Corona-Spezialist Christoph Wenisch: "Alle sechs Monate impfen"
Der Wiener Infektiologe rät, nicht auf angepasste Impfstoffe zu warten, sondern jetzt impfen zu gehen. Selbst ist er bereits für den fünften Stich angemeldet.
KURIER: Herr Professor, haben Sie schon den vierten Stich?
Wenisch: Ja, schon lange, ich habe mich im April impfen lassen, weil ich zwei Wettkämpfe gemacht hatte (Wenisch ist Marathonläufer, Anm.). Im Oktober bekomme ich die fünfte Impfung.
Dann haben Sie ja schon Chancen, den neuen, angepassten Impfstoff zu bekommen.
Ja. (lacht) Aber das ist egal. Jeder Booster reduziert das Risiko um das Zehnfache. Der Faktor 1,5, den ich da jetzt noch dazu addiere bei der Anpassung, ist sehr wenig. Aber schauen wir mal, was kommt. Ich nehme dann das, was man gibt.
Verstehen Sie Menschen, die lieber auf den angepassten Impfstoff warten wollen?
Ja, das verstehe ich schon. Aber warten worauf? Das bringt nichts. Wir wissen, dass man vier bis sechs Monate nach der Impfung vor der Erkrankung geschützt ist. Das ist die wesentliche Zielgröße. Jetzt ist eine Anpassung, die vielleicht kommt oder nicht lieferbar ist. Und die Informationen, die ich habe, besagen, es ist auch nicht so ein Unterschied. Hingegen bei der Grippeimpfung macht es Sinn, nur den angepassten, also aktuell wirksamen, zu nehmen. Das ist wirklich eine große Verbesserung.
Also auf jeden Fall auffrischen?
Es ist ganz einfach: Alle sechs Monate impfen. In einer neuen Studie aus Israel wurde das live untersucht, in Lebenssituationen wie wir sie alle kennen und es zeigte sich, dass die Immunität abnimmt. In der älteren Altersgruppe nimmt sie sogar noch rascher ab. Und insofern ist es wirklich ganz einfach: Im Moment ist es so, alle sechs Monate braucht man halt eine Auffrischung, sodass man Immunität hat. Damit reduziert man das Risiko ungefähr 4 bis 6 Monate, je nach Lebensalter, Grunderkrankung, etc.
Auch nach drei Impfungen und einer Infektion sollte man wieder auffrischen?
Ja. Da verlängert sich das Intervall, eine Infektion gilt wie eine Impfung bzw. ein Booster.
In letzter Zeit hört man öfter, dass sich Menschen direkt nach der vierten Impfung infiziert hätten.
Das kommt vor, ein unglücklicher Zufall, dass man sich kurz vorher infiziert haben muss. Mit der Impfung selbst hat es überhaupt nichts zu tun, das sind zwei völlig unabhängige Ereignisse. Eine Impfung kann nicht zu einer Infektion führen, weil keine sich replizierenden Viren darin enthalten sind, die sich ausbreiten können.
Das Nationale Impfgremium (NIG) empfahl diese Woche die vierte Impfung für alle ab zwölf Jahren. Lassen Sie Ihre Kinder auch impfen?
Ja natürlich, die Älteren haben sie schon. In Wien war es schon im Sommer möglich. Das NIG ist da etwas langsamer.
Nicht alle Experten finden diese Ausweitung gut. Sie bewegt sich auch weit weg von den Empfehlungen in anderen Ländern, etwa Deutschland.
Das hat auch juristische Gründe, auch Werte und Haltungen in verschiedenen Ländern kommen da zum Tragen. Das sind Kriterien, die für mich als Arzt eine völlig untergeordnete Rolle haben. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass ich seit Jahren viel mit dieser Krankheit zu tun habe und was sie mit Menschen machen kann, auch mit Jüngeren. Und diese Krankheitsverläufe sind ein riesiges Problem. Das sehe ich auch mit Long Covid. Das ist für mich ein Hauptpunkt, auch jüngeren und in jedem Fall Personen über 60 diese Impfung zu geben. Also die Entscheidung ist eben jetzt mit Verstand zu treffen und das muss man abwägen. Schön finde ich, dass das jeder für sich tun kann, ohne in die eine oder andere Richtung gedrückt zu werden. Das finde ich gut, dass man da jetzt den Druck rausnimmt. Letztlich ist es so, dass das jeder für sich gemeinsam mit seiner Ärztin und dem Arzt überlegen soll und dann eine Entscheidung trifft. Die Medizin ist niemals schwarz und weiß, sondern es werden Risiken unterschiedlich bewertet. Und ich sage nochmal, ich bewerte vor allem das medizinische Risiko sehr hoch.
Es gibt nun Impfungen und Medikamente zur Behandlung. Wie gefährlich ist denn Covid überhaupt noch?
Man muss schon sagen, das sind keine Wundermedikamente. Die Medikamente haben aber aufgezeigt, dass sie bei Risikopatienten die Wahrscheinlichkeit, ins Krankenhaus zu müssen, reduzieren. Also, wenn ich krank bin und ich habe eine antivirale Therapie, die dann in der Folge die Intensivstation, Folgeerkrankungen oder den Tod verhindern, dann ist das eine tolle Nachricht. Wir haben eine Handvoll Medikamente, die uns zur Verfügung stehen, im Krankenhaus und auch im niedergelassenen Bereich. Manche sind zugelassen, andere müssen über ein Hilfsprogramm gegeben werden. Aber beides ist möglich und geht. Da bin ich auch sehr dankbar, dass die Republik Österreich sich da ordentlich in die Bresche geworfen hat und das Österreicherinnen und Österreichern zur Verfügung stellt, nämlich gratis. Diese Medikamente kann jeder haben. Und ich hoffe, dass sich jetzt zunehmend mehr Ärztinnen und Ärzte auch bemühen, diese Arzneimittel auch rechtzeitig zu verschreiben. Vor allem, weil es ein relativ kurzes Zeitfenster gibt, um diese Medikamente zu verabreichen, nämlich nur innerhalb der ersten fünf Tage.
Gibt es Unterschiede zwischen Paxlovid und Lagevrio, für die der Zugang vereinfacht werden soll?
Von der Verträglichkeit sind jetzt alle gleich. Im Krankenhaus haben wir mindestens vier Medikamente, die wir einsetzen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten für Interaktionen in Arzneimitteln. Etwa bei Personen, die schon andere Medikamente nehmen, wie zum Beispiel für den Blutdruck oder Medikamente gegen Stoffwechselerkrankungen. Aber auch bei Medikamenten, die neuropsychiatrisch wirken, können Arzneimittel in Interaktionen stehen. Und da muss man dann das Medikament wechseln und bestehende Medikamente aneinander anpassen. Das heißt, die Therapie ist immer individualisiert und muss im Kontext der anderen Erkrankungen des Patienten und seines Zustands gut überlegt werden.
Was erwarten Sie für den Herbst? Eine neue Welle?
Nach zwei Herbst-Pandemie-Phasen muss ich für den dritten Herbst sagen, ich bin da völlig überfragt. Man konnte es bisher auf der Basis von mathematischen Berechnungen gut prognostizieren. Ich glaube aber, jetzt wird es immer schwieriger, das vorauszusagen. Vor allem auch auf die Präzision bezogen, die für die Menschen relevant ist. Wir konnten das in der Vergangenheit auf Basis von Freizügigkeit, Testmenge und Testresultaten ganz gut machen. Ich glaube aber, dass es jetzt immer schwieriger wird.
Denken Sie, ein Lockdown ist eine Option?
Ein Lockdown ist obsolet. Ich habe das nie verstanden. Beim ersten Mal vielleicht, da hat man nicht gewusst, was da auf uns zukommt.
Disclaimer: Dieser Text wurde Samstagmorgen korrigiert. Wir entschuldigen uns für die erste Version.
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