Von wegen "Ski Heil": Die heikelsten Zukunftsfragen zum Skitourismus
Frühlingshafte Temperaturen zum Jahresstart geben einen Vorgeschmack, wie der Winter in den Bergen künftig ausschauen könnte - alles andere als weiss. Keine guten Nachrichten für Wintersportorte, die von einem Abgesang ihres Geschäftsmodell trotzdem nichts wissen wollen. Was Experten auf die drängendsten Fragen rund um den Wintertourismus sagen, lesen Sie hier:
Haben Wintersportorte ihren Zenit überschritten?
„Dass das Wachstum so weiter geht wie bisher, kann man ausschließen“, ist Oliver Fritz, Tourismusexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), überzeugt. Aus mehreren Gründen.
Noch mehr Gästebetten und Pistenkilometer gehen nicht. Dazu kommt die demografische Entwicklung. Die Gesellschaft wird immer älter. Und die Jungen? Haben oft andere Hobbys. Obendrein fällt immer weniger Schnee. Das ist nicht nur am Berg ein Problem, auch in den Städten, wo die ersten Flocken bisher verlässlich Lust auf Winterurlaub gemacht haben – sprich, die Buchungen angekurbelt haben.
Macht es bei der aktuellen Schneelage noch Sinn, Ende Oktober den Weltcup-Auftakt in Sölden zu starten?
„Weltcup-Skirennen im Oktober wird man sich bald aufzeichnen können“, sagt Oliver Fritz. „Man sollte sich solche Bilder auch aus Marketing-Sicht ersparen.“ Ein weißes Band in einer sonst eher braun-gatschigen Landschaft lasse wenig Winterstimmung aufkommen. Seilbahner sehen das anders. Die Fernsehbilder der Auftaktveranstaltung würden verlässlich die Buchungen für den Winter in Gang setzen.
Ist Skifahren überhaupt noch Volkssport – bzw. ist es das jemals gewesen?
Laut den Seilbahnern ja, laut dem Tourismus- und Freizeitforscher Peter Zellmann nein. Nicht einmal 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher fahren laut Zellmann Ski, Tendenz sinkend. In den 1990er-Jahren lag die Quote noch bei 60 Prozent. Doch ein richtiger Volkssport war Skifahren nie, sagt er. Winterurlaub sei stets ein Privileg der Besserverdiener gewesen. Und wird es künftig wohl noch mehr sein. Stichwort steigende Lift- und Hotelpreise.
Weniger Skifahrer, trotzdem volle Pisten. Wie passt das zusammen?
Skiurlauber gelten als treue Urlauber. Das zeigt auch ein Blick in die aktuellen Manova-Auswertungen der Bergbahnen. In den letzten fünf Wintern vor Corona ist die Zahl der Gästenächtigungen in den Bergregionen des DACH-Raums (Österreich, Deutschland, Schweiz) gestiegen. Ebenso die Zahl der Ersteintritte bei den Bergbahnen. Zwischen dem Winter 2013/14 und 2018/19 betrug das Plus zehn Prozent.
30.000 Schneekanonen stehen entlang der Pisten. Aber können diese den Winter auch in Zeiten des Klimawandels noch retten?
Österreich verfügt über eine Pistenfläche von 232.7000 Hektar, davon sind 70 Prozent beschneibar. Ein Schreckensszenario malt eine Studie der Universität Innsbruck an die Wand. Selbst wenn die Kapazitäten für die Beschneiung weiter ausgebaut werden, könnte die Zahl der geöffneten Skigebiete gegen Ende dieses Jahrhunderts um zwei Drittel zurückgehen, prophezeien die Studienautoren.
Hat das Motto „höher, weiter, schneller“ bei den Seilbahnen ausgedient?
Definitiv. „Der Erschließungswahn findet nicht mehr statt“, sagt selbst Seilbahnsprecher Franz Hörl. Künftig wollen er und seine Kollegen weniger über Pistenkilometer und beheizte Sitze am Lift reden. Dafür mehr über CO2-Bilanz und Investitionen in erneuerbare Energien, etwa Windräder.
Wie glaubwürdig sind die Nachhaltigkeitsansagen?
Der Strombedarf aller Seilbahnen Österreichs beträgt 750 GWh und damit 1,2 Prozent des gesamten heimischen Strombedarfs, so eine Studie des Umweltbundesamts. Demnach haben die Touristiker ihren Strombedarf binnen zehn Jahren um 10 Prozent reduziert. Freilich auch, um die Kosten im Zaum zu halten. Das ist aber nur ein Teilaspekt. Die meisten Emissionen verursacht ein Skitag mit der Anreise. Laut Experten sind es in etwa 80 Prozent, zumal viele mit dem Auto anreisen. Umfassende Mobilitätskonzepte – von der Anreise per Bahn bis zum Elektro-Bus zur Talstation – sind so gefragt wie aufwendig umzusetzen.
Die Gäste kommen – aber wer soll sie bedienen?
Speziell die Betriebe in den Wintersportorten haben investiert und auf 4- oder 5-Stern-Niveau upgegradet. Nebeneffekt: Besseres Service, höherer Personalbedarf. Auch in der Sommersaison 2022 waren mehr Menschen im Tourismus beschäftigt als noch vor Ausbruch der Pandemie. Lange galt die Faustregel, dass jeder zweite Mitarbeiter in der Branche aus dem Ausland kommt – seit der Pandemie ist die Quote noch höher. „In einem 9-Millionen-Einwohner-Land, in dem die Industrie wie der Tourismus wächst, können wir den Mitarbeiterbedarf gar nicht aus dem eigenen Land abdecken. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung“, sagt Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler.
55 bis 60 Millionen
Skifahrer gibt es weltweit. 40 Prozent der Österreicher fahren Ski
Saison
Im letzten Vor-Corona Winter zählte Österreich knapp 72 Millionen Gästenächtigungen im Winter (vorigen Winter: 52,3 Millionen)
70Prozent
der Pisten können in Österreich beschneit werden. Bis zu 30.000 Schneekanonen sind dafür im Einsatz
3.000 Kubikmeter Wasser
braucht es in etwa, um einen Hektar Piste zu beschneien
2.648 Seilbahnen
und Lifte gibt es in Österreich. Die Pistenfläche beträgt 23.700 Hektar. Das größte Skigebiet Österreichs, der Arlberg, verfügt über 305 Pistenkilometer
Wie wird künftig der Erfolg gemessen?
Bisher galten die Nächtigungszahlen als Leitwährung und das Rekordjahr 2019 mit mehr als 150 Millionen Gästenächtigungen als Benchmark. Ob so viele Urlauber im Land überhaupt erstrebenswert sind, ist umstritten. Sepp Schellhorn, selbst Hotelier und ehemaliger Neos-Abgeordneter, sagt nein. „Wir brauchen eine Strategie, wie wir mit 100 Millionen auskommen.“ Also weniger Quantität, mehr Qualität. Auch in der Erfolgsmessung. Das ist schwierig, schon allein weil die nötigen Zahlen – wie der Umsatz pro verfügbaren Zimmer (RevPar) – nicht von allen Betrieben verfügbar sind.
Weniger Quantität bedeutet, dass weniger Gäste beherbergt werden. Hat Österreich dann zu viele Gästezimmer?
Laut Sepp Schellhorn gibt es österreichweit 30.000 Gästebetten zu viel. Schlicht, weil sich die Hoteliers das Zusperren nicht leisten können. Eine Stilllegungsprämie für Hoteliers – wie sie Schellhorn seit Jahren fordert – ist derzeit politisch aber nicht durchsetzbar.
Wird die Sommersaison dem Winter wieder den Rang ablaufen?
Zumindest hat der Sommer zuletzt wieder an Bedeutung gewonnen – freilich auch wegen der Corona-Situation. Oliver Fritz geht davon aus, dass der Bergtourismus im Sommer von den Folgen des Klimawandels profitieren könnte. Schlicht, weil vielen bei Temperaturen von 40 Grad im Schatten ein Urlaub am Mittelmeer als zu schweißtreibend erscheint. Als Alternative kommen die Berge infrage. „Die Infrastruktur für die Bespielung gibt es ja bereits“, verweist er auf die Seilbahnen. Vielleicht werde man im November bald mehr Sinn machen, Mountainbiken als Skifahren zu gehen, so der Wifo-Experte.
Ob das auch aus dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit Sinn machen würde? Das bezweifelt Peter Zellmann allerdings. Ihn nervt viel mehr „das einseitige Bashing des Wintertourismus“. Parallel dazu würden Destinationsmanager jede neue Mountainbikestrecke als nachhaltig vermarkten. Zu unrecht, wie Zellmann findet. Schließlich werde auch hier Natur verbaut. „Aber im Sommertourismus wird das nie debattiert.“
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