraft von Biomarkern, also messbaren biologischen Merkmalen, etwa im Blut: "Vieles, was anfänglich als wissenschaftlich interessant aussah, hat sich dann für die Routine nicht bewährt. Insofern bin ich vorerst gedämpft optimistisch."
Verschiedene Theorien
"Die Evidenz steigt, dass verbliebene SARS-CoV-2-Viren – oder Fragmente davon – Probleme verursachen können, weil sie das Immunsystem stimulieren", hieß es kürzlich in einem Bericht im Fachmagazin Nature. Auch Mini-Blutgerinnsel in den kleinsten Gefäßen werden als eine Ursache für Long-Covid-Beschwerden diskutiert. Und nicht zuletzt gibt es auch die Hypothese, dass eine SARS-CoV-2-Infektion Antikörper produziert, die sich gegen eigenes Gewebe richten (Autoimmunreaktion).
Zeitraum
Generell werden als Long Covid jene Symptome bezeichnet, die länger als 4 bis 12 Wochen nach einer Infektion noch vorhanden sind. Die Symptome können mehrere Monate, teilweise auch länger anhalten. In vielen Fällen heilen die Symptome aber wieder zur Gänze aus.
Häufigkeit
Laut einer im Fachblatt The Lancet veröffentlichten Studie aus den Niederlanden leidet jeder achte Infizierte Wochen oder Monate nach der Infektion an mindestens einem Symptom von Long Covid. Allerdings war das vor Omikron. Ermutigend sei, dass "neue Daten aus anderen Studien darauf hinweisen, dass es bei Menschen, die geimpft oder mit der Omikron-Variante infiziert waren, eine geringere Long-Covid-Rate gibt", schreiben die Autoren – rund fünf Prozent.
200 Symptome
wurden von Betroffenen in Studien bereits genannt, die häufigsten waren Müdigkeit, eine geringe Belastbarkeit und kognitive Störungen ("Brain Fog").
"Noch sind die tatsächlichen Ursachen aber unklar", sagt Berger. Wichtig sei, in einer Differenzialdiagnose zunächst andere (neurologische) Erkrankungen als Auslöser der Beschwerden auszuschließen – dies geschehe auch an der Neurologischen Post-Covid-Ambulanz seiner Klinik. Und man werde auch in Zukunft von Erkrankungsfällen ausgehen müssen, bei denen keine organische Ursache nachweisbar sein werde: "Das ändert nichts daran, dass wir als Ärzte die Symptome immer ernst nehmen und behandeln müssen. Sonst bleiben die Patienten zwischen den Sesseln in der Luft hängen."
Denn anhaltende körperliche und geistige Erschöpfung (Fatigue), Schlafstörungen und kognitive Beeinträchtigungen wie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen "sind einfach real. Das dürfen wir nicht abtun, auch wenn wir keine organische Ursache finden."
Kommentare