Corona: Wie wird es jetzt mit den Neuinfektionen weitergehen?
Mehr als 15.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden – ein neuer "Rekord"; 55 weitere Todesfälle; plus 64 Patienten in Normal- und plus 12 in Intensivabteilungen: Wir sind in einem Bereich, wo wir meilenweit von einer Kontrolle der Erkrankungszahlen entfernt sind“, sagt der Salzburger Infektiologe Richard Greil. Aber wie geht es jetzt weiter?
Seit Mitte Oktober steigt auch die Zahl der Todesfälle: 1.903 Menschen verstarben laut Statistik Austria in der ersten Novemberwoche – ein Viertel mehr als im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019. „Wobei es einen deutlichen Anstieg auch der Nicht-Covid-Todesfälle gibt – möglicherweise sind das Kollateralschäden, etwa, weil weniger Nicht-Covid-Patienten rechtzeitig ins Spital kamen oder nicht optimal behandelt werden konnten“, sagt der Statistiker Erich Neuwirth.
Der Intensivmediziner Walter Hasibeder aus Zams in Tirol betont: „Dass wir in Österreich in eine Situation kommen, in der Bundesländer Triage-Teams bilden müssen, die vorab entscheiden, welcher Schwerkranke überhaupt einen Behandlungsplatz auf einer Intensivstation bekommt – das hätte ich mir in meinem bisherigen Berufsleben nie vorstellen können.“
Hohe Dunkelziffer
Donnerstag wurde auch die Zahl von einer Million laborbestätigter Infektionen seit Pandemiebeginn erreicht und überschritten (1.011.465). Wie viele Infektionen es bisher tatsächlich gab, lässt sich nicht sagen. Der Simulationsforscher Niki Popper geht davon aus, dass es derzeit jeden Tag „auf jeden Fall mindestens doppelt so viele“ wie gemeldet gibt – das wären dann 30.000 von gestern auf heute.
Aber wie geht es jetzt weiter? „Mindestens 0,5 Prozent – derzeit habe ich den Eindruck, sogar eher mehr – aller positiv Getesteten schlagen nach sieben bis zehn Tagen auf einer Intensivstation auf“, sagt Hasibeder. „Deshalb werden die Spitalsbelegungen später zurückgehen als die wöchentlichen Neuinfektionen“, sagt Neuwirth. Als Letztes sinken die Zahlen auf den Intensivstationen.
„Die Inzidenzen und die Spitalsbelegung stehen in direktem Zusammenhang – mit einer Zeitverzögerung. Wobei die Spitalszahlen derzeit um einen etwas geringeren Prozentsatz als die Inzidenzen steigen – das dürfte ein Effekt der Impfungen sein“, erklärt Neuwirth. Bisher dauerte es zwischen wenigen Tagen (April-Lockdown 2021) und rund zwei Wochen (Lockdown März 2020), bis die Zahl der Neuinfektionen sank
Seit 15. Oktober gab es eine „exponentielle oder zeitweise nahezu exponentielle Phase“ – die Neuinfektionen stiegen pro Woche um jeweils denselben Prozentsatz. Es gab wöchentliche Zuwachsraten von rund 60 Prozent, der Spitzenwert waren 66 Prozent. Zuletzt lag der wöchentliche Zuwachs bei 40 Prozent. Neuwirth: „Ein ganz leichter Hoffnungsschimmer am Horizont, der aber nicht bedeutet, dass ein Lockdown nicht notwendig ist. Man kann es so formulieren: Wir haben derzeit ein leicht gebremstes explosives Wachstum.“
Die Zahl von momentan 500 mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten ist zwar noch unter dem Spitzenwert von 700 im November 2020: Damals aber gab es einen Lockdown und darum weniger Unfall- und auch weniger andere Nicht-Covid-Patienten.
„Wir sind voll“
Hasibeder: „Und die Intensivstationen sind ja nicht für die Covid-Patienten reserviert. Gerade derzeit haben wir viele internistische Notfälle, schwere andere Lungenerkrankungen, schwere Blutungen, Unfälle, gestürzte alte Menschen: Wir sind einfach voll. Und wenn das auf Dashboards anders dargestellt wird, kann ich nur sagen, das stimmt so nicht.“
Infektiologe Greil betont, dass man auch viel mehr auf die Normalstationen schauen müsse: „Wir müssen Personal aus anderen Abteilungen abziehen, wo es schon zu normalen Zeiten einen Pflege- und Ärztemangel gibt. Der Druck auf die Normalversorgung aller Patienten ist enorm. Wir hatten noch nie eine so hohe Wahrscheinlichkeit für schwere Kollateralschäden.“
"Aus diesem Wahnsinn rauskommen"
Wie dramatisch die Situation ist, zeigt sich an einem 38-jährigen Covid-Patienten auf der Intensivstation in Zams: Fünf Tage lang konnte er ohne invasive Beatmung stabil gehalten werden. „In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hat sich sein Zustand „innerhalb weniger Stunden aber so verschlechtert, dass wir ihn ganz rasch intubieren mussten, sonst hätte er den nächsten Tag nicht überlebt“, erzählt Hasibeder. Jetzt liegt er auf dem Bauch und braucht wahrscheinlich einen Platz an einer Lungenersatzmaschine (ECMO) in Innsbruck – wenn einer frei ist. Der Intensivmediziner hofft auf einen Lockdown für ganz Österreich und spricht sich auch für eine allgemeine Impfpflicht aus: „Wir machen uns mit diesen unkontrollierten Infektionszahlen alles kaputt – wir müssen aus diesem Corona-Wahnsinn endlich rauskommen.“
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