"Alkohol und Psychopharmaka kann man nicht auf eine Stufe stellen"

"Alkohol und Psychopharmaka kann man nicht auf eine Stufe stellen"
Psychiater reagieren auf die Aussagen von Bundeskanzler Nehammer. "Alkohol ist ein Suchtmittel und kein Problemlöser, und Psychopharmaka sind wichtige Medikamente."

Die Aussage von Bundeskanzler Karl Nehammer zum Thema "Alkohol und Psychopharmaka" hat jetzt auch zu Reaktionen von Psychiatern geführt, die Erfahrung in der Therapie von alkoholkranken Menschen und dem Einsatz von Medikamenten zur Behandlung von psychischen Erkrankungen haben.

Nehammer hatte am Tiroler ÖVP-Parteitag in Alpbach gesagt, dass es ohne ausreichende Maßnahmen gegen die Inflation nur die Wahl "Alkohol oder Psychopharmaka" gebe. "Und ich sage Alkohol ist grundsätzlich okay ... aber das Entscheidende ist, dass man immer dann anstößt, wenn es einem gut geht", sagte der Bundeskanzler.

"Ehrlich gesagt, ich war entsetzt", sagt dazu der Psychiater Georg Psota, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie und Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD) in Wien, zum KURIER: "Das gleichzeitige Nennen von Alkohol und Psychopharmaka in einem Atemzug führt zu einer Stigmatisierung aller Menschen, die Psychopharmaka als Medikament zur Therapie einer psychischen Erkrankung nehmen. Und es führt zu einer Stigmatisierung von Psychopharmaka an sich, indem man sie mit Suchtmitteln gleichsetzt." Man könne unmöglich Alkohol und Psychopharmaka auf eine Stufe stellen.

Psota führt aber auch noch weitere Punkte an.

"Medikamente, um aktives Leben gestalten zu können"

Die Vorstellung, dass Psychopharmaka "in irgendeiner Weise so wie Alkohol wären, entspricht dieser alten Vorstellung, dass Psychopharmaka nur dämpfen und ruhigstellen. Dabei sollte man endlich zur Kenntnis nehmen, dass Psychopharmaka einfach Pharmaka sind, also Medikamente wie andere Medikamente auch. Für kranke Menschen, die sie für ihre Therapie benötigen um ein aktives und gutes Leben gestalten zu können", betont Psota.

Und auf der anderen Seite sei wichtig zu betonen, dass Alkohol kein Medikament und kein Problemlösungsmittel ist: "Das ist ja unser Problem gerade in Österreich, dass Alkohol als Lösungsmittel für Probleme missverstanden und dementsprechend missbraucht wird. Alkohol löst nicht nur keine Probleme, er macht viel zu oft welche." Österreich sei schon jetzt ein Land, "in dem viel zu viele Menschen Alkohol als Pseudomedikament verwenden" und damit in immer schwerere Krisen kommen.

Anstatt diesen Eindruck zu erwecken, Alkohol könnte helfen anstehende Probleme zu bewältigen, wären positive und motivierende Botschaften wichtig. „Psychologisch gesehen wäre es jetzt wichtig zu sagen, ja, die Zeiten sind unsicher, aber wir krempeln die Ärmel hoch und tun alles dafür, dass wir etwas weiterbringen in unserem Land. Es ist wichtig, die Zuversicht zu vermitteln, dass auch schwierige Zeiten gemeistert werden können“, unterstreicht der Präsident der Gesellschaft für Sozialpsychiatrie.

"Alkohol verschlimmert die Situation nur"

Auch der ärztliche Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien, der größten Suchtklinik Europas, Wolfgang Preinsperger, betont, dass man Alkohol und Psychopharmaka nicht gleichsetzen könne: "Letzere sind Medikamente, die eingesetzt werden zur Behandlung von psychischen Erkrankungen, und nicht zur Dämpfung und zum Zumachen, damit man die Realität aushält." Alkohol sei ein Suchtmittel, bei den Psychopharmaka müsse man aber betonen, dass es Medikamente seien, von denen nur ein Teil - nämlich die Benzodiazepine - als Suchtmittel missbraucht werden können.

"Die Aussagen von Bundeskanzler Nehammer waren unglücklich formuliert und haben die Thematik natürlich verkürzt dargestellt", sagt Preinsperger zum KURIER. "Es ist für einen Politiker vielleicht nicht ganz passend, in dieser flapsigen Art und Weise über Alkohol zu sprechen."

Natürlich könne man Alkohol zur vermeintlichen Problemlösung nicht befürworten - das einzige, was Alkohol ermögliche, ist, dass man temporär, solange die Alkoholwirkung anhält, die Belastung vielleicht nicht so stark spüre. "Aber letztlich verschlimmert Alkohol die Situation nur." Doch da habe Nehammer "gerade noch die Kurve gekratzt, indem er den Zusatz gemacht hat, dass er ok ist, wenn es einem gut geht."

Natürlich spreche wenig gegen einen "kompetenten, maßvollen Alkoholkonsum zum Genuss", sagt Preinsperger. Doch in der Pandemie habe es bei bestimmten Bevölkerungsgruppen eine gegenteilige Entwicklung gegeben: "Menschen, die schon vorher an der Schwelle zu einem problematischen Konsumverhalten waren, sind stärker in den missbräuchlichen Konsum von Alkohol und anderen Substanzen hineingerutscht."

Und ebenso Menschen, die "oft vorher schon psychischen Belastungen ausgesetzt waren und bei denen sich diese Belastungen dann derart verschärft haben, dass sie versucht haben, diese mit Alkohol oder anderen Substanzen zu kompensieren". Auch Existenzsorgen und Arbeitsplatzverlust spielten da in der Pandemie eine große Rolle, betont der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. "Die viele freie Zeit hat dann bei manchen zusätzlich zum problematischen Konsumverhalten beigetragen."

Die Nachfrage nach psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung - etwa auch wegen Suchtmittelkonsums - sei in der Pandemie gestiegen, betont Preinsperger. "Besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, deren altersgemäßes Leben ja massive Einschränkungen erlitten hat, seien es etwa die Schulschließungen oder die beschränkten Möglichkeiten zum Fortgehen am Abend gewesen, fehlende Sportmöglichkeiten, abgesagte Konzerte und Anderes."

Was das Anton-Proksch-Institut betreffe, sei die Nachfrage nach ambulanten Behandlungsmöglichkeiten "ganz grob gesagt um zehn bis zwanzig Prozent gestiegen". Im stationären Bereich hingegen sei das Angebot gleich geblieben, "weil wir die Kapazitäten nicht so einfach von einem Moment auf den anderen ausbauen können. Aber auch hier ist die Nachfrage gestiegen."

Laut Epidemiologiebericht Sucht 2021 der Gesundheit Österreich GmbH trinken etwa 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß, wobei der Anteil unter Männern knapp doppelt so hoch ist wie unter Frauen. Im Zeitraum zwischen 1994 und 2020 war der problematische Alkoholkonsum leicht rückläufig.

Die Mehrheit der Jugendlichen in Österreich trinkt aktuell (also innerhalb der letzten 30 Tage) Alkohol, bei etwa einem Fünftel hat dies im gleichen Zeitraum auch zumindest einmal zu einer stärkeren Berauschung geführt. Zwischen drei und sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 17 Jahren berichten ein Konsumverhalten, das längerfristig ein Gesundheitsrisiko darstellen würde. Zwischen einzelnen Schultypen zeigen sich Unterschiede in Hinblick auf die Konsumintensität und tendenziell ist im Zeitraum zwischen 2003 und 2019 ein Rückgang des Alkoholkonsums Jugendlicher zu verzeichnen.

 

Sollten die psychosozialen Belastungen durch Existenzängste, die Inflation und steigende Preise zusätzlich steigen, gehe er auch von einem weiter steigenden Bedarf an Therapien aus: "Natürlich können wir als Psychiater keine Lösungen anbieten, wie hohe Energiekosten-Nachzahlungen bewältigt werden können. Wir können nur versuchen, etwa bei einem Suchtmittelkonsum die Menschen von diesem wegzubekommen, ihre Psyche in diese Richtung zu stärken und zu stabilisieren, an den Sorgen und Ängsten zu arbeiten."

Ganz wichtig sei auch, sich bei aufkommenden Problemen rechtzeitig Hilfe zu holen, von der Familie, von Freunden und bei größeren Krisen von Expertinnen und Experten. "Es ist wichtig, sich anderen Menschen anzuvertrauen - und nicht die Lösung im Suchtmittelkonsum zu suchen."

"Folgen der Pandemie werden erst sichtbar"

Bei der Sucht- und Drogenkoordination Wien geht man als Folge der Pandemie im Bereich der Suchtbehandlung von einem langfristigen Anstieg der Nachfrage um 10 bis 15 Prozent aus, sagt Sprecherin Tatjana Gabrielli. "Denn die Folgen der Pandemie werden erst mit der Zeit sichtbar werden."

Was sich jetzt schon zeige: "Patientinnen und Patienten, die bereits in Behandlung sind, haben mit mehr Belastungen zu kämpfen. Das bedeutet, die Behandlung dauert länger oder braucht intensivere Maßnahmen, wie etwa einen stationären Aufenthalt. Grund dafür sind unter anderem Jobverlust, Inflation, beengte Familienverhältnisse, die Gas-Krise und der Ukraine-Krieg.

Wann die Pandemie für beendet erklärt werde, liege an der Weltgesundheitsorganisation WHO und den Infektionszahlen, betont Gabrielli. "Dass die psychosozialen Folgen dann in ganzem Ausmaß sichtbar werden, wird weitere Monate bis Jahre dauern."

Auch Gabrielli betont wie wichtig es ist, sich so früh wie möglich Hilfe und Unterstützung zu suchen: "Besser heute als morgen."

 

 

 

 

 

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