30.000 Einträge verzeichnet die Datenbank PubMed unter "Covid-19", die Erkrankung, die durch das neue Coronavirus ausgelöst werden kann. "Noch nie in der Geschichte sind zu einem Erreger innerhalb eines halben Jahres so viele Studien gemacht worden", sagt Reinhard Würzner, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, MedUni Innsbruck. "Wir haben seit Jänner enorm viel gelernt. Aber wir Wissenschafter sagen auch immer: Wenn man eine Frage beantwortet hat, tun sich gleich zwei neue auf." Alleine, dass mittlerweile rund 150 Impfstoffkandidaten getestet werden, mehrere davon bereits an Menschen, sei eine unglaubliche Leistung.
Die Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt, MedUni Wien, nennt ein Beispiel für den Erkenntnisgewinn: "Wir haben etwa gelernt, dass sich dieses Coronavirus nicht so flächig ausgebreitet hat wie andere Infektionskrankheiten. In Clustern tritt es oft sehr stark auf. Wo es hingegen weniger solche Ausbrüche gibt, sind die Infektionszahlen eher gering." Deshalb setze man jetzt auch die Maßnahmen zur Eindämmung nicht so gießkannenmäßig wie am Anfang. Würzner: "Wir können heute gezielter handeln. Deshalb spreche ich auch nicht gerne von Wellen. Weil das suggeriert, dass man von ihr erfasst wird, ohne dagegen etwas tun zu können. Wir aber können heute schon viel tun."
Impfstoff
Was wir wissen:
Ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 gilt als wichtigstes Werkzeug, um COVID 19 in den Griff zu bekommen. Rund 150 Vakzine sind laut WHO in Entwicklung. Um die Sicherheit zu gewährleisten, müssen sie mehrere Testphasen mit in Summe Zehntausenden Patienten durchlaufen. 15 der Kandidaten befinden sich derzeit in Phase eins, zehn in Phase zwei und vier in Phase drei (der letzten vor der Zulassung), schreibt die New York Times. Einige basieren auf harmlosen Transportviren, die so verändert werden, dass sie charakteristische Oberflächenbestandteile des Coronavirus aufweisen. Diese Viren lösen keine Erkrankung aus, aber das Immunsystem baut einen Schutz auf. Im Rennen sind erstmals auch Impfstoffe, die nur den genetischen Bauplan für Proteine (Eiweiße) des Coronavirus enthalten – der Körper produziert diese dann und das Immunsystem baut einen Schutz dagegen auf.
Was wir nicht wissen:
Bis dato ist unklar, wann ein Impfstoff die Marktreife erreichen wird und wie rasch er in ausreichender Menge produziert werden kann. "Derzeit werden in vielen Ländern die Impfkonzepte diskutiert und eine mögliche Priorisierung der zu Impfenden, wenn es anfänglich nicht genügend Impfdosen gibt", betont Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt. Viele Experten gehen davon aus, dass es nicht nur einen einzigen, sondern mehrere Impfstoffe für unterschiedliche Personengruppen geben wird. In Impfkonzepte müsse auch das Wissen um die natürliche Immunantwort bei einer Erkrankung einfließen, um die Langzeitwirksamkeit von Impfstoffen besser einschätzen zu können: "Bei diesen Kernfragen sind wir erst in der Evaluierungsphase."
Immunität
Was wir wissen:
"Bei einem Viruskontakt werden virusspezifische Antikörper gebildet", sagt Immunologin Wiedermann-Schmidt. Für eine mögliche Immunität sei jedoch die Bildung neutralisierender Antikörper entscheidend. Diese werden in einem geringeren Maße, aber unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung, ausgebildet.
Was wir nicht wissen:
Wie lange eine Immunität anhält, ist unklar – wenige Monate bis zu einem Jahr schätzen Experten. Wiedermann-Schmidt verfolgt in einer Studie den Status von Genesenen über sechs Monate.
Verlauf der Erkrankungen
Was wir wissen:
"Die Daten sind eindeutig, dass Alter und zusätzliche Vorerkrankungen die prominentesten Risikofaktoren sind", sagt Wiedermann-Schmidt. Bei schweren Verläufen einer Infektion mit Sars-CoV-2 gibt es zwei Erkrankungsphasen: Zuerst eine starke Virusvermehrung in den Zellen, danach eine überschießende Antwort des Immunsystems.
Was wir nicht wissen:
Wie und zu welchem Zeitpunkt sich die beiden Erkrankungsphasen aufschaukeln und welche Faktoren diese begünstigen.
Langzeitfolgen
Was wir wissen:
Viele Erkrankte berichten noch Wochen und Monate nach ihrer Genesung über Beschwerden, nicht nur der Lunge. Auch Abgeschlagenheit sowie Geschmacks- und Riechstörungen und Schwindel kommen häufig vor. Bei einem Drittel bis einem Viertel der in Spitälern behandelten Covid-19-Patienten traten unterschiedlichste neurologische Probleme auf. Bei schweren Krankheitsverläufen können das u. a. auch Schlaganfälle oder Hirnentzündungen sein. Auch kardiologische Beschwerden wurden berichtet. So zeige eine Studie des Uni-Klinikums Hamburg-Eppendorf, dass Coronaviren auch Herzzellen infizieren und die Aktivität von Genen fördern können, die Entzündungen begünstigen. Zwar zeigte sich keine akute Herzmuskelentzündung, Langzeitfolgen können durch diese Veränderungen aber nicht ausgeschlossen werden.
Was wir nicht wissen:
Da das Virus erst sei einem guten halben Jahr Menschen infiziert, ist über wirklich langfristige Folgen noch nichts bekannt. "Wir wissen von anderen Infektionskrankheiten, wo Patienten mehrere Jahrzehnte lang nachuntersucht wurden, dass bestimmte Symptome erst nach ein oder zwei Jahrzehnten auftreten können", sagt Würzner. "Es könnte also sein, dass Covid-19-Patienten in zehn Jahren ein Problem haben, das man jetzt noch gar nicht kennt." Allerdings muss das nicht sein – und wenn, könnten es auch nur milde Symptome sein. "Derzeit ist das aber alles Spekulation."
Mutation
Was wir wissen:
Das Virus ist genetisch bereits sehr gut an den Menschen angepasst. Der Umstand, dass Infizierte bereits ein bis zwei Tage vor ersten Symptomen andere anstecken, erleichtert seine Ausbreitung. Es hat also keinen Anpassungsdruck und verändert sich nur langsam.
Was wir nicht wissen:
In welche Richtung sich das Virus entwickelt. In den vergangenen Monate hat sich eine spezielle Variante durchgesetzt, die im Labor infektiöser ist und die Virusmenge im Körper Erkrankter erhöht. Was das bedeutet ist unklar.
Wirkung der Maske
Was wir wissen:
"Eine Maske hält den Großteil der Tröpfchen und auch der Aerosole (kleine Tröpfchenkerne, Anm.) zurück", sagt Würzner. Ein Infizierter, der noch nichts von seiner Infektion weiß, gefährdet also andere deutlich weniger.
Was wir nicht wissen:
Wie stark Masken das Risiko einer Ansteckung erhöhen können, wenn sie oft angefasst werden oder zeitweise nach unten zum Kinn und dann wieder über Mund und Nase gezogen werden.
Rolle von Kindern
Was wir wissen:
Kinder erkranken deutlich seltener als Erwachsene. "Bisherige Daten aus mehreren Studien deuten daraufhin, dass sie sich auch seltener infizieren", sagt der Kinderarzt Volker Strenger von der MedUni Graz. Bei zwei großen Sars-CoV-2-Studien unter mehreren tausend Wiener Schülerinnen und Schülern konnten nur zwei Infektionen nachgewiesen werden. Und viele internationale Studien ergaben bisher, dass dort, wo in den vergangenen Monaten Schulen offen waren, es zu keinen Clustern gekommen ist. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Israel. Wenige Tage nach der Öffnung der Schulen kam es dort zu einem deutlichen Anstieg der positiv getesteten Schülerinnen und Schüler.
Was wir nicht wissen:
Nicht endgültig geklärt ist die Frage, wie ansteckend Kinder sind. Vieles deutet daraufhin, dass sie nicht nur seltener Symptome zeigen, sondern auch tatsächlich seltener das Virus weitergeben. Das Problem ist: "Wir wissen nicht, wie groß der Anteil der infizierten Kinder ohne Symptome ist. Wahrscheinlich sind sie weniger ansteckend als Erwachsene, sicher nicht mehr ansteckend." Dies dürfte auch umso mehr gelten, je jünger die Kinder sind. Warum es aber gerade in Israel zu einer Häufung von Fällen in Schulen gekommen ist, ist noch unklar. Schnelle PCR-Tests im Herbst werden deshalb unumgänglich sein.
Medikamente und Therapie
Was wir wissen:
In den vergangenen Wochen gab es zwei Erfolgsmeldungen: Remdesivir (hemmt die Virenvermehrung) kann den Krankheitsverlauf verkürzen, unklar ist noch die Auswirkung auf die Sterberate. Das entzündungshemmende Präparat Dexamethason senkt die Sterblichkeit. Diese Präparate stehen für zwei Medikamentengruppen: Antivirale Medikamente in der früheren Krankheitsphase zum Stopp der Virenvermehrung bzw. um zu verhindern, dass Viren in (Lungen-)zellen eindringen (z. B. das "Penninger-Medikament" APN01). Und in der zweiten Phase antientzündliche Medikamente: Sie sollen die Abwehrreaktionen des Körpers so begrenzen, dass diese nicht noch mehr Schaden anrichten als die Viren selbst.
Was wir nicht wissen:
Welcher Ansatz langfristig bedeutsamer sein wird. "Es scheinen die Medikamente, die das Immunsystem bremsen, bei schwer Kranken doch sehr gut zu wirken. Es ist durchaus möglich, dass diese Medikamente in Zukunft das Rennen machen als wirksame Therapie von Covid-19, weil eben bei schweren Verläufen die Überreaktion des Immunsystems so eine große Rolle spielt", sagt Würzner. Auch noch nicht bekannt ist, wie gut das von Josef Penninger entwickelte Präparat APN01 wirkt, das die Infektion von Zellen blockiert und entzündlichen Reaktionen in der Lunge entgegenwirkt.
Zweite Welle
Was wir wissen:
Lockerungen der Maskenpflicht oder der Beschränkungen von Veranstaltungen lassen die Fallzahlen steigen. Viele Experten wollen aber nicht von einer zweiten Welle reden: "Diese würde ein Überschwappen auf die ganze Bevölkerung bedeuten", so Wiedermann-Schmidt. "Sars-CoV-2 tritt jedoch in Clustern auf." Würzner spricht von "Glutnestern", die man löschen muss.
Was wir nicht wissen:
Wo die nächsten Cluster aufpoppen. Dazu muss es "Superspreading-Events" geben, viele Menschen, wenig Platz.
Wetter und Temperatur
Was wir wissen:
Coronaviren halten vor allem die UV-Strahlung nicht aus: Diese inaktiviert sie. Darüber hinaus besteht eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber höheren Temperaturen.
Was wir nicht wissen:
Wie groß die Effekte sind, ist unklar. Offenbar spielen sie aber bei einer Bevölkerung ohne Immunität gegen das Virus keine allzu große Rolle: Sonst würden z. B. nicht in den derzeit sehr heißen südlichen US-Bundesstaaten die Fallzahlen so stark steigen.
Kommentare