Wien Energie im Sturm der Strombörsen
Tariferhöhung, Ärger mit dem Konsumentenschutz und, wie am Sonntag bekannt wurde, Liquiditätsprobleme: Der Energieversorger Wien Energie bleibt in den Schlagzeilen. Das Unternehmen im mittelbaren Eigentum der Stadt hätte sich bei Termingeschäften verspekuliert, wie es in manchen Medien hieß.
Wien Energie stellt die Situation naheliegenderweise anders dar: "Um Versorgung der Kund*innen sicherzustellen, führt Wien Energie Handelsgeschäfte an Energiebörsen durch. Dabei muss das Unternehmen – wie alle Börsenteilnehmer – Sicherheitsleistungen hinterlegen." Und diese seien mit dem starken Anstieg der Spotmarktpreise vergangene Woche deutlich teurer geworden, wodurch es an Liquidität fehlt.
Aber warum "spekuliert" ein Unternehmen im öffentlichen Eigentum, das noch dazu mit einer so fundamentalen Leistung wie Stromversorgung beschäftigt ist, an der "Börse"?
Die Antwort liegt an der Ordnung des Strommarktes selbst, wie sie im Zuge der EU-weiten Liberalisierung vor mehr als 20 Jahren entworfen wurde. An Energiebörsen und dem Handel mit Lieferverbindlichkeiten in der Zukunft gibt es dabei keine Alternative. Denn Strom kann man nicht ins Regal stellen. Will ein Versorger also wissen, dass er in der Zukunft seine Kunden beliefern kann, muss er Strom kaufen, der noch gar nicht erzeugt ist.
Strombörsen
Der Großteil des produzierten Stroms wird von Kraftwerksbetreibern langfristig im Voraus verkauft, man spricht von sogenannten "over the counter"-Geschäften. Dabei orientieren sie sich an Großhandelspreisen, die an den Strombörsen gebildet werden. An diesen Handelsplätzen treffen Stromerzeuger, Energieversorger und weitere Händler zusammen. Letztere haben keine Versorgungsfunktion, sie sollen, dem Markt Liquidität verschaffen und als Gegengewicht zur Marktmacht der großen Energiekonzerne wirken.
Bezugsrechte, die weiter in der Zukunft liegen, werden am sogenannten Terminmarkt gehandelt, für tagesaktuelle Lieferungen gibt es den sogenannten Spotmarkt. In tagesaktuellen Auktionen entsteht dabei der "Spotmarktpreis" nach dem Prinzip der Merit Order. Am kurzfristigen Handel führt aber kein Weg vorbei, denn im Stromnetz schwanken Angebot und Nachfrage. Damit das Netz stabil ist, muss aber immer so viel Energie eingespeist wird, wie benötigt wird.
Damit dieser kurzfristige Handel funktioniert, müssen alle Teilnehmer (also auch die Wien Energie) Sicherheiten bei den Börsen hinterlegen. Wenn der Spotmarktpreis so stark ansteigt, wie das zuletzt der Fall war, dann müssen die Unternehmen dafür also etwa die zehnfache Geldmenge hinterlegen wie vor einem Jahr. Das dürfte bei Wien Energie zum Problem geworden sein.
Die Kautionen für bereits getätigte Geschäfte hätten sich vervielfacht, heißt es von Wien Energie. Bis zu 1,8 Milliarden Euro sollen dem Unternehmen fehlen, bis zu sechs Milliarden könnten es insgesamt werden. Wohlgemerkt hat das Unternehmen dabei soweit bekannt kein Geld verloren, denn die hinterlegten Kautionen werden retourniert, wenn das jeweilige Geschäft abgewickelt wird. Fraglich ist nicht, dass Wien Energie an Strom- und Gasbörsen handelt, sondern ob dabei falsche Einschätzungen getroffen wurden. Den Begriff der Spekulation hat Aufsichtsrat-Vorsitzender Peter Weinelt übrigens zurückgewiesen.
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