Wien-Energie-Chef: "Im Risikomanagement ist keiner so gut aufgestellt wie wir"
Eineinhalb Jahre nach dem "Black Friday" hat Michael Strebl ehrgeizige Pläne. Auf Gas soll schrittweise verzichtet werden - insbesondere auf russisches.
Wien Energie betreibt die größten Gaskraftwerke des Landes, auch für die Fernwärme der Hauptstadt ist es der wichtigste Energieträger. Das soll sich ändern, sagt Michael Strebl mit Verweis auf neue Technologien und die höchsten Investitionen in der Geschichte des landeseigenen Energieversorgers. Mit dem KURIER sprach der Wien-Energie-Chef über Energiepreise, die vorgeschlagene Diversifizierungspflicht und die Kritik des Rechnungshofes an seinem Unternehmen.
KURIER: Österreich ist nach wie vor stark von russischem Gas abhängig, für Wien Energie ist es der wichtigste Primärenergieträger. Was machen Sie, wenn die Ukraine 2025 die Durchleitung einstellt?
Michael Strebl: Wir sind sehr gut vorbereitet. Unsere Speicher sind zu 95 Prozent voll – und das nach dem Winter. Wir könnten unsere Privatkunden damit etwa ein Jahr lang versorgen. Auch unsere Öllager für den Einsatz in Heizwerken sind voll.
Was würde die von Ministerin Gewessler vorgeschlagene Diversifizierungspflicht für Wien Energie bedeuten?
Es hat für uns insofern keine große Bedeutung, weil wir unseren Diversifizierungsweg sowieso machen. Wir haben vor zwei Jahren schon eine Milliarde Kilowattstunden aus Algerien gekauft und voriges Jahr 30 Prozent unseres Verbrauches aus dezidiert nicht-russischem Gas besorgt.
Aber die Preise würden wieder steigen?
Wenn ein großer Versorgungsstrang ausfällt, ist das immer eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wir müssen das natürlich im Auge behalten, aber der Gaspreis hängt von vielen Aspekten ab, etwa von der weltweiten Konjunktur. Erdgas wird weltweit verschifft, preissetzend für den gesamten Erdgasmarkt ist deswegen der LNG-Preis (Liquefied Natural Gas, kurz LNG, ist verflüssigtes Erdgas, Anm.).
Techniker und Betriebswirt. Strebl wurde 1964 in Salzburg geboren. Er studierte Betriebswirtschaft und Technische Physik in London, Graz, Linz und Wien.
Seit 1994 in der Energiewirtschaft. Vor seiner Tätigkeit bei Wien Energie war der Vater zweier Kinder unter anderem Geschäftsführer der Salzburg Netz GmbH. Seit Ende 2022 ist er außerdem Präsident der Austrian Association für Energy Economics (AAEE).
Sie wollen schrittweise raus aus Gas. Wie schnell geht das?
Wir wollen uns aus dieser Abhängigkeit rausinvestieren. Schritt eins ist, wir wollen raus aus russischem Gas, der zweite wichtige Schritt ist, überhaupt raus aus Gas zu kommen. Bis 2040 wollen wir klimaneutral sein, bis 2030 wollen wir im Vergleich zu 2019 33 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Wir haben einen Zielwert für jedes Jahr und monitoren das auch. Wir malen aber nicht nur Powerpoint-Präsentationen zu dem Thema, sondern in Wien passiert‘s. Wir haben im Jahr 2023 320 Millionen Euro investiert, das ist ein absoluter Rekordwert in der Unternehmensgeschichte.
Wo ist dabei bis 2030 am meisten zu holen?
Der größte Teil ist die Wärmewende, da haben wir voriges Jahr etwa die größte Wärmepumpe Mitteleuropas in Betrieb genommen. Bei einem Geothermieprojekt im 22. Bezirk sind wir direkt vor dem Startschuss und es gibt viele weitere Projekte wie Abwärmenutzung, eine Großwärmepumpe bei der Müllverbrennungsanlage Spittelau und Pioniergebiete im Rahmen der Stadtentwicklung. Außerdem investieren wir in den Ausbau der Erneuerbaren-Stromerzeugung. Unser Beitrag zur Verkehrswende ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Wir haben in Wien jetzt 2.200 öffentliche Ladestellen in Wien und heuer kommen 200 weitere dazu. Wir arbeiten dabei auch stark mit Wohnbauträgern.
In Wien gibt es mehr als 400.000 Gasheizungen. Sie wollen diese Haushalte zu einem Gutteil ans Fernwärmenetz anschließen. Wie kann angesichts der Vielzahl von Haus- und Wohnungsbesitzern gelingen?
Wir erarbeiten gemeinsam mit der Stadt Wien einen Wärmeplan, um zu bestimmen, in welchen Gebieten die Fernwärme kommt. In Wien haben wir mit der Fernwärme einen Anteil von etwa 42 Prozent am Wärmemarkt. Wir wollen diesen bis 2040 auf 55 bis 60 Prozent steigern.
Was brauchen Sie von der Politik, damit das funktioniert?
Ein Erneuerbaren-Wärme-Gesetz mit einer Umstellverpflichtung wäre wichtig gewesen, wir bedauern sehr, dass das jetzt nicht mehr gekommen ist. Die Stadt Wien hat aber auch viele Förderungen für den Fernwärmeanschluss aufgelegt.
Sie haben die Notlage des Unternehmens im Sommer 2022 auf externe Faktoren zurückgeführt. Der Rechnungshof sieht das anders, in dem Bericht ist die Rede von „systemischen Schwächen“ in der Risikobewertung. Können Sie das nachvollziehen?
Wir nehmen den Rechnungshofbericht sehr ernst. Wir haben 50 Prozent der Empfehlungen daraus bereits umgesetzt, weitere 45 Prozent sind in Umsetzung und bei ein paar müssen wir uns noch überlegen, wie das gehen soll. Wir haben zum Beispiel einen Risikomanagementausschuss mit externen Experten im Aufsichtsrat eingerichtet und eine eigene Stabstelle für diese Risikothemen geschaffen.
Laut dem Bericht gab es schon ein „Risikokomitee“, das aber zwischen Jänner und Nov. 2022 nicht zusammengekommen ist. Wie kann das sein?
Es gab sogar zwei Strukturen: Ein Risikogremium und ein Risikokomitee. Das Risikokomitee umfasst nur die Geschäftsführung, im Risikogremium sind die Hauptabteilungsleiter dabei – und das Risikogremium hat in Permanenz getagt. Der Rechnungshof hat übrigens auch gesagt, dass wir ein branchenübliches Risikomanagement hatten. Wir haben aus der Krise sehr viel gelernt, ich glaube im Risikomanagement ist in Österreich sonst keiner so gut aufgestellt wie wir.
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