Johanna Constantini: Mich hat die finale Diagnose – die ja nach dem Unfall meines Papas und entsprechenden Untersuchungen gestellt wurde – nicht mehr enorm geschreckt. Rückblickend bestätigte sie, was wir in den Wochen davor bereits angenommen haben. Als Familie waren wir damals schon einige Schritte gegangen, die auf dem Weg mit beginnenden Einschränkungen und Vermutungen um eine Demenz zu gehen sind.
Was half in dieser ersten Phase?
Es hilft auf diesem Weg, Menschen an der Seite zu haben die unterstützen, wenn Unterstützung gebraucht ist. Dies hatten wir glücklicherweise immer – sowohl im Freundeskreis als auch auf professioneller Seite.
Ihr Vater, einst ÖFB-Teamchef, stand in der Öffentlichkeit, galt als charismatisch. Wie geht eine Familie mit den Veränderungen um, die diese Krankheit mit sich bringt?
Man schafft es einmal besser und einmal schlechter. Das ist normal. Der schleichende Verlauf einer Demenz ermöglicht es auch, in die Veränderungen hineinzuwachsen. Vieles, was ich mir vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnte, ist heute Realität. Und manches ist damit auch zu einer gewissen Normalität in unserer Familie geworden.
Sie beschreiben, dass Betroffene alles versuchen, um die Krankheit zu verschleiern, weil sie ahnen, dass etwas nicht stimmt. Wie sehr ist sich Ihr Vater seiner Krankheit bewusst?
Mein Papa befindet sich in einem schweren Stadium seiner Demenz, weshalb es kaum zu sagen ist, wie bewusst ihm die Krankheit an sich noch ist. Er erfreut sich an unserem Zusammensein und immer wieder gelingt ihm einer seiner Scherze, aber er scheint mittlerweile in einer eigenen Welt. In der er glücklicherweise an den meisten Tagen zufrieden zu sein scheint.
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Sie schreiben, dass es für Jungbetroffene zu wenige Unterstützungsmöglichkeiten gibt. Was unterscheidet sie von älteren Demenzkranken und was bräuchten jüngere Menschen, die an Demenz erkranken vermehrt?
Jungbetroffene stehen oft noch im Berufsleben oder womöglich gerade nicht mehr. Der Pensionsantritt ist häufig nicht lange her und die Menschen sind oft körperlich sehr aktiv. Die meisten Menschen sind in höherem Alter betroffen, weshalb sich Gruppen in vielen Tageszentren aus betagteren Patienten zusammensetzen – in der Gruppe meines Papas waren beinahe alle über 80 Jahre, er war damals gerade einmal Anfang 60. Es braucht auch für Jungbetroffene mehr Angebot, um sich unter Gleichgesinnten bewegen zu können. Auch, wenn jünger und älter Betroffene eine Krankheit eint, so stehen sie vielfach an ganz verschiedenen Punkten und darauf müssen Unterstützungsangebote abgestimmt werden.
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Sie beschreiben in Ihrem Buch die Parallelen zu der Entwicklung Ihrer Tochter und jener Ihres Vaters, im Sinne eines Lernens und Verlernens. Hilft dieser Vergleich, um Menschen mit Demenz verständnisvoller zu begegnen zu können?
Ich bin der Meinung, dass dieser Vergleich angestellt werden muss. Besonders wenn es um vermeintliche Fehler oder auch die Kommunikation mit betroffenen Menschen geht. Kinder sind heute glücklicherweise sehr frei in ihrem Tun und dürfen sich entfalten, dürfen Fehler machen die nicht als solche klassifiziert werden. Ein Lebensumfeld, das es ihnen ermöglicht, sich auszuprobieren und bestenfalls zu selbstsicheren Menschen heranzuwachsen. Diese Möglichkeiten müssen Menschen, die von einer Demenz betroffen sind, auch erhalten bleiben. Ansonsten steigt die Scham vor vermeintlichen Fehlern ins Unermessliche und es passiert, worunter nicht nur Betroffene, sondern auch Angehörige am meisten leiden – sie isolieren sich.
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Das emotionale Gepäck der pflegenden Angehörigen ist enorm. Was sie leisten müssen, geht an Grenzen. Was würden Sie sich diesbezüglich wünschen – gesellschaftlich, politisch? Und was können Betroffene tun, um nicht auszubrennen?
Es geht nicht nur an die Grenzen, sondern weit darüber hinaus. Ich wünsche mir, dass diese Grenzüberschreitungen nicht nur gesehen, sondern auch verhindert werden. Durch Schaffung von mehr Angebot zur Entlastung – Tageszentren, mobile Begleitung, Freizeitbegleitung etc. für Betroffene sowie finanzielle Entlastung und Angebote zur Entlastung für Angehörige.
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