In spätestens drei Jahren hätte Schluss sein sollen: Bis 2025 wollte Belgien seine sieben Atomkraftwerke vom Netz nehmen und der Atomenergie für immer ade sagen. Doch dann kam Wladimir Putin und wirbelte mit seinem Gaskrieg gegen Europa die Atomausstiegspläne gehörig durcheinander.
Gestern, Freitag, präsentierte die Regierung in Brüssel deshalb den Beschluss: Zumindest zwei der sieben Reaktoren (Tihange 3 und Doel 4) werden bis 2035 weiterhin am Netz bleiben. „Das ist eine Schlüsseletappe, um die Energieunabhängigkeit unseres Landes zu garantieren“, sagte Premierminister Alexander De Croo.
Der Anteil von Atomenergie an der Stromversorgung in Belgien beträgt fast 40 Prozent. Doch trotz dieses hohen Anteils hatte das Land schon 2003 grundsätzlich beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen.
Nicht zuletzt, weil mindestens zwei der Reaktoren heftige Sorgen bereiten: Tausende winzige Haarrisse in den Druckbehältern der Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 sind schon vor Jahren entdeckt worden.
Im nicht weit von Tihange entfernten Großraum Bonn/Köln und in Aachen gab es deswegen immer wieder Proteste. Der Problem-Reaktor müsse sofort abgeschaltet werden.
Das wird im Februar der Fall sein, der Problemreaktor Doel 3 nahe Antwerpen geht Ende September vom Netz. Die anderen drei Reaktoren werden nach und nach bis 2025 abgeschaltet.
Deutschland hadert
In Deutschland selbst wird hitzig debattiert, ob man angesichts der Energiekrise die Laufzeiten nicht verlängern soll. Dort sind nach dem Atomausstieg, den Angela Merkel nach der Fukushima-Katastrophe 2011 angekündigt hatte, nur mehr drei AKW in Betrieb, sie sollen bis Ende des Jahres abgeschaltet werden. Geht es nach der FDP, sollte das auf die lange Bank geschoben werden, auch die CDU ruft aus der Opposition danach.Wirtschaftsminister Robert Habeck steht darum unter Druck – schließlich sind die Grünen schon immer gegen die Atomkraft aufgetreten. Bisher hat er mit technischen Argumenten dagegengehalten; etwa mit der Aussage, dass die Nutzungsdauer der Brennstäbe auslaufe und diese nicht schnell zu ersetzen seien. Auch die Energieriesen haben wenig Interesse am Weiterbetrieb: Sie haben bereits das geschulte Personal abgebaut, zudem gibt es massive Sicherheitsrisiken.
Dazu kommt – und das ist das Hauptargument Habecks – dass der Atomstrom das im Winter fehlende Gas nur teils ersetzen kann. Maximal ein Prozent des Erdgasbedarfs könnte durch längere AKW-Laufzeiten kompensiert werden, so eine Studie des Ökostromversorgers Green Planet Energy. Das liegt daran, dass das Gas in der Industrie direkt verbrannt wird, um hohe Temperaturen bei der Lebensmittel- oder in der Chemieproduktion zu erreichen. Das kann Atomstrom nicht leisten.
Habeck hat sich dennoch bereit erklärt, durch Atom-Stresstests eine Laufzeitverlängerung zu prüfen. „Wir rechnen jetzt noch mal“, ließ er am Montag wissen, um der Debatte die Schärfe zu nehmen. Sollten die Tests in Richtung Verlängerung zeigen, bleibt ihm noch ein Argument: Auch die Nuklearindustrie ist stark von Russland abhängig. 20 Prozent der Uranimporte in die EU stammten 2020 aus Russland, 19 Prozent aus Kasachstan, das mit Moskau eng verbunden ist, auch Urananreicherung und Brennelementfertigung für die EU erfolgen in Russland. Somit würde man eine Abhängigkeit nur durch eine andere ersetzen.
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