"Ich weiß, wie es ist, mit Demenz zu leben"

"Ich weiß, wie es ist, mit Demenz zu leben"
Die Diagnose hat Angela überrollt wie eine Lawine. Trotzdem geht sie heute positiv durchs Leben. Wie sie das schafft und was sie sich für die Zukunft wünscht.

Angela konnte sich immer auf ihren Kopf verlassen. Ob Einkaufslisten, Erledigungen oder Dinge in ihrer Arbeit. Die Wahlwienerin mit deutschen Wurzeln war bei allem, was sie getan hat, immer sehr akkurat. „Mit 58 habe ich festgestellt, dass ich vergesslich wurde. Nachdem ich immer sehr genau gearbeitet habe, hat mich das sehr gewundert.“

Die erste Diagnose klang zunächst plausibel: Burnout, kurz darauf ging sie mit 60 frühzeitig in Pension. „Ich hatte die Hoffnung, dass sich der Kopf beruhigt, wenn ich weniger gefordert bin und mich mehr auf die Familie konzentrieren kann.“

Doch die Anzeichen hörten nicht auf: Angela fand Dinge im Haushalt nicht. Sie vergaß Wäsche und konnte nicht mehr mehr ohne Einkaufszettel einkaufen gehen. „Früher konnte ich mich auf meinen Kopf verlassen. Dadurch waren diese ersten Anzeichen für mich irritierend und haben mich sehr verunsichert.“

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Negatives Vorbild: Ihre Mutter war auch schon erkrankt

Dass sie der Ursache für ihre Vergesslichkeit auf den Grund gehen wollte, verdankt sie ihrer Mutter, die auch erkrankt war. „Sie zog einen Vorhang zu und hat uns strikt verboten, darüber zu sprechen. Ihr Weg führte in die Einsamkeit.“ Angelas Mutter wollte ihre Erkrankung verstecken und zog sich immer mehr zurück. „Als sie starb, habe ich an ihrem Grab gesagt: Weißt du, Mama, so ein trauriges Leben. Aber du hast uns jede Chance genommen, dich zu unterstützen.“ Schon damals wusste Angela, sollte sie einmal erkranken, würde sie es anders machen. Deshalb war es ihr schon zu Beginn der ersten Anzeichen wichtig, so früh wie möglich eine Diagnose zu bekommen. Zu wissen, ob es Demenz ist.

Das Arztgespräch traf sie trotzdem unvorbereitet und sie hat ein klares Bild dazu: „Ich bin an einem schönen Tag Skifahren und höre plötzlich das Grollen einer Lawine. Die Frage ist, erwischt sie mich oder nicht? Momente später weiß ich, es gibt kein Ausweichen nach rechts oder links. Ich bin mir vorgekommen, als würde mich eine Lawine überrollen. Ich war hilflos, wusste nicht, was tun? Wohin kann ich mich wenden? Wie nimmt das jetzt die Familie auf?“ Deshalb hat sie eine Bitte an Ärzte und Ärztinnen: „Ich bitte Sie, sehr achtsam zu sein und nicht einfach zu sagen: Hier ist die Diagnose, haben Sie noch Fragen? Sonst sehen wir uns in einem halben Jahr. Man hat nicht sofort Fragen. Man ist überwältigt, eben wie ein Mensch unter einer Lawine.“

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Wie Selbsthilfegruppen unterstützen können

Hilfe fanden Angela und ihre Familie bei Selbsthilfegruppen. „Denn das, was ich nicht weiß, weiß der Mensch neben mir. Man kann sich vorbereiten auf die Dinge, die kommen. So führe ich noch heute ein gutes Leben – das ist über Jahre hinaus noch möglich.“

Johanna Püringer ist Obfrau des Dachverbands Demenz Selbsthilfe Austria und erklärt, wie Betroffene und Angehörige aufgefangen werden: „Die Erkrankung verläuft oft in Schüben und die Patienten brauchen zunächst psychologische Unterstützung.“ Es gehe aber auch darum zu erfahren, wo man sich hinwendet, um finanzielle Unterstützung zu bekommen oder welche Vorkehrungen im Hinblick auf eine Erwachsenenvertretung oder Vorsorgevollmacht wichtig wären. „Wir wollen das Selbstwertgefühl der Menschen stärken, indem sie Strategien kennenlernen und Möglichkeiten gezeigt bekommen, wie sie sich selbst gut durch den Krankheitsprozess bewegen können.“

Das ist auch das Ziel von Angela, die anderen Betroffenen die Angst nehmen will, „weil ich weiß, es lässt sich viel machen“. Sie ist heute 70, hält Vorträge und ist Mitglied der Selbsthilfegruppe „Über den Berg kommen“.

"Demenz heißt, ohne Geist zu sein - ich finde, ich habe noch Geist"

Bei der Gelegenheit klärt sie über den Begriff Demenz auf: „Es heißt, ohne Geist zu sein – ich finde, ich habe noch Geist. Ich weiß, es ist ein gebräuchliches Wort, aber ich hoffe, dass es aus dem Sprachgebrauch verschwindet und man ein geeigneteres Wort findet. In Amerika spricht man von kognitiven Einschränkungen.“ Angela wünscht sich auch einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Betroffenen: „Jahrzehntelang sprach man über uns, aber nicht mit uns.“ Sie will dazu beitragen, das zu ändern.

Wie für die Diagnose, hat sie auch für die Zukunft ein klares Bild: „Ich sehe unsere Erkrankung wie einen riesengroßen Hügel zwischen uns Betroffenen und den Angehörigen: Jeder geht auf einer anderen Seite. Ich würde es so gerne schaffen, den Berg zwischen uns zu erklimmen. Und die Angehörigen tun das auch, damit es nicht so schnell zu Missverständnissen kommt. Ich wünsche mir eine achtsame Sprache, die mit mir gesprochen wird und hoffe, dass ich auch in einem Pflegeheim schöne Momente erleben darf.“

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