Wirtschaftskurs: Asien ist wichtiger als die USA

Wirtschaftskurs: Asien ist wichtiger als die USA
Globalisierung neu: Alles plötzlich anders? Welchen Kurs die EU nach Brexit und Trump einschlagen sollte.

Der Brexit der Briten und der Wahlsieg von Donald Trump in den USA stellen jahrzehntelange Gewissheiten auf den Kopf. Statt um neue Mitglieder zu buhlen, ist die EU plötzlich auf Schrumpfkurs. Und statt den Handel auszuweiten, gibt es jenseits des großen Teichs einen Präsidenten, der die USA lieber einigeln möchte. Welche Folgen hat das?

Weniger Gewicht

Fakt ist: Europas Stellenwert in der Welt schrumpft. Diese bittere Erfahrung musste die britische Premierministerin Theresa May kürzlich machen. Sie warb in Indien für ein Handelsabkommen und holte sich eine glatte Abfuhr. Da sollten die Briten erst einmal die Visaregeln für indische Studenten und Fachkräfte lockern, verlangte Premier Narendra Modi. Fazit: Die Inder sind heute selbstbewusst genug, um sich von früheren Kolonialherren nichts sagen zu lassen.

Alte Größe zählt nichts. Das gilt für die Briten, die EU als Ganzes, aber auch die USA: Die Wirtschaftskraft der asiatischen Schwellenländer (das umfasst China, Indien sowie Bangladesch bis Vietnam) ist mit 32 Prozent Weltmarktanteil schon gleich groß wie jene von USA und EU zusammen, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt (Quelle: IWF). Wer glaubt, auf sich allein gestellt besser abzuschneiden, dem droht ein böses Erwachen.

Wirtschaftskurs: Asien ist wichtiger als die USA
Trügerisches Rezept

Trump erweckt den Eindruck, als habe der globale Freihandel den USA die Industriejobs geraubt. Das ist paradox: Eine Analyse zeigt nämlich, dass die USA von 1990 bis 2014 die mit Abstand meisten Handelsbarrieren und Schutzmaßnahmen (fast 450) verhängt haben, noch vor Indien (rund 350), Russland und Brasilien. Das Rezept hat also bisher schon nicht funktioniert.

Neu orientieren

TTIP ist tot. Die USA sind an dem Freihandelsabkommen mit der EU nicht mehr interessiert – zu groß sind die Differenzen. Die EU sollte sich in Richtung Asien orientieren und eine Allianz mit China und den anderen Pazifikstaaten anstreben, rät der Ökonom Daniel Gros, Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS. Das könnte von Investitionen über Handel bis zum Klimaschutz reichen, von dem sich Trump wohl verabschiedet.

Übrigens: Dazu passt, dass Österreichs Exporte in den asiatischen Raum im ersten Halbjahr 2016 mit 6 Milliarden Euro mehr ausmachten als die Ausfuhren nach Nordamerika (4,9 Milliarden Euro), wie die Außenhandelszahlen zeigen.

Zurück zu den Wurzeln

Europas Einigung entstand aus einem Kalkül: Die Erzfeinde Frankreich und Deutschland sollten einander nicht mehr bekriegen, deshalb übertrug man ihnen gemeinsam die Kontrolle über die Kriegsgüter Kohle und Stahl. Motto: Wer Handel treibt, schießt nicht aufeinander.

Der Grund, warum die EU ständig gewachsen ist, war freilich: Es haben alle profitiert. Reiche Industriestaaten (wie Österreich) erschlossen sich neue Märkte und trugen mit Investitionen bei, dass ärmere Länder (in Osteuropa) aufholen. Aber funktioniert dieses Erfolgsmodell noch?

Die Eurokrise ist aus dem Bewusstsein gerückt, aber nicht ausgestanden. In Italien könnte sie rasch wieder hochkochen. Die EU muss die Währungsunion flott und endgültig krisensicher machen.

Binnenmarkt neu

Soll die EU beim Brexit auf die "reine Lehre" pochen, dass es Marktzugang für die Briten nur gibt, wenn sie die vier Grundfreiheiten einhalten? Sind Kompromisse denkbar – oder wäre das der Anfang vom Ende, weil dann alle Länder Sonderregeln fordern, etwa um ihren Arbeitsmarkt zu schützen? "Die reine Lehre gibt es in der EU nie", sagt Gros. Er glaubt an eine Lösung mit den Briten. Diese müssten aber ebenfalls Abstriche machen.

Globalisierung für alle

Will Europa beweisen, dass der Trump-Kurs in die Irre führt, muss es ein funktionierendes Gegenkonzept finden: Freien Handel, der nicht nur die Oberen Zehntausend reicher macht. Und Wachstum, das nicht auf dem Raubbau an der Umwelt und auf Schulden gründet, sondern auf nachhaltigem Wirtschaften.

Wirtschaftskurs: Asien ist wichtiger als die USA

Der Ökonom Daniel Gros leitet die renommierte Denkfabrik CEPS in Brüssel. Er sagt über ...

... Abschottung

Europa kann sich vom Welthandel nicht abwenden, Amerika hat diese Versuchung eher. Ich sehe eine aufkommende Allianz Europas mit China bzw. Asien. Für den Handel wäre das sogar wichtiger als die USA.

... TTIP

Wirtschaftskurs: Asien ist wichtiger als die USA
Das EU-USA-Abkommen hat falsche Akzente gesetzt. Das TTIP-Scheitern ist eine Chance für Europa. Warum treten wir nicht statt den USA in den Pazifikpakt TPP ein? (von Trump abgelehntes US-Abkommen mit elf Pazifikstaaten wie Japan, Australien oder Vietnam)

... "Amerika zuerst"

Viel Theaterdonner. Trumps Team hat jetzt für Tag 1 eine Studie angekündigt, wie viel NAFTA, der Pakt mit Mexiko und Kanada, den USA gebracht hat. Das klingt schon ganz anders als 35 Prozent Strafzölle.

... Verlierer

Der globale Handel hat zu den Jobverlusten in der Industrie beigetragen, ist aber nicht der Hauptgrund. Das ist die Technologie.

... Fairerer Handel

Dazu müssten die USA ihre Arbeiter besser und "europäischer" behandeln: gewerkschaftliche Organisation, bessere Löhne, Arbeitsrechte. Aber gerade das will Trump nicht. Die US-Wirtschaft soll völlig flexibel sein, aber die Arbeiter vor negativen Folgen schützen. Beides zugleich geht aber nicht.

Was will Trump? Mit gemischten Gefühlen reagieren Österreichs Exportunternehmen auf die geänderte politische Lage in den USA. Die Parole "Made in the USA" könnte zum einen österreichische Warenexporte erschweren, zum anderen zu verstärkten Investments führen, wovon Zulieferer profitieren.

"Die Re-Industrialisierung der US-Wirtschaft, die unter Trump weitergetrieben wird, kann zu verstärkten Investments in Maschinen und Anlagenbau führen. In diesen Bereichen ist Österreich besonders stark", sagt Walter Koren, Leiter der Außenwirtschaft Austria in der Wirtschaftskammer (WKO).

Auch die Nachfrage nach neuen Werkstoffen und Technologien etwa in der Automobilindustrie sei für heimische Zulieferer positiv. Maschinen, Anlagen und Bauteile zählen zu den wichtigste Exportgütern Österreichs in die USA. Im Vorjahr lieferte Österreich Waren im Wert von 9,1 Mrd. Euro in die USA – ein Plus von 16,7 Prozent. Damit sind die Staaten das zweitwichtigste Exportland hinter Deutschland und vor Italien. Zu den größten Exporteuren zählen neben Red Bull, BMW Steyr, GM Powertrain und Magna.

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Die Politik der Re-Industrialisierung sei "nichts dramatisch Neues", meint auch Semperit-Chef Thomas Fahnemann. Der niederösterreichische Gummikonzern liefert vor allem medizinische Handschuhe und Förderbänder in die Staaten. Dass Trump die Kohleförderung nicht so rasch aufgeben möchte, kann dem Unternehmen nur recht sein. Ein eigenes Fördergurte-Werk in den USA zwecks lokaler Produktion wird ohnehin bereits erwogen. Viele Konzerne wie voestalpine, Miba, Andritz oder Hörbiger haben längst eigene Werke vor Ort.

Mengenfrage

Etwas vorsichtiger argumentiert Rainer Deisenhammer, Chef von CW Cosmetics aus Leopoldsdorf bei Wien. "Wir müssen erst abwarten, was Herr Trump vorhat, wie weit seine Abschottung geht." CW Cosmetics ist Weltmarktführer bei Farben für Augenbrauen und Wimpern, die USA ist ein wichtiger Absatzmarkt. Eine eigene US-Produktion kann sich Deisenhammer wegen der hohen Automatisierung vorstellen, dies sei letztlich aber eine Mengenfrage. Profitieren könnten Pharmafirmen, weil Trump anders als Clinton die Medikamentenpreise nicht deckeln wird. "Das könnte unseren Exporten in der Medizintechnik und bei Pharmazeutika Auftrieb geben", so Koren.

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