Warum der Wintertourismus trotz Krisen nicht aussterben wird

Toni Sauper ist tiefenentspannt. Eigentlich wird seiner Branche derzeit der Untergang prophezeit. Sorgen macht sich der Berg- und Skiführer mit Dreitagebart und Kärntner Dialekt trotzdem keine. Er sei so gut gebucht wie nie zuvor, sagt er. Nicht nur von Urlaubern, sondern auch von Einheimischen. Und das bei Tagsätzen von 450 Euro.
In Österreich hat gerade die Skisaison begonnen. Skigebiete wie Ischgl und Obertauern haben vergangene Woche die Lifte in Betrieb genommen. Saalbach-Hinterglemm und St. Anton folgen in den kommenden Tagen. Nach dem wärmsten Oktober seit Messbeginn hat ein Italientief zuletzt für die erste Schneeunterlage in den Alpen gesorgt.
Preislawine
Doch der langfristige Trend ist freilich ein anderer: Der Schnee wird aufgrund der Erderhitzung immer weniger. Und wegen steigender Energiekosten sind auch noch die Preise für Liftkarten in die Höhe geschnellt. Im Schnitt um acht Prozent. Wieso also schmilzt Toni Sauper nicht die Geschäftsgrundlage weg? „Ich finde es skurril, dass der Wintertourismus immer auf Ski reduziert wird. Skifahren ist nicht die Hauptmotivation. Die Menschen wollen raus aus der Nebelsuppe im Tal, rauf auf den Berg. Sie wollen Sonne, blauen Himmel, frische Luft. Ob mit oder ohne Ski.“
Toni Sauper kommt gerade aus Kitzbühel, einer Region, die er wie seine sprichwörtliche Westentasche kennt. Auch, weil er der Neffe von Balthasar Hauser, dem legendären Stanglwirt, ist. Und mit seinem Cousin Richard Hauser den Kitzbühel Country Club aufgebaut hat. Ein elitärer Club, den man nur auf Einladung und nach Bezahlung von ein paar Tausend Euro beitreten kann – sofern ein Komitee zustimmt.
Der Mann mit der braun gebrannten Haut und der stets guten Laune ist also nicht nur erdiger Bergfex. In eine Hotelier-Familie hineingeboren und am Fuße des Großglockners aufgewachsen, arbeitete er später als Destinationsmanager, also als Vermarkter touristischer Gebiete. Er kennt also alle Facetten der Branche. Von der Postkartenidylle am Berg bis zu den Streitereien hinter den Kulissen der Tourismusindustrie. Mittlerweile ist Toni Sauper am liebsten irgendwo auf einer Hütte, ohne Handyempfang. Und bei manchen Gesellschaften steht er heute auf und geht. So geschehen, als ein ehemaliger Spitzenpolitiker mit seiner Entourage auf einer Schutzhütte am Großglockner einfiel. „Da leg’ ich mich ins Bett und stöpsel mir die Ohren zu.“

Toni Sauper (53) in seiner Wohnung in Klagenfurt. Trotz Krisen ist er heuer gut gebucht.
Doch kein Volkssport
Die Hoteliervereinigung bestätigt den Eindruck einer gleichbleibend hohen Nachfrage. Man sei gut gebucht – vor allem in der Zeit von Dezember bis Mitte Jänner. Zwar würden die Gäste kürzer bleiben, in manchen Hotels sei der Aufenthalt aber auch um 20 Prozent teurer.
Auch wenn die Lust am Berg wohl bleibt, die Zahl jener, die in Österreich Skifahren gehen, wird immer weniger. Nicht zuletzt, weil immer weniger Schulen auf Skikurs fahren. Nicht einmal 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher fahren Ski. In den 1990er-Jahren lag die Quote bei 60 Prozent. Doch Volkssport war es nie, sagen Experten. Winterurlaub sei stets ein Privileg der Besserverdiener gewesen. Und wird es künftig wohl noch mehr sein. Zudem hat das Image des Skisports in den vergangenen Jahren massiv gelitten. Das hat weniger mit dem Missmanagement zu Pandemiebeginn in so manchem Skigebiet zu tun, als mit seinem Ruf als Energiefresser und Umweltzerstörer – verschärft durch steigende Temperaturen und immer weniger Schneefall. Wer kann, kompensiert. Immerhin 70 Prozent der Skipisten können künstlich beschneit werden, bis zu 30.000 Schneekanonen sind dafür im Einsatz.
Andere mussten den Betrieb einschränken, wie St. Corona am Wechsel. Oder haben nur wenige Tage im Jahr geöffnet, wie der Unterberg in Niederösterreich. Das wird künftig noch weiteren, vor allem niedrig gelegenen Skigebieten drohen. Viele rüsten deshalb die Infrastruktur auf Sommertourismus um, damit man statt Skifahren künftig Wandern und Mountainbiken kann. Etwa der Loser in Altaussee, die Talstation liegt dort nur auf 800 Meter.
Trotz Imageproblemen der Seilbahnen und weniger Skibegeisterung: Toni Sauper sieht auch den Nachwuchs am Berg gesichert. Jene Kinder, die jetzt nicht Skifahren lernen, würden in 20 Jahren genauso auf den Berg wollen, glaubt er. „Was auch immer sie dort oben in der Sonne machen werden. Vielleicht eine Sportart, die wir heute noch gar nicht kennen“, meint der Bergführer.
Das liege schlichtweg an der Faszination Berg. Es gehe um das Gefühl der Erhabenheit. „Man möchte oben sein und runter schauen. Vielleicht ist es eine Art Urinstinkt.“
55 bis 60 Millionen Skifahrer gibt es weltweit. In Österreich können rund 40 Prozent der Menschen Skifahren.
70 Prozent der Pisten können hierzulande beschneit werden. Bis zu 30.000 Schneekanonen sind dafür im Einsatz.
3.000 Kubikmeter Wasser braucht es in etwa, um einen Hektar Piste zu beschneien.
52,7 Millionen Nächtigungen verzeichneten Österreichs Hotel- und Pensionsbetreiber in der vergangenen Wintersaison.
Drei Viertel davon entfielen auf Winterurlauber aus dem Ausland.
2.648 Seilbahnen und Lifte gibt es in Österreich. Die Pistenfläche insgesamt beträgt 23.700 Hektar.
305 Pistenkilometer hat Österreichs größtes Skigebiet Arlberg, gefolgt von Wilder Kaiser-Brixental und Saalbach-Hinterglemm Leogang Fieberbrunn.
Imagekorrektur
Die Österreichischen Seilbahnen sind derzeit jedenfalls um Imagekorrektur bemüht. „Wir sind keine Energieverschwender“, sagte Seilbahnenchef Franz Hörl vergangene Woche bei einem Pressegespräch. Und tatsächlich muss so manches in Relation gesehen werden. So beträgt der Stromverbrauch aller Seilbahnen 1,2 Prozent des gesamten heimischen Strombedarfs – inklusive technischer Beschneiung. Um den Energieverbrauch zu senken, wolle man heuer Stationsbeleuchtungen und Nachtskilauf reduzieren sowie Sitzheizungen ausschalten. Auch die Seilbahnengeschwindigkeit könnte zu Mittag oder am frühen Nachmittag von 5 bis 6 auf 4 bis 4,5 Meter pro Sekunde reduziert werden. Und: Man wolle die Errichtung von Windrädern in den Bergen vorantreiben.
Bergführer Sauper kann auch dem Massentourismus in den Bergen etwas Gutes abgewinnen. Dieser kanalisiere die Besucherströme und verhindere, dass sich Menschen unkontrolliert in der Natur verteilen und sie zerstören. So gesehen sei Ischgl ein Musterbeispiel, wie man auf kleinsten Raum die Kundschaft 24 Stunden am Tag unterhält. „Wer Ischgl auf Après-Ski reduziert, hat das Gebiet nicht verstanden“, findet er. Es handle sich mehr um ein Disneyland der Alpen. Ob Skifahren, im Hotel oder bei der Party. „Auch hier wieder das Motiv, dabei sein zu wollen.“ Um jeden Preis, wie die Entwicklung der Destination zeigt. Dass Wintersportorte ohne klingenden Namen da nicht mitspielen können, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht nur erdiger Bergmensch: Sauper hat den elitären Kitzbühel Country Club mitaufgebaut
Druck auf Ökosysteme
Ganz so simpel ist es allerdings nicht. Manche Experten meinen sogar, dass kleinteiligere Angebote besser für die Natur seien, weil das den einseitigen Druck auf die Ökosysteme verteile. Durch die Planierung der Pistenraupen wird etwa der Boden versiegelt. Überschwemmungen und Erdrutsche sind die Folge. Wasser, das für die Schneekanonen in Speicherseen gesammelt wird, fehlt anderswo. Und Wildtiere werden zurückgedrängt, was ihnen im Winter kostbare Energiereserven kostet.
Aber: „Der Mensch ist ein Rudeltier“, beobachtet Toni Sauper. Auch beim Skitourengehen. Selbst wenn heutzutage anscheinend alle von der Einsamkeit in unberührter Natur träumen, würden sie schnell Angst bekommen, wenn sie einmal wirklich allein in der Natur sind. „Sie folgen am Weg nach oben den Spuren anderer, das liegt in der Natur des Menschen.“
Kommentare