Am 14. März 2011, drei Tage nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, läutete Angela Merkel in Berlin eine Zeitenwende ein. Der Atomausstieg wurde paktiert; ab 2023 solle keiner der 17 Atommeiler noch am Netz sein.
Damals war russisches Gas billig und verfügbar, Putin ein akzeptabler Partner. Mittlerweile ist alles anders: Die deutsche Ampelkoalition zerkracht sich an der Frage, ob die letzten drei AKW weiterlaufen sollen – und ist mit diesen Überlegungen nicht allein. Belgien hat den für 2025 geplanten Atom-Ausstieg um zehn Jahre verschoben, die Niederlande bauen zwei neue Reaktoren, in Großbritannien ist einer geplant. Frankreichs Präsident Macron sieht in der Kernkraft gar eine "historische Chance" und lässt sechs neue Kraftwerke planen. Dafür wird wegen der hohen Kosten sogar der teilprivatisierte Konzern EDF rückverstaatlicht. In den USA fördert die Biden-Regierung die Atomindustrie mit sechs Milliarden Dollar, und selbst Japan will stillgelegte AKW wieder nutzbar machen.
Alles, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Doch wie zielführend ist das Kernkraft-Revival? Ein Faktencheck.
Sind Atomkraftwerke umweltfreundlich?
Vor allem auf Betreiben Frankreichs wurde Kernkraft in der EU-Taxonomieverordnung als nachhaltig eingestuft – mit der Begründung, dass im Betrieb weniger CO2 produziert werde als bei fossilen Energieträgern. Kritiker sagen, dass dabei nicht die gesamte Kette im Blick sei: Vor dem Betrieb muss Uran abgebaut, verarbeitet, transportiert werden. Speziell der Abbau des Metalls steht wegen Umwelt- und Gesundheitsschäden in der Kritik. Danach stellt sich die ungelöste Frage des radioaktiven Abfalls.
Ist Atomstrom billig?
Nein, denn die Baukosten für neue Reaktoren sind sehr hoch. Berechnet über die Nutzungsdauer, schneiden Erneuerbare wie Fotovoltaik und Windenergie besser ab (aus diesen beiden Quellen kam 2021 weltweit schon mehr Strom als aus der Atomkraft). Billig ist der Strom erst, wenn das Kraftwerk abbezahlt ist. Das ist mit ein Grund, warum viele Staaten alte Reaktoren möglichst lang weiter betreiben wollen. Bei Kernkraftwerken der neuen Generation hat sich zudem gezeigt, dass die Fertigstellung oft länger dauert und teurer wird als veranschlagt. So sollte etwa der Block 3 des Kernkraftwerks Olkiluoto in Finnland nach vier Jahren Bauzeit 2009 ans Netz gehen – er ist es bis heute nicht.
Ein Argument für die Kernkraft ist, dass sie unabhängig von Wetter und Jahreszeiten Strom produzieren würden – im Gegensatz zu den Erneuerbaren, die saisonalen Schwankungen unterworfen sind. Diese Gewissheit gerät aber zunehmend ins Wanken. Atom-Supermacht Frankreich ist derzeit Strom-Nettoimporteur. Zum Teil liegt das an planbaren Wartungsarbeiten, allerdings fehlt aufgrund der Dürre auch in vielen Regionen Flusswasser, um die Reaktoren zu kühlen.
Kann Atomstrom das russische Gas ersetzen?
Nicht wirklich. Mit diesem Argument entgegnet der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck dem Wunsch der FDP nach der Laufzeitverlängerung: Maximal ein Prozent des deutschen Erdgasbedarfs könnte durch Kernkraft kompensiert werden. Das liegt daran, dass Gas in der Industrie direkt verbrannt wird, um hohe Temperaturen bei der Lebensmittel- und Chemieproduktion zu erreichen. Das leistet Atomstrom nicht.
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