Wie hat sich die Pandemie auf das Suchtverhalten ausgewirkt?
Psota: Es gibt noch keine eindeutigen Daten, Sucht ist weitläufig und unterschiedlich. Kürzlich habe ich mit Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, über aktuelle Trends gesprochen. Bei den Verhaltenssüchten ist Internetsucht vor allem bei den Jungen ein Riesenthema. Während man früher sagte, vier Stunden Internetkonsum pro Tag sind kritisch, ist das heute nur ein Durchschnittswert und während der Pandemie massiv gestiegen, weil sich die soziale Interaktion stark verändert hat. Und weil ein bestimmtes Verhalten ein ähnliches Verhalten bahnt, gilt: Wer oft im Netz ist, wird es mit der Zeit noch mehr sein. Das beruht auf der Idee eines permanenten Anreizes.
Wie sieht es bei substanzgebundenen Süchten aus?
Psota: Da hat sich laut Lochner gezeigt, dass der Alkoholmissbrauch bei jenen Menschen, die bereits damit Probleme hatten, während der Pandemie noch mehr Probleme verursachte. Der Bedarf an Hilfsangeboten ist klar gestiegen. Jene Gruppe, die den Großteil des Alkohols in Österreich konsumiert, hat also noch mehr getrunken. Gekifft wird ebenfalls viel. Da gab es zu Beginn der Pandemie kurz Versorgungsschwierigkeiten, mittlerweile ist das wieder auf dem hohen Niveau von vorher. Wir verzeichnen einen Trend zu Cannabisprodukten, die sehr reich an THC sind. Das sollte nicht bagatellisiert werden. Befunde der letzten Jahre zeigen etwa massive neurologische Entwicklungsstörungen infolge Cannabis bei unter 18-Jährigen auf.
Und andere Drogen bzw. sogenannte Partydrogen?
Da sind jene Drogen zunehmend bedrohlich, die übers Darknet zu uns kommen: Ecstasy und verwandte Substanzen, die mir Sorgen machen. Weil diese von sehr jungen Menschen konsumiert werden, die meist keine Suchterfahrung haben. Das sind oft gute Schülerinnen und Schüler, die sich bei einer Party zwei bunte Pillen um ein paar Euro kaufen, und Stunden später tot sind. Ein anderer Trend, der sich in Österreich und auch in Wien abzeichnet: der Anstieg des Metamphetamingebrauchs, also Crystal Meth. Das ist ein europaweites Problem. Leider liefert die aktuelle Zeit noch ein Bedrohungspotenzial – und zwar für sedierende Substanzen wie Benzodiazepine.
Die klassischen Beruhigungsmittel?
Ja. Wir sehen einen stark gestiegenen Verbrauch bei pflanzlichen, nicht schädlichen Beruhigungsmitteln, von denen manche nicht wirken. Wenn das die Menschen merken, ist der nächste mögliche Schritt jener zum Beruhigungs- und Schlafmittel. Da muss man genau hinschauen.
„Im Rausch samma zaus“, hat Wolfgang Ambros gesungen – liebäugeln die Österreicher auf spezielle Weise mit dem „Rauschglück“?
Horowitz: Das glaube ich nicht. Wer aber einen anderen Zugang dazu hat, sind Künstler. Sie stehen unter Druck, Außerordentliches und reihenweise Erfolge leisten zu müssen. Dazu finden sich viele Beispiele im Buch. Von Lady Gaga, die früher vor jedem Auftritt Koks konsumiert hat. Oder Johnny Depp, der auf die Frage, warum er so viel gesoffen hat, antwortete, dass er die Dämonen seiner Kindheit und Jugend betäuben wollte. Ich selbst habe vor über 40 Jahren Oskar Werner erlebt, wie er im Kaffeehaus morgens beim dritten doppelten Cognac saß. Er starb als ein dem Alkohol verfallener 61-jähriger Greis. Aber jeder Mensch hat das Potenzial für Sucht in sich.
Psota: Ich sehe das ein wenig anders. Der gesellschaftliche Umgang mit dem Rausch und der Berauschung ist in Österreich fraglos anders als in Spanien oder Italien. In südlichen Ländern ist es nicht in, berauscht sein. Bei uns schon.
Durch Sucht entstehen im menschlichen Gehirn, bildlich gesprochen, neuronale Autobahnen. Sind diese Spuren unauslöschlich?
Psota: Wege, die oft begangen werden, sind leicht begehbare Wege. Im Sinne der Heilung eine gute Nachricht: Wenn jemand etwas an seinem Verhalten verändert, verändert er auch etwas in seinem Gehirn. Das ist ein Prozess, der nicht einfach ist und dauert. Aber er lohnt sich. Denn wie alle anderen Krankheiten kann auch eine Suchterkrankung heilen.
Horowitz: Viele Menschen denken, Sucht wäre nahezu unbehandelbar, aber Untersuchungen zeigen, dass ein hoher Prozentsatz der Betroffenen erfolgreich therapiert werden könnte. Dazu wollen wir ermutigen, deshalb führen wir auch viele praktische Beispiele. Wie zum Beispiel von Josef, der bis zu 120 Zigaretten pro Tag rauchte und es geschafft hat, damit aufzuhören. Es gibt Wege aus der Sucht. Dabei geht es – im Sinne des Psychiaters und Suchtspezialisten Michael Musalek – meist nicht darum, sich ein Leben lang „zusammenzureißen“ und zu kasteien, sondern alternativ etwas anderes Schönes zu tun.
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