Suchtkoordinator rechnet mit mehr Alkohol-Patienten durch Pandemie

Frau trinkt Rotwein
Während der Corona-Pandemie, besonders während der Lockdowns, hatten viele Menschen mehr Alkohol getrunken. Die Frage ist, wie ist die Situation jetzt?

15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher konsumieren Alkohol in einem problematischen Ausmaß, davon sind fünf Prozent alkoholkrank. Die Coronavirus-Pandemie hat die Situation verschärft, berichtete der Wiener Sucht-und Drogenkoordinator Ewald Lochner. Er rechnet mit einem großen Mehrbedarf an Therapieplätzen und verwies im APA-Interview auf das Behandlungskonzept "Alkohol. Leben können", mit dem es gelingt zu helfen, ohne Betroffene aus dem Berufsalltag zu reißen.

Es gibt noch keine konkreten statistischen Daten für Österreich zu den Folgen der Coronavirus-Pandemie auf den Alkoholkonsum. Doch aus Studien sei bereits jetzt herauslesbar, dass sich die Problematik vor allem während der Lockdowns verschärft hat, berichtete Lochner. Menschen haben mehr getrunken, und die Situation bei jenen, die bereits vor Corona in dieser Hinsicht Probleme hatte oder gefährdet waren, habe sich verschlechtert. Letztere Gruppe würde schon jetzt vermehrt Therapieangebote in Anspruch nehmen, sagte Lochner.

Grenzen für problematischen Alkoholkonsum

Entscheidend sei jedenfalls mit Blick auf die Zukunft: "Wie ändern sich die Menschen, die einen gesteigerten Alkoholkonsum während Covid entwickelt haben? Hören diese Menschen wieder auf - fallen sie wieder in ein Konsummuster, dass durchschnittlich oder unterdurchschnittlich ist oder bleiben sie auf diesem hohen Konsumniveau und entwickeln sie daraus eine Suchterkrankung?" Als Grenzen für einen problematischen Alkoholkonsum gelten bei Männern ein dreiviertel Liter Wein oder drei Krügerl Bier täglich, bei Frauen ein halber Liter Wein oder zwei Krügerl Bier pro Tag.

Für Lochner ist allerdings klar, dass wohl nicht alle in alte Muster zurückfallen und mehr Menschen als vor Corona Hilfe brauchen werden und in den nächsten Jahren mehr Therapieplätze notwendig sein werden: "Wir gehen wirklich davon aus, und das müssen wir im Bereich der öffentlichen Verwaltung, dass sowohl im Bereich der Sozialpsychiatrie als auch im Bereich der Sucht zu einer Steigerung der Leistungsnachfrage für Behandlungen in den nächsten Jahren von mindestens zehn bis 15 Prozent gibt", prognostizierte Lochner. Seine Abteilung, die Sucht- und Drogenkoordination, ist mit der Umsetzung der strategischen und operativen Ziele der Wiener Sucht- und Drogenpolitik betraut.

Wien setzt bei alkoholkranken Menschen auf das kostenlose Behandlungskonzept "Alkohol. Leben können". Dieses existiert seit 2014 und kommt in mehreren Einrichtungen zur Anwendung. Dazu zählen das Anton Proksch Institut und die Vereine Grüner Kreis, p.a.s.s., Schweizer Haus Hadersdorf und Dialog.

Versorgung Alkoholkranker

Dabei geht es um eine umfassende, zwischen einzelnen Trägern verzahnte Versorgung Alkoholkranker - wobei die Stadt, Krankenkasse und Pensionsversicherungsanstalt gemeinsam die Initiative tragen und sich die Kosten teilen. Ein derartiges Modell wird auch von den Drogen- und Suchtkoordinatoren der anderen Bundesländer für ihre Regionen gefordert. Bis Ende 2021 ist das Wiener Programm finanziell gesichert, derzeit laufen die Verhandlung für die folgenden Jahre.

Seit 2014 wurde durch "Alkohol. Leben können" rund 8.000 Personen, davon 68 Prozent Männer, 32 Prozent Frauen, geholfen. Der Altersschnitt der Betreuten beträgt 47 Jahre, die jüngste Person war 17 Jahre alt, die älteste 81 Jahre alt. Pro Jahr können 2.000 Personen in das Programm neu aufgenommen werden, die durchschnittliche Behandlungsdauer liegt bei 17,5 Monaten.

Eine externe begleitende Evaluierung durch das Institut für Höhere Studien (IHS) aus dem Jahr 2020 ergab, dass bei rund 60 Prozent der Klienten eine positive Veränderung im Konsumverhalten - also sinkender Alkoholkonsum - eingetreten war. Bei jeweils rund der Hälfte besserte sich auch die körperliche und psychische Gesundheit.

75.000 bis 150.000 Betroffene in Wien

Auch ein wesentlicher Faktor: Es sei gelungen, 72 Prozent der Patientinnen und Patienten in der Erwerbstätigkeit zu halten bzw. wieder in die Erwerbstätigkeit zu bringen (14 Prozent), hieß es. Das sei häufiger als es bei anderen Programmen der Fall ist - ein wichtiger Faktor und eine Motivation für die Betroffenen, da lange Therapien oft aus dem Berufs- und Lebensalltag herausreißen. "Suchterkrankung und Erwerbstätigkeit sind Dinge, die sehr problematisch miteinander korrelieren", so Lochner.

Das macht laut Lochner auch den Erfolg von "Alkohol. Leben aus": Ein integriertes Betreuungssystem samt individuellem Plan für jeden Patienten bzw. jede Patientin für mindestens ein Jahr, ein Angebot, das gut von berufstätigen Menschen wahrgenommen werden kann und eine Finanzierung, die im Hintergrund läuft. Genaue Zahlen, wie viele Menschen in Wien mit dem Alkohol Probleme haben, gibt es übrigens nicht. Schätzungen gehen von 75.000 bis 150.000 Personen aus, die entweder einen problematischen Alkoholkonsum oder eine Alkoholerkrankung haben.

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