Psychologe zu Gesichtsmasken: Freiwilligkeit erzeugt Druck
Soll die Maskenpflicht beim Einkaufen gelockert werden? Darüber wird derzeit in Deutschland diskutiert – mit Verweis auf sehr niedrige Infektionszahlen in vielen Bundesländern. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat bisher davor gewarnt.
In Österreich hingegen geht es bereits um die Rücknahme dieser seit 15. Juni geltenden Lockerung: „Aus psychologischer Sicht ist das bisherige Vorgehen Deutschlands, bei einer einmal gesetzten Maßnahme auch längerfristig zu bleiben, besser“, sagt der Psychologe und FH-Lektor John Haas.
Er schreibt derzeit gerade an einem Buch über „Covid-19 und Psyche“: „Veränderungen in großen Gruppen passieren immer langsam und sind fehleranfällig.“ Sollte Deutschland bei der Maskenpflicht im Handel bleiben, werde sich im kollektiven Gedächtnis der Deutschen einprägen: „2020 war das Jahr, in dem wir mit Maske herumgelaufen sind, sie war das neue Normal.“
In Österreich hingegen werde es heißen, „was war das für ein Eiertanz um die Masken“. Denn: „Die Menschen wollen keine großen Veränderungen innerhalb so kurzer Zeit. Darunter leidet dann aber auch die Motivation, Masken zu tragen. Je öfter eine Verhaltensänderung angeordnet wird, umso schlechter wird sie befolgt.“
Umfragen zeigen, dass die Pandemie in Ländern, die diese bisher gut überstanden haben, an Bedrohung verloren hat: „ ,Es war ja gar nicht so schlimm und mir ist nichts passiert‘, denken sich viele, ganz nach dem Motto: ,Wir haben uns angestrengt, die Zahlen gesenkt und jetzt ist es vorbei.‘ Aber das ist eine verzerrte Wahrnehmung und eine Scheinsicherheit.“
John Haas war heute auch im Daily Podcast zu Gast. Hier können Sie in das Interview reinhören:
"Es ist noch nicht vorbei"
Deshalb ist Haas für eine breite Maskenpflicht: „Sie signalisiert: Achtung, hier ist etwas nicht wie sonst, die Pandemie geht noch weiter. Die Maske als Symbol macht uns achtsamer und vorsichtiger.“
Freiwilligkeit sei ja nichts anderes als die „Übererfüllung eines Solls“. Das führe aber – ähnlich wie in der Schule – zu einer Ausdifferenzierung: „Hier der ,Strebertyp‘, der sie aus Überzeugung trägt, und dort jene, die von der Maske nicht so überzeugt sind.“
Für den Maskenträger habe das aber häufig einen enormen Rechtfertigungsdruck zur Folge, der umso größer werde, je weniger Maske tragen: „Es braucht hier genauso wie bei allen Verhaltensweisen eine kritische Mindestmenge an Menschen, die dieses Verhalten ausüben, damit es in der Gesellschaft legitimiert ist. Wird diese Menge unterschritten und erntet man nur scheele Blicke, wenn man mit einer Maske in ein Geschäft geht, lassen sie auch die ursprünglichen regelmäßigen Maskenträger irgendwann weg. Man will ja der Gruppennorm entsprechen.“
Dass die Maske auch zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen kann und man dann z. B. auf den Abstand verzichtet, das „kann natürlich bei einzelnen Menschen mit geringem Wissen um die Risiken der Fall sein“. Aber: „Wenn überhaupt, betrifft das eine kleine Gruppe. Der Schutzeffekt überwiegt eindeutig, das zeigen immer mehr Studien."
John Haas ist auch im aktuellen KURIER-daily-Podcast zu hören.
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