Suchtprävention bei Jugendlichen: Was Österreich noch lernen muss
Island geht mit Gesetzen und Förderungen gegen Alkohol-, Drogen- und Gaming-Sucht bei Jugendlichen vor – mit Erfolg. Österreich könnte sich einiges abschauen.
Jón Sigfússon zeigt ein Foto in die Runde: Eine Straße der der isländischen Hauptstadt Reykjavík ist darauf zu sehen, aufgenommen um 4 Uhr in der Früh, irgendwann in den 1990ern. Es ist taghell, doch auf der Straße tummeln sich viele Dutzend Jugendliche, denen man ihre Betrunkenheit, ihren Rausch, ansieht. Heute, sagt Sigfússon, sei das Bild ein völlig anderes. Er arbeitet für Planet Youth, eine isländische Forschungs- und Beratungsorganisation für Suchtprobleme bei Jugendlichen.
Das Bild, über das er spricht, lässt sich in Zahlen gießen: In den vergangenen acht Jahren ist der Drogenmissbrauch bei Jugendlichen in Reykjavík – dort wohnen zwei Drittel der Gesamtbevölkerung Islands – um die Hälfte gesunken.
"Die Welt hört nicht zu"
"Island weiß, wie man Suchtproblematiken unter Jugendlichen stoppt – aber die Welt hört nicht zu“, schrieb die britische Journalistin Emma Young schon 2017. Doch was ist die Wunderwaffe der Isländer gegen Drogen- und Alkoholsucht, aber auch gegen die weltweit steigenden Probleme mit problematischem Social-Media- und Gaming-Verhalten?
Um sich das erklären zu lassen, reiste die österreichische Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) in den vergangenen Tagen nach Island. Zwar hat in Österreich der Konsum von Alkohol und Nikotin unter Jugendlichen in den vergangenen Jahren massiv abgenommen, Probleme mit Gaming oder Social Media sind aber stärker geworden. Diese Entwicklung dürfe man nicht aus den Augen verlieren, sagt Plakolm.
Gute Datenlage
Wie kann sich Österreich an der isländischen Lösung also ein Beispiel nehmen? „Das Zauberwort ist ,Daten‘“, sagt Jón Sigfússon. Alle isländischen Jugendlichen müssen einmal im Jahr lange Fragebögen mit 70 bis 80 Fragen in der Schule ausfüllen.
Dabei geht es nicht nur um ihr Drogen- und Internet-Konsumverhalten – sondern vor allem um ihre Lebensumstände. „Dann haben wir uns angeschaut, was jene, die
ein problematisches Verhalten aufweisen, gemeinsam haben, und was jene, bei denen es gut läuft, gemeinsam haben“, erklärt Stadträtin Heida Björg Hilmisdóttir.
Das Ergebnis: Der wichtigste Faktor ist, wie viel Zeit Jugendliche mit ihren Eltern, aber auch bei Freizeitaktivitäten verbringen.
Alkohol: Die Frage, ob sie in den vergangenen 30 Tagen Alkohol getrunken haben, haben 2007 80 Prozent der Jugendlichen (14–17 Jahre) bejaht, 2021 waren es 60 Prozent. Seit 2003 ist der durchschnittliche Wochenkonsum um ein Drittel gesunken. Er liegt derzeit bei 0,3 Liter Bier pro Woche.
Rauchen: Jeder Siebte der 14- bis 17-Jährigen raucht täglich. Ein Viertel gibt an, in den vergangenen 30 Tagen geraucht zu haben. Seit 2003 sind die Zahlen stark rückläufig.
Cannabis: Jeder fünfte Jugendliche hat mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert, 10 Prozent in den vergangenen 30 Tagen, bei weiteren 2 Prozent hat der Konsum problematische Ausmaße.
Gaming und Social Media: Jugendliche nutzen Social Media zwei bis sechs Stunden pro Tag, nur 5 Prozent nutzen gar keine sozialen Medien. 76 Prozent der Mädchen geben an, zu viel Zeit auf Social Media zu verbringen, bei den Burschen sind es 55 Prozent. 14 Prozent der Jugendlichen spielen täglich Video- und Computerspiele. Unter den Burschen gibt jeder Dritte an, zu viel Zeit damit zu verbringen, bei den Mädchen sind es 7 Prozent.
In der Folge wurde gesetzlich die Aufsichtspflicht der Eltern für Kinder verstärkt. Die Ausgehzeiten, vor allem in den Wintermonaten, in denen es bis zu 20 Stunden am Tag dunkel ist, wurden angepasst. Nach 22 Uhr patrouillieren Gruppen von Eltern bei „Parent Walks“ durch die Nachbarschaft und begleiten Kinder, die nicht daheim sind, nach Hause oder informieren deren Eltern.
Kein Gesetz, aber zumindest eine Empfehlung, gibt es für eine „digitale Ausgangssperre“ am Abend. Das heißt: Je nach Altersgruppe wird eine bestimmte Zeit empfohlen, ab der Handy und Computer aus sein sollten.
An den Nachmittagen wird in Island bewusst versucht, Kinder in möglichst viele Freizeitangebote zu bringen. Jedes Kind erhält einen „Gutschein“, der in der Regel die Kosten für eine Aktivität deckt. Das Geld geht von der öffentlichen Hand direkt an die Vereine.
eSport wird gefördert
Auch eSportsvereine werden in Island immer beliebter. Diese „Professionalisierung“ des Spielens in Vereinen werde in Island als Methode angesehen, um Gaming-Sucht in den Griff zu bekommen, sagt Sigfússon. In vielen Jugendzentren hat man eigene Räume mit Spielkonsolen ausgestattet.
Gamen um weniger zu gamen? In Island scheint dieses Konzept aufzugehen. „Wir holen die Jugendlichen aus der Isolation zu Hause heraus und bringen sie dazu, zunächst einmal im Jugendzentrum zu spielen. Darauf können wir weiter aufbauen“, sagt der Leiter eines Jugendzentrums im „Problembezirk“ Breiðholt.
Staatssekretärin Plakom kann dem einiges abgewinnen. „Wir dürfen nicht durch alte Denkmuster nur die negative Seite sehen. Was kann es Cooleres geben, als neben einer Ski- auch eine Gaming-Nation zu werden“, sagt sie mit Blick auf Österreich.
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