Kurz: Regierung fällt Entscheidung über Maskenpflicht am Sonntag
Eigentlich steht Deutschland sehr gut da: Laut Daten der Forschungseinrichtung Complexity Science Hub Vienna liegt es mit 0,6 positiven Fällen pro 10.000 Einwohnern deutlich besser als Österreich (1,5 positive Fälle pro 10.000 Einwohner). Einen Anstieg der Neuerkrankungen gab es in den letzten Tagen in beiden Ländern – in Österreich waren es am Donnerstag 169 Neuinfektionen, in Deutschland waren es indes 583, ein geringerer Anstieg im Verhältnis zur Einwohnerzahl.
Doch möglicherweise täuscht das bessere Bild von Deutschland: Die österreichischen Neuinfektionen konzentrieren sich auf Oberösterreich (60), Wien (57) und Niederösterreich (38) – viele davon stammen aus größeren Clustern oder lassen sich – wie in Wien – auf Familienverbünde zurückführen. Im Burgenland, in Kärnten, in Salzburg und Vorarlberg gab es hingegen nur jeweils eine Neuinfektion.
Österreich sei bei den Infektionen zweigeteilt, sagte auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag. Etwas anders die Situation in Deutschland: Zwar gibt es auch dort Bundesländer wie Sachsen, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern mit sehr geringer Neuinfektionsrate(zwischen einem und 34 Fällen in einer Woche). Große Ausbrüche werden derzeit aber nur „vereinzelt“ registriert.
„In den letzten Wochen war die Lage in Deutschland von größeren Ausbruchsgeschehen (v. a. in der Fleischindustrie) dominiert. Im Moment werden eher kleinere Cluster in Deutschland verzeichnet, u. a. in Flüchtlings-, Gemeinschaftsunterkünften und nach Familienfeiern. Es gibt auch wieder mehr reiseassoziierte Fälle“, schreibt eine Sprecherin des Robert-Koch-Instituts auf KURIER-Anfrage. „Nicht immer lässt sich die Infektionsquelle zweifelsfrei ermitteln.“ Einzelne wenige große Cluster wie etwa der „Freikirchen-Cluster“ in Linz machen aber die Nachverfolgung leichter.
„Mehr Sorge“
Entwarnung bedeutet die derzeitige Konzentration auf einige Bundesländer für Gesamtösterreich aber nicht. Im Gegenteil: Freitagabend bestätigte Bundeskanzler Sebastian Kurz via ZIB2, dass die Bundesregierung am Sonntag über das weitere Vorgehen berät – und dabei möglicherweise auch zu Verschärfungen greift.
„Die Maskenpflicht kann notwendig werden“, sagte Kurz, der einmal mehr darauf hinwies, dass man mit Hochdruck am neuen, österreichweiten Ampelsystem arbeite.
Die Experten sind ob der jüngsten Zahlen ebenfalls alarmiert.
„Wir beobachten das sehr genau und mittlerweile mit ein bisschen mehr Sorge“, sagt die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien. „Das Virus zirkuliert, und auch in den Bundesländern, wo wahrscheinlich derzeit keine Fälle sind, wird es früher oder später vorkommen.“ Sie verweist auf Israel: „Dort war man zuerst sehr gut, dann kamen einzelne Cluster, die nicht so dramatisch ausgesehen haben und ganz plötzlich war diese unglaubliche Kurve nach oben da, wo wir nur fast fassungslos schauen, wie schnell das eigentlich geht.“
Entscheidung über Maskenpflicht am Sonntag
Noch können die AGES und die vielen Mitarbeiter in den Ländern, die die Kontakte Infizierter nachverfolgen, solche Cluster austrocknen und begrenzen: „Aber jeder einzelne Fall bedeute eine Gefahr.“ Wie realistisch diese ist, erklärt Puchhammer-Stöckl anhand der Schnupfenviren: Seit Langem gibt es in Österreich ein Überwachungssystem, bei dem niedergelassene Ärzte die Atemwegsinfektionen ihrer Patienten melden – auch jene mit Schnupfenviren: „Nach dem Shutdown ging die Zahl dieser Atemwegsinfekte spürbar hinunter. In den vergangenen drei Wochen sehen wir aber wieder einen deutlichen Anstieg.“
Das bedeutet: Es gibt wieder mehr Tröpfcheninfektionen – und auf diesem Weg werden nicht nur Schnupfenviren, sondern wird auch SARS-CoV-2 übertragen. „Deshalb ist es wichtig, Abstand zu halten – das ist das absolute Minimum. Wo das nicht möglich ist, sind die Masken wichtig.“
Maskenpflicht in 24 Stunden
In einen leeren Supermarkt könne man ohne Maske gehen: „Aber stehen schon Leute an der Kassa, nimmt man natürlich eine Maske.“ Sollte das nicht funktionieren, werde eine Verpflichtung zum Maskentragen bei Ausbrüchen sicher kommen müssen, betont die Virologin. Anschober ist zuversichtlich: „Die Cluster haben dazu geführt, dass das Risikobewusstsein wieder zunimmt. Es gibt immer mehr Menschen die freiwillig den Mund-Nasen-Schutz im Supermarkt tragen.“ Und wenn die Freiwilligkeit doch nicht funktioniert? „Dann kann in 24 Stunden eine Maskenpflicht umgesetzt werden.“
In den nächsten Wochen werde ein Aktionsplan mit 17 konkreten Maßnahmen ausgearbeitet – etwa einer Beschleunigung der Tests (siehe unten). Und: „Es gibt eine Chance, dass Ende des ersten oder Anfang des zweiten Quartals 2021 die ersten effizienten Impfstoffe auf dem Markt sind.“ Und eines sei klar, sagt Anschober: „Wir müssen mit aller Kraft eine zweite Welle vermeiden.“
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