Coronavirus-Impfstoff: Wie weit die Forschung bereits gekommen ist
"Von den Ergebnissen, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, bin ich sehr positiv überrascht. Vor ein paar Monaten noch hätte ich nicht gedacht, dass es möglich sein wird, bis Jahresende einen zugelassenen Impfstoff zu haben. Aber mittlerweile sehe ich das etwas anders. Möglicherweise geht sich noch heuer eine Zulassung aus."
So kommentiert die Virologin Christina Nicolodi (sie ist selbst im Bereich der Zulassung von Biotech-Arzneimitteln tätig) die jüngsten Entwicklungen in der Forschung nach einem Covid-19-Impfstoff. Mehrere Forschungsgruppen berichteten von deutlichen Reaktionen des Immunsystems, die auf eine Schutzwirkung hindeuten. Doch gleichzeitig betont die Forscherin auch: "Die wirkliche Nagelprobe steht für alle Projekte noch aus."
Drei wichtige Neuigkeiten:
Spitzenreiter Oxford:
Der Impfstoff der Universität Oxford und des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens AstraZeneca löst eine doppelte Reaktion des Immunsystems aus: Schützende Antikörper werden ebenso gebildet wie Abwehrzellen, die das Virus attackieren. "Diese Zellen sind eine wichtige Armee des Immunsystems", sagt Nicolodi. Die britischen Forscher waren auch die ersten, die mit einer Phase-3-Studie (Grafik) begonnen haben: Mehr als 30.000 Probanden sollen in den USA geimpft werden, 5.000 in Brasilien und 2.000 in Südafrika. Die Impfstoffproduktion könnte im Optimalfall noch heuer beginnen.
Weitere Top-Projekte:
Auch die Forscher des Mainzer Unternehmens Biontech und der US-Pharmafirma Pfizer berichteten – ebenso wie der chinesische Hersteller CanSino – neben der Bildung von Antikörpern von einer verstärkten Produktion von Abwehrzellen nach der Impfung. Die US-Firma Moderna sprach bereits in der Vorwoche von einer "robusten Immunreaktion".
Neues zu Antikörpern:
Möglicherweise halten Antikörper doch länger, als dies in den vergangenen Wochen mehrfach vermutet wurde: Bei mehr als 80 Prozent von 327 Covid-19-Patienten, die im Jänner in Wuhan erkrankt waren, sind sechs Monate später noch schützende Antikörper nachgewiesen worden. "Dass die Antikörper-Spiegel nach einiger Zeit sinken, heißt auch noch nicht, dass man nicht mehr geschützt ist", betont Nicolodi: "Denn alle Informationen sind nach wie vor in Gedächtniszellen abgespeichert. Kommt es zu einer neuerlichen Virusattacke, wird die Antikörperproduktion sofort hochgefahren." Und das könnte die Infektion gänzlich verhindern oder ihre Schwere zumindest deutlich mildern.
Flexibles Verfahren
Trotz der rasanten Entwicklung gebe es keine Abstriche bei der Sicherheit, betont Nicolodi. Aber wie ist dann dieses Tempo möglich?
"Gesundheitsbehörden weltweit haben sich auf ein flexibleres Genehmigungsverfahren geeinigt", erklärt sie: "Früher ging man Schritt für Schritt vor: Nach jeder klinischen Phase wurde ein Bericht geschrieben und dann erst die nächste Phase gestartet. Erst am Schluss stellte die Firma den Zulassungsantrag." Jetzt aber werden schon während der Studienphasen den Behörden Daten übermittelt und von diesen begutachtet. "Das beschleunigt den ganzen Prozess ungemein."
Und trotz aller Euphorie sei aber noch Geduld notwendig:
– Wirknachweis:
"Auch wenn man gute Reaktionen des Immunsystems beobachtet und diese auf eine Schutzwirkung hindeuten: Den tatsächlichen Nachweis, dass Menschen vor einer Infektion geschützt werden, hat noch kein Impfstoff erbracht."
– Ältere Menschen:
Bisher wurden die Impfstoffe zumeist an Menschen zwischen 18 und 55 Jahren getestet, erst in Phase 3 werden auch Ältere eingeschlossen: "Ihr Immunsystem ist aber schwächer – ob auch ihr Immunsystem gut reagiert, wissen wir deshalb noch nicht."
– Nebenwirkungen:
Nach der Gabe des Impfstoffes der Uni Oxford bekamen rund 70 Prozent der Studienteilnehmer Fieber oder Kopfschmerzen – beides konnte mit Paracetamol gut behandelt werden. "Wir müssen aber jetzt abwarten, ob bei Teilnehmerzahlen von einigen Tausend seltene Nebenwirkungen beobachtet werden."
– Verteilung:
Eine erste Impfstoffzulassung im heurigen Jahr bedeutet nicht, dass der Impfstoff sofort verfügbar ist. Großbritannien etwa hat bereits 100 Millionen Dosen des Oxford-Impfstoffes bestellt. Aber: "Durch die Erfolgsmeldungen verschiedener Hersteller bin ich zuversichtlich, dass es 2021 eine breite Verfügbarkeit von Impfstoffen geben wird – auch für Menschen, die nicht in Industriestaaten leben."
Kommentare