Anhand eines auf mathematischen Modellen basierenden Computersystems durchstöberten die Forschenden Blutproben von 375 Patientinnen und Patienten des Tongji Spital in Wuhan. 201 Betroffene erholten sich, 174 starben am Coronavirus. Die hohe Sterblichkeitsrate hängt damit zusammen, dass ins Tongji Spital im Corona-Epizentrum besonders viele schwere Fälle eingeliefert wurden.
Das Forscherteam stieß jedenfalls auf drei Blutbestandteile, sogenannte Biomarker (Biomarker sind in der Medizin Messwerte, die für Diagnosen herangezogen werden), die das Todesrisiko verlässlich prognostizierten: das Enzym Lactatdehydrogenase (LDH), das Plasma-Protein CRP und Lymphozyten, eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die für Krankheitserregerabwehr zuständig sind.
Werkzeug, um rasch zu reagieren
Franz Wiesbauer, Internist und Dozent für Innere Medizin an der MedUni Wien, sieht in dem Berechnungsmodell ein praktikables Werkzeug zur frühzeitigen Risikobewertung: "Für den Alltag im Krankenhaus und den Umgang mit Patienten ist das sicher nützlich. Denn wir wissen, dass sich der Zustand von Covid-Patienten rasch und massivst verschlechtern kann. So ein Tool kann helfen, diesen Punkt nicht zu verpassen." Die komplexe Situation ließe sich so besser bewältigen.
Dass die genannten Biomarker bei Covid-19 relevant sind, sei "allerdings nichts Neues", betont Günther Weiss, Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin. "Diese Parameter werden bei der Behandlung auch schon länger beachtet. Im Endeffekt sind diese Erkenntnisse also nicht wirklich bahnbrechend", gibt er zu bedenken.
Die LDH ist bei allen Infektionskrankheiten relevant. Alle Gewebszellen im menschlichen Körper tragen dieses Enzym. Bei einer schweren Entzündung oder Infektionen kommt es zum Zellzerfall, was wiederum zu einer höheren Konzentration von LDH im Blut führt. "Dieser Messwert zeigt im Grunde an, ob die Erkrankung schwer oder sehr ungünstig verläuft", erklärt Infektiologe Weiss.
Das Plasma-Eiweiß CRP ist ebenfalls ein klassischer Biomarker, der bei Entzündungen erhöht ist. "Bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten hat man gesehen, dass dieser Wert ordentlich ansteigt. Das ist auf eine extreme Reaktion des Immunsystems zurückzuführen, es kommt zu überschießenden Entzündungsreaktionen im gesamten Körper", skizziert Weiss. Je heftiger die Immunreaktion läuft, desto schwerer erkranken die Betroffenen, desto schwerer ist die Lunge betroffen – und umso häufiger muss beatmet werden.
Die zu den weißen Blutkörperchen gehörenden Lymphozyten sind für die Koordination der Immunantwort bei Virusinfektionen zuständig. Im Gegensatz zu den beiden anderen Markern sollte ihre Zahl erhöht sein. "Denkbar ist, dass das neuartige Coronavirus die Vermehrung der Lymphozyten ungünstig hemmt oder deren Verteilung im Körper beeinflusst, sodass deren Anzahl im Blut sinkt", beschreibt Weiss.
Daran, wie Ärzte die Behandlung von Spitalspatienten konkret planen, ändere das Modell wenig. Weiss: "Hier geht es vielmehr darum, die Atemfunktion der Menschen genau zu überwachen und zu optimieren, notfalls zu beatmen und etwaige Begleitprobleme zu behandeln."
Risikofaktoren genauer bestimmen
Relevanter als die Prognose per Blutbild sei zudem zu wissen, welche Behandlung in welchem Erkrankungsstadium hilft: "Bei Covid-19 beobachten wir einen wellenförmigen Verlauf. Der Patient stabilisiert sich, dann bricht er oftmals quasi vollkommen zusammen, und zwar binnen Stunden. Hier gilt es herauszufinden, welche Medikamente in welchem Stadium der Krankheit am besten helfen und eine Genesung fördern."
Auch die Rolle von Risikofaktoren beim Erkrankungsverlauf gelte es weiter zu erforschen. So würden etwa Männer nach einer Ansteckung öfter schwer erkranken – hier dürften hormonelle Faktoren beeinflussend wirken. Auch genetische Faktoren, die bestimmen, wie das Immunsystem auf das Virus reagiert, sollten weiter untersucht werden. "Sie scheinen einen Einfluss darauf zu haben, ob man einen leichten oder schweren Verlauf hat und ob man auf die Intensivstation kommt."
Wesentlich sei laut Weiss hier eine Vernetzung unter den Spitälern und Forschungseinrichtungen, "denn nur mit einer hoher untersuchten Patientenzahl kann man gehaltvolle Aussagen treffen". Dies sei im Übrigen ein Schwachpunkt der Studie: die geringe Fallzahl.
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