Zuletzt war es Mittwoch ein US-Impfstoffkandidat für SARS-CoV-2, der aufhorchen ließ: 45 Teilnehmer einer Studie entwickelten nach zwei Injektionen mehr schützende Antikörper als nach einer Virusinfektion. In Europa zählt der experimentelle Impfstoff der Tübinger Firma Curevac zu den Hoffnungsträgern. Der Österreicher Peter Kremsner leitet die erste klinische Studie zur Testung der Sicherheit – und hat die ersten Impfungen selbst durchgeführt.
KURIER:Wie geht es den ersten Geimpften?
Peter Kremsner: Ausgezeichnet, es läuft alles sehr gut. Mehr als 50 Personen sind bereits geimpft, es ist bis jetzt nichts Unerwartetes aufgetreten. In dieser ersten Studie untersuchen wir an gesunden Freiwilligen zwischen 18 und 60 Jahren die Sicherheit und Verträglichkeit. 168 Probanden können wir aufnehmen – insgesamt hatten wir an die 4.000 Bewerbungen.
Ich habe schon rund 200 klinische Studien durchgeführt und meist sind wir bei Sicherheitsstudien froh, wenn sich 100 Teilnehmer melden. Dass es jetzt so viele sind, hatten wir – in diesem Ausmaß – nicht erwartet. Aber eine Pandemie ist ein Weltereignis, da wollen alle mithelfen. Das merke ich auch an den bisher rund 200 Zuschriften: Fast alle sind positiv und motivierend. Eine war ein wenig durchwachsen und nur eine einzige war so, dass ich sage, das will ich nicht mehr bekommen.
Es gibt Bedenken, ob ein Impfstoff langfristig wirkt – weil nach einer Infektion die schützenden Antikörper oft rasch weniger werden.
Das haben wir auch bei eigenen Daten gesehen: dass bei einem Teil der Genesenen kaum messbare oder gar keine Antikörper vorhanden sind, obwohl sie nachweislich Covid-19 hatten. Besonders bei milden Krankheitsverläufen ist das der Fall. Aber hohe Antikörperspiegel bedeuten nicht unbedingt, dass man geschützt ist – und niedrige nicht unbedingt, dass man nicht geschützt ist.
Direkt nach der Hepatitis-B-Impfung hat man viele schützende Antikörper, in den Jahren danach können sie unter die Nachweisgrenze sinken. Trotzdem bleibt man ein Leben lang geschützt. Umgekehrt haben unsere Studien mit einem Malaria-Impfstoff gezeigt, dass manche Menschen mit hohen Antikörper-Spiegeln geschützt waren, andere trotzdem wieder erkrankten. Wie es bei Covid-19 sein wird und ob die Impfung aufgefrischt werden muss, wissen wir noch nicht. Wir impfen jedenfalls zweimal.
Globale Erfahrung
Der aus dem Burgenland stammende Infektiologe und Tropenmediziner Peter Kremsner, 59, studierte in Wien, arbeitete in Brasilien, Berlin und Gabun, wo er Forschungsdirektor am Albert-Schweitzer-Hospital war. Seit 1996 ist er in Tübingen, er ist Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie der MedUni Tübingen.
Malaria-Impfstoff
Wegen Corona stocken gerade seine Forschungen an einem wirksamen Malaria-Impfstoff: „Der ist genauso wichtig – aber hier fehlt die Aufmerksamkeit.“ Kremsner ist österreichisch-gabunischer Doppelstaatsbürger.
Curevac und auch die US-Firma Moderna haben ein neues Konzept: Geimpft wird die genetische Information für ein Oberflächeneiweiß des Virus. Der Körper produziert dann diesen Virusteil selbst – und baut einen Schutz auf. Wird das funktionieren?
Es gibt gute Daten aus ersten Studien, auch mit Impfstoffkandidaten gegen andere Krankheiten, dass es zu einer deutlichen Reaktion des Immunsystems kommt. Ob die Wirksamkeit dann aber tatsächlich so ist wie erhofft, werden wir erst in den nächsten Monaten wissen. Diese Technologie wurde in den vergangenen Jahren aber immer besser. Solche Impfstoffe sind sehr leicht und rasch in großen Mengen herstellbar und sehr stabil. Das ist aus meiner Sicht ein Vorteil gegenüber anderen Ansätzen.
So erfreulich die geringe Zahl der Erkrankten in Europa derzeit ist: Können Sie hier die Wirksamkeit eines Impfstoffes testen?
Im Moment geht das tatsächlich nicht. Bleiben die Erkrankungszahlen so niedrig, werden wir in andere Länder ausweichen. Eine Möglichkeit ist aber auch, sehr gesunde Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zu impfen und dann – ärztlich überwacht und abgeschirmt – gezielt mit SARS-CoV-2 zu infizieren. Hier hat mich die WHO mit anderen Experten aufgefordert, eine Strategie zu entwickeln, wie man das mit größtmöglicher Sicherheit und ethisch vertretbar durchführen kann. Das würde Studien zur Zulassung eines Impfstoffes beschleunigen. Das Konzept ist nicht neu: Wir haben es z. B. schon bei Studien mit einem Malaria-Impfstoff durchgeführt.
Wann könnte in Europa ein Impfstoff zugelassen sein? Und wird er sicher sein?
Mit den Bestimmungen der EU wird es vor Anfang 2021 nicht möglich sein. Trotzdem ist das irrsinnig schnell. Bei Sicherheitsfragen geben die europäischen Behörden aber keinen Zentimeter nach. Mit zumindest 5.000 Probanden werden wir bereits Nebenwirkungen erkennen können, die bei einem von tausend Geimpften auftreten. Ab dieser Teilnehmerzahl ist eine vorerst beschränkte Zulassung eines Impfstoffes denkbar. Dann könnte man zuerst Risikopersonen impfen, weil für sie ein Schutz am wichtigsten ist.
Und wie hoch stehen die Chancen auf einen wirksamen Impfstoff tatsächlich?
Angesichts von rund 150 Projekten weltweit – rund 20 werden schon am Menschen geprüft –, sehe ich eine hohe Chance für einen sehr gut wirksamen Impfstoff, der auch lange wirken wird. Wahrscheinlich wird es 2021 mehrere, vielleicht sogar 10 oder 20 verschiedene Impfstoffe geben – die wirksamsten werden sich durchsetzen. Bis dahin müssen wir noch ein wenig die Zähne zusammenbeißen, Nasen-Mund-Schutz tragen, Abstand halten und Reisebeschränkungen für Risikogebiete erlassen.
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