Forscher entdecken Ursache für Corona-Entzündungssyndrom PIMS

Forscher entdecken Ursache für Corona-Entzündungssyndrom PIMS
Das schwere Multi-Entzündungssyndrom basiert wahrscheinlich auf einen Fehler im angeborenen Immunsystem.

Kinder erkranken zumeist nicht an schweren Verläufen einer SARS-CoV-2-Infektion. Doch eines von rund 10.000 Kindern mit Covid-19 erkrankt rund vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase an einer schweren Entzündungsreaktion, die viele Organe betreffen und lebensgefährlich sein kann.

Die Symptome sind Fieber, Hautausschläge, Bauchschmerzen, Durchfall, Herzmuskelentzündung, Lymphknotenschwellungen und sogar Gefäßveränderungen der Koronararterien des Herzens - das Syndrom beruht offenbar auf einer überschießenden Entzündungsreaktion der kleinen und mittelgroßen Blutgefäße und kann praktisch den ganzen Körper betreffen. Rund die Hälfte der Kinder muss auf einer Intensivstation behandelt werden.

Ungeimpfte Kinder sind laut einer dänischen Studie häufiger betroffen: Bei Ungeimpften wurde ein Risiko für eine PIMS- bzw. MIS-C-Erkrankung von 35 Fällen pro 1 Million Infizierter ermittelt. Bei Geimpften liegt laut der Studie das Risiko bei 3,7 Fällen pro 1 Million infizierter Kinder und Jugendlicher.

Jetzt haben Forscher eine Ursache für diese Komplikation gefunden: PIMS (Pediatric Inflammatroy Multisystem Syndrome oder auch MIS-C, Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) dürfte laut neuesten Forschungsergebnissen auf Genmutationen im angeborenen Immunsystem beruhen. Dies berichteten jetzt US-Wissenschafter in der Wissenschaftszeitschrift Science.

In den USA starben 71 von rund 9.000 Kindern mit PIMS, das dem seit langem bekannten sogenannten Kawasaki-Syndrom bei Kindern ähnelt. Dafür wurden immer schon überstandene Infektionen und eine darauf folgende überschießende Immunreaktion als krank machende Abläufe vermutet. Wie das allerdings funktioniert, war bisher nicht bekannt.

Robert Silverman von der Cleveland Clinic (Ohio/USA) und Jean-Laurent Casanova (Rockefeller University/New York) haben mit ihren Teams jetzt erstmals genetische Faktoren identifizieren können, die offenbar das Entstehen des Syndroms bei Kindern begünstigen (Sie können die Studie hier auf Englisch nachlesen.). Die Viruslast dürfte keine Rolle spielen.

Genom von 558 Kindern entschlüsselt

Im Rahmen des "Covid Human Genetic Effort" wurden von den Wissenschaftern das Genom oder die in den Zellen produzierten Proteine von 558 Kindern sequenziert, die an PIMS erkrankt waren. Die Daten wurden mit Kindern verglichen, die Covid-19 überstanden hatten und später dieses Multi-Entzündungssyndrom nicht bekommen hatten. Bei fünf kleinen PIMS-Patienten wurden sie erstmals fündig: Sie wiesen Mutationen in den Genen für die Proteine OAS oder RNase L auf.

"Die Produktion von OAS-Proteinen wird durch Interferone als erste Verteidigungslinie gegen Virusinfektionen gefördert. Wenn sie doppelsträngige RNA 'riechen', aktivieren diese OAS-Proteine das Enzym RNase L. Das soll die Vermehrung und Verbreitung der Viren verhindern", schrieben die Cleveland Clinic und die Rockefeller University in einer Presseaussendung.

Silverman erklärt: "Die Rnase L funktioniert wie eine Schere, die RNA zerschneidet, die in Proteine übersetzt wird. Das umfasst auch Proteine, die als Zytokine (Immunbotenstoffe; Anm.) Entzündungsreaktionen auslösen." Die im Rahmen des Projekts identifizierten Mutationen in den Genen für OAS-Eiweiße oder für das RNase L-Enzym dürften auf zweifacher Ebene eine schädliche Wirkung haben: Sie verhindern als OAS-Mutationen entweder die Funktion der RNA-Schere oder bewirken, dass dieses Enzym überhaupt nicht gebildet wird (Mutationen im RNase L-Gen).

Die Folge dürfte eine starke Entzündungsreaktion sein, die durch Immunzellen (Monozyten und Makrophagen) vermittelt wird. Daraufhin werden Bestandteile von SARS-CoV-2 - auch noch Wochen nach der akuten Erkrankung und nach Ende der Gefahr - den sogenannten T-Zellen als "fremd" präsentiert. Die T-Zellen greifen schließlich "wild" Gewebe an.

"Die T-Zellen sind dann, so vermutet Silverman, für die entzündlichen Angriffe auf die Blutgefäße verantwortlich, die PIMS und dem Kawasaki-Syndrom vermutlich zugrunde liegen. Da die erworbene Immunabwehr erst mit zeitlicher Verzögerung aktiv wird, würde dies erklären, warum die Kinder erst Wochen nach der Infektion an PIMS erkranken", schrieb das Deutsche Ärzteblatt dazu.

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