Bis zu 150.000 Menschen leiden in Österreich an einer Demenzerkrankung. Bis 2050 wird die Zahl Schätzungen zufolge auf etwa 230.000 ansteigen. Was der gefürchteten Diagnose den Schrecken nehmen könnte und warum man schon in jüngeren Jahren daran denken sollte, vorzubeugen, erklärt Alzheimer-Experte Peter Dal-Bianco.
KURIER:Was sind die typischen Anzeichen von Alzheimer ?
Dal-Bianco: Der tägliche minimale Abbau fällt zunächst nicht auf. Meist sind es Personen, die Betroffene seltener sehen, die zuerst etwas bemerken. Typischerweise werden immer wieder dieselben Fragen gestellt, obwohl sie bereits beantwortet wurden. Betroffene suchen häufig etwas, den Schlüssel, die Geldbörse. Später fehlt oft die örtliche und zeitliche Orientierung. Vom ersten Gedanken der Person, dass etwas nicht stimmt, vergeht oft ein Jahr, bis die Umgebung etwas merkt – häufig bei einem Umgebungswechsel. Routine funktioniert meist lange gut. Bis zur Abklärung dauert es oft drei, vier Jahre.
Warum vergeht so viel Zeit bis zur Diagnose?
Vergesslichkeit wird oft klein geredet und kaschiert – sie führt nicht zu Schmerzen wie andere Erkrankungen und sie abzuklären wird daher hinausgeschoben. Eine frühe Diagnose ist aber sehr wichtig. Nicht, weil man später nichts mehr machen kann, sondern weil Vergesslichkeit viele Ursachen haben kann. Sie kann bei der Altersdepression auftreten, bei Schilddrüsenunterfunktion, einer Elektrolytverschiebung, bei Vitaminmangel, durch Medikamente. All das ist behandelbar.
"Alzheimer-Demenzen werden bis 2050 durch die große Zahl älter werdender Menschen zunehmen", sagt der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit Spezialgebiet Gedächtnisstörungen.
Eine neue Antikörpertherapie wird als Meilenstein gepriesen. Wie funktioniert sie?
Mit der Antikörpertherapie Lecanemab, und später kommt noch Donanemab, steht erstmals eine Kausaltherapie vor der Türe. Sie ist noch nicht erhältlich, aber damit wird hoffentlich die Scheu fallen, sich diagnostizieren zu lassen. Das Besondere ist, dass diese Behandlung zielgerichtet auf das Amyloid losgeht. Der monoklonale Antikörper bindet am Amyloid und entfernt es. Die Amyloidfäden bewirken, dass eine Kaskade biologischer Prozesse losgetreten wird, und das ist das Problem. Wenn ich sie in einer frühen Phase entferne, kann die Schädigung des Gehirns verringert werden. Das ist großartig! Große klinische Studien haben gezeigt, dass die Symptome ungefähr ein halbes Jahr zeitlich verschoben werden.
Es kann zu Mikroblutungen und Hirnschwellungen kommen. Der Großteil davon ist asymptomatisch, das heißt, man merkt es nicht. Bei einem kleinen Teil der behandelten Patienten kann es aber zu Übelkeit, Brechreiz oder Verwirrung kommen. Diese Nebenwirkungen treten vor allem bei Menschen auf, die Blutgerinnungshemmer einnehmen oder die den genetischen Risikofaktor ApoE 4 für Alzheimer-Demenz haben. Wer Träger dieses Proteintyps ist, hat etwa ein vierfach erhöhtes Risiko die klinischen Symptome von Alzheimer zu bekommen. Die Erkrankung wird nicht dadurch ausgelöst, kann aber beschleunigt werden. Die Patienten für die Therapie müssen vorsichtig ausgewählt werden.
Antikörpertherapie Im Frühjahr 2024 soll in der EU mit Lecanemab erstmals ein Medikament zugelassen werden, das den Alzheimer-Gedächtnisverlust verzögert. Ein zweites Mittel, Donanemab, könnte bald nachfolgen.
Risikofaktoren Eine Studie aus dem Jahr 2020 identifizierte 12 Risikofaktoren: eine schlechte Bildung, Übergewicht, Diabetes, körperliche Inaktivität, Depression, soziale Isolation, Rauchen, Hörverlust, Bluthochdruck, Schädel-Hirn-Verletzungen, schädlicher Alkoholkonsum und Luftverschmutzung.
Pflege 80 Prozent der Erkrankten werden über lange Jahre zuhause betreut. Das braucht viel Kraft und kann zu Überlastung führen.
Kann man im Alter sein Demenzrisiko noch senken?
Wahrscheinlich sollte man im mittleren Lebensalter versuchen, das Risiko zu minimieren. Gerade bei dieser fortschreitenden degenerativen Erkrankung sind einige Faktoren bekannt, etwa Rauchen oder Bluthochdruck. Man bekommt aber nicht Alzheimer, weil man raucht, sondern es sind Beschleuniger eines genetischen Konzerts. Man kennt zahlreiche genetische Veränderungen – sie erklären das Auftreten von Alzheimer allerdings nur etwa zu einem Viertel. Die restlichen 75 Prozent sind noch unklar. Ist die Krankheit einmal auf Schiene, bekommt sie durch die Risikofaktoren Rückenwind.
Immer wieder wird ein Alzheimer-Bluttest diskutiert.
Das ist derzeit noch Zukunftsmusik und läuft nur im Bereich der Forschung. Aber wir würden uns wünschen, dass Alzheimer zu einer Labordiagnose wird, dass man also aus dem Blut sehen kann, ob jemand Alzheimer bekommen wird, sodass man mit der Amyloidtherapie beginnen könnte, bevor es zum demenziellen Bild kommt. Allerdings muss bei einem solchen Test die Spezifität 100 Prozent sein, das heißt, es darf keine falsche Diagnose geben. Derzeit liegt die Spezifität in Studien bei ca. 92 Prozent. Sprich: Von 100 Menschen würde man acht Menschen fälschlicherweise sagen, dass sie eines Tages Alzheimer bekommen – das wäre unverantwortlich. Schon jetzt nimmt die relative Zahl der Demenzpatienten ab. Die Zahl Älterwerdender nimmt aber bis 2050 zu und damit auch die absolute Zahl der Demenzerkrankungen.
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