Verteidigungsunion: Europa muss selbst anpacken
Zwei Ereignisse haben die Europäische Union ordentlich aufgerüttelt: Das Brexit-Votum und ein Warnschuss aus Washington.
Donald Trump hat im Wahlkampf den Europäern lautstark ausgerichtet, sich mehr um ihre eigene Verteidigung zu kümmern. Selbst die Rolle der NATO, des transatlantischen Bündnisses, stellte der designierte US-Präsident infrage. Schutz der Amerikaner gebe es nur noch gegen Cash, auch in der NATO.
Die Europäer waren kurz irritiert, doch dann reagierten sie überraschend schnell für Brüsseler Verhältnisse. Die zuständigen Außen- und Verteidigungsminister kamen vergangene Woche in Brüssel zusammen und vereinbarten einen gemeinsamen Aktionsplan. "Es gibt Aufbruchstimmung, wir müssen mehr für unsere eigene Sicherheit tun", sagt Generalleutnant Günter Höfler zum KURIER. Er hat an dem Treffen teilgenommen und ist von den "vielversprechenden Schlussfolgerungen" angetan: "Die Aussage von Trump ist angekommen." Aber auch die Briten, die bisher jede militärische Zusammenarbeit blockiert haben, gaben sich zahm. "Der Weg in eine mögliche Verteidigungsunion kann jetzt beschleunigt werden."
Supermacht Europa
Geradezu euphorisch äußerte sich die Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini. Die EU sei eine "Supermacht, die an Zusammenarbeit und Multilateralismus glaubt". "Supermacht", das traute sich in der EU bisher niemand zu sagen, stets war von "Soft Power" die Rede.
Damit ist jetzt Schluss. Die einzelnen Ressorts wollen in knapp zwei Dutzend Bereichen kooperieren – von der Ausbildung der Offiziere bis hin zum Austausch von geheimen Informationen. Auch die Strukturen gehören gestrafft, Waffensysteme harmonisiert, um gegen neue Bedrohungen gerüstet zu sein (siehe Interview unten).
Sicherheitspolitisch autonom werden, heißt aber auch, die Mittel für Rüstung besser und effizienter einzusetzen. In der EU gibt es 19 verschiedene Kampfjets und 27 Modelle von Transportpanzern. Das kostet viel Geld, eine Harmonisierung und eine gemeinsame Beschaffung sind ein Sparfaktor. Darauf wies in Brüssel auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hin.
Bedenken gegen eine gemeinsame Verteidigungspolitik gab es von den Balten und Polen, sie misstrauen der europäischen Schlagkraft gegenüber Russland. Belgien und Portugal fürchten sich vor explodierenden Ausgaben. Die allianzfreien Staaten (Schweden, Finnland) und das neutrale Österreich und Irland haben ihre Mitarbeit zugesagt.
Weniger Egoismus
Realistisch bewertet ein Militärstratege die Pläne: "Es braucht nicht nur mehr Investitionen, sondern vor allem politischen Willen und weniger nationalen Egoismus."
Die EU hat 510 Millionen Einwohner, die USA 320 Millionen. Doch für Verteidigung geben die Amerikaner doppelt so viel aus wie die Europäer, die 2015 gerade mal 200 Milliarden Euro für Verteidigung budgetiert hatten.
Dabei werden die Herausforderungen größer: Afrika, eine Russland-Strategie, die Stabilisierung der Ukraine und der Schutz der EU-Außengrenze stehen auf der Tagesordnung. "Das ist der Elchtest für die EU", sagt ein hochrangiger Diplomat.
Analyse: Europa rückt an den Rand
Er ist Österreichs höchster Vertreter im Militärausschuss der EU und der NATO-Partnerschaft für den Frieden. Generalleutnant Günter Höfler sprach mit dem KURIER über ...
... die Kooperation der EU-Staaten in der Verteidigungspolitik Die Ziele sind vielversprechend. Es soll einen eigenen Rat der Verteidigungsminister geben, ein permanentes zivil-militärisches Hauptquartier, mehr gemeinsame Forschung, Entwicklung und Beschaffung sowie einen Verteidigungsfonds. Die enge Abstimmung und Zusammenarbeit kann zu einer Verteidigungsunion führen. Eine EU-Armee kommt nicht.
... die EU-NATO-Zusammenarbeit Es geht nicht um Wettbewerb, sondern um eine sinnvolle Ergänzung. 22 EU-Staaten sind in der NATO. Es geht um eine Zusammenarbeit von Cyber-Verteidigung, der hybriden Kriegsführung und maritimen Sicherheit. Die Sophia-Mission im Mittelmeer arbeitet seit 9. November mit der Operation Sea Guardian der NATO zusammen. Ein gemeinsames Hauptquartier wird es nicht geben.
... Finanzierung Zivile Missionen werden aus dem EU-Budget bezahlt, militärische Aktionen zahlen die Länder. Das ist vor allem der Grund, warum die Battlegroups noch nie zum Einsatz gekommen sind. An einem Verteidigungsfonds wird gearbeitet, der aus Beiträgen der Mitgliedsländer und dem EU-Haushalt gespeist werden könnte.
... die Position neutraler Länder Österreich sieht die Pläne positiv und unterstützt die Stärkung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Österreich fordert die Nutzung zivil-militärischer Fähigkeiten für den Außengrenzschutz der EU und für den Bereich der Migrationsbewältigung. Wir treten dafür ein, dass die Entscheidungsautonomie der EU-Mitglieder gewahrt bleibt.
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