Verlauf von Alzheimer verzögern: Was eine neue Therapie bewirken kann
Anfang 2024 soll in der EU das erste Medikament zugelassen werden, das in einen Mechanismus der Alzheimer-Demenz eingreift und den Gedächtnisverlust verzögert.
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Die Neurologin Elisabeth Stögmann von der Universitätsklinik für Neurologie von AKH / MedUni Wien leitet die Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen. Im KURIER-Interview klärt sie über Nutzen und Risiken der neuen Antikörpertherapie auf. Und sie erklärt, wer dafür überhaupt in Frage kommt.
Warum ist eine frühzeitige Diagnose so wichtig?
"Einerseits, weil es Familien sehr belastet, wenn sich auffällige Symptome zeigen, diese aber nicht abgeklärt werden", sagt die Neurologin Stögmann. "Dann kommt es häufig zu Konfliktsituationen, weil man sich nicht einig ist unter den Familienmitgliedern, ist da etwas oder nicht?"
Und in frühen Phasen der Erkrankung könne man am ehesten noch etwas bewirken, mit Medikamenten und mit Lebensstilmaßnahmen wie optimaler Behandlung von Bluthochdruck, zu hohen Blutfetten oder Diabetes. Auch mehr Bewegung, gesunde Ernährung, Verzicht auf Alkohol und Nikotin können eine Verschlechterung etwas bremsen - also alles, was auch zur Prävention von Herzgefäßerkrankungen empfohlen wird.
Wie kann man altersbedingte von krankhaften Gedächtnisproblemen abgrenzen?
"Das ist auch mit einer Anamnese und einer klinisch-neurologischen Untersuchung allein nicht einfach, aber manchmal gibt es auch eindeutige Symptome", sagt Stögmann. Etwa bei der Vergesslichkeit, die den Alltag betrifft: "Typisch ist, wenn man nicht wiedergeben kann, was man am Vortag getan oder gegessen hat. Oder, dass die Betroffenen mehrmals am Tag dieselbe Frage stellen: 'Gehen wir heute in die AKH-Ambulanz?; Wohin gehen wir heute?'"
Diese Unsicherheit über die Aktivitäten am jeweiligen Tag bzw. am Vortag oder am kommenden Tag, "das ist ein Leitsymptom. Oder auch, dass eine bestimmte Geschichte mehrfach in ein und demselben Gespräch erzählt wird".
Was ist das Besondere an der 2024 erwarteten neuen Antikörpertherapie?
Der Antikörper Lecanemab - entwickelt von den Pharmaunternehmen Eisai (Japan) und Biogen (USA) - entfernt die für Alzheimer charakteristischen Ablagerungen von Eiweiß-Partikeln (Beta-Amyloid), die mit der Zerstörung der Nervenzellen in Verbindung gebracht werden. Alle 14 Tage erhalten die Patienten eine rund einstündige intravenöse Infusion.
"Lecanemab ist ein Meilenstein in der Geschichte der Erforschung von Alzheimertherapien", sagt Stögmann. "Es ist das erste Medikament, das an einer Ursache von Alzheimer ansetzt und den Krankheitsverlauf verändert."
Im Gegensatz zu früheren Antikörpern führt die Entfernung der Plaques auch zu einer Verzögerung des Abbaus der geistigen Fähigkeiten - im Studienzeitraum von 18 Monaten um 27 Prozent im Vergleich zur Patientengruppe, die ein Placebo erhielt. "Das entspricht zirka fünf Monaten, die man in einer besseren Phase verbringt."
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Wahrscheinlich werde der Effekt für den Einzelnen in den ersten 18 Monaten moderat sein: "Aber wir wissen noch nicht, wie sich das fortsetzt." Erste Daten zeigen, dass die Verzögerung des Gedächtnisabbaus umso größer und spürbarer wird, je länger die Therapie dauert.
Wer kommt für die neue Therapie infrage?
Das Präparat werden ausschließlich Erkrankte in sehr frühem Stadium erhalten, deren geistige Leistungsfähigkeit bisher nur geringe Einbußen erlitten hat. Derzeit werden die meisten Erkrankungen erst später diagnostiziert. Durch eine Nervenwasser-Untersuchung (Liquor) oder eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET) müssen Amyloid-Ablagerungen nachgewiesen sein.
Risikofaktoren, etwa die Einnahme blutverdünnender Medikamente oder eine spezielle genetische Veranlagung für die Alzheimer-Krankheit, müssen ausgeschlossen werden. "Bei 10 bis 20 Prozent der Patienten treten Nebenwirkungen wie Schwellungen oder Blutungen des Gehirns auf", betont Stögmann.
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Sind neben Lecanemab noch weitere Antikörper-Präparate zu erwarten?
Ja, und zwar der Antikörper Donanemab, der den geistigen Abbau in der gesamten Behandlungsgruppe um 35 Prozent verlangsamt. Er muss nur alle vier Wochen intravenös verabreicht werden. Allerdings hat die Herstellerfirma, der US-Pharmakonzern Eli Lilly, bisher nur in den USA einen Zulassungsantrag gestellt. Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wurde noch kein Antrag auf Zulassung eingereicht.
Gibt es Unterschiede zwischen Lecanemab und Donanemab?
In der Zulassungsstudie von Donanemab hatte sich gezeigt: Die Patienten, die in einem sehr frühen Stadium waren - gemessen anhand der Ablagerungen eines zweiten wichtigen Proteins, das bei der Alzheimer-Entstehung eine Rolle spielt (Tau-Protein) -, profitierten von der Therapie noch etwas stärker als die Lecanemab-Patienten. Allerdings waren auch die Hirnschwellungen und -blutungen bei Donanemab etwas häufiger und ausgeprägter als bei Lecanemab.
Und Elisabeth Stögmann erwähnt noch ein interessantes Studienergebnis: Patienten, die Donanemab erhalten hatten und bei denen im Studienverlauf kein Beta-Amyloid mehr nachgewiesen werden konnte, wurden auf die Gabe eines Placebos (eine Kochsalzlösung) umgestellt. "Trotzdem hielt die positive Wirkung an." Möglicherweise reiche es aus, die Therapie nur so lange durchzuführen, bis keine krankhaft veränderten Amyloid-beta-Eiweiße im Gehirn mehr nachweisbar sind: "Und dadurch werden dann weitere positive Effekte auf den Krankheitsverlauf ausgelöst."
Wo wird man die neue Therapie erhalten können?
Zu dieser Frage gibt es derzeit in Österreich genauso wie in vielen anderen Ländern intensive Gespräche. "Derzeit geht es dabei stark in die Richtung, dass die Therapie nur wenigen Zentren vorbehalten bleiben wird", sagt Stögmann. Die Infrastruktur dafür müsse aber erst aufgebaut werden. "Im Hinblick auf die möglichen schweren Nebenwirkungen wird es wichtig sein, eine exakte Diagnostik zu machen, alle Ausschlusskriterien der Therapie genau zu prüfen und die Patienten sehr genau und umfassend über Nutzen und Risiken aufzuklären. Dies wird auch einen erhöhten Personalbedarf notwendig machen."
Was wird die neue Therapie kosten?
In den USA werden sich die reinen Kosten für Lecanemab für ein Jahr auf etwa 25.000 Euro belaufen.
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