RHI Magnesita-Chef: "Wir brauchen 300 Prozent mehr Strom“
RHI Magnesita stellt feuerfeste Produkte für die Industrie her. Die Bewegung hin zur Nachhaltigkeit und Energiewende stellt den Konzern vor massive Herausforderungen.
Einer der Schlüssel soll Recycling von Rohstoffen sein, weswegen der Konzern eine Mehrheit an dem deutschen Recyclingspezialisten Horn & Co übernimmt. Der KURIER hat Konzernchef Stefan Borgas gefragt, wie der Wandel funktionieren soll.
KURIER: Ihr Geschäft in Russland und der Ukraine hat ein Volumen von 90 Millionen Euro. Was geschieht damit?
Stefan Borgas: Das Erste sind die Menschen, die wir dort beschäftigt haben. Unsere Mitarbeiter und ihre Familien in der Ukraine sind etwa 100 Leute. Die müssen wir physisch aus der Gefahr bringen. In Russland haben wir etwa 50 Mitarbeiter. Im Moment können wir das Geschäft in Russland nicht weiter betreiben wegen der Sanktionen, aber wir können die Leute nicht einfach ins Elend schicken.
Und geschäftlich?
Ein anderes Thema ist die Abwicklung des laufenden Geschäfts. Wir dürfen wegen der Sanktionen kein Geld von unseren Kunden mehr akzeptieren, also auch keine Außenstände einsammeln.
Es gab bereits Produktionsstopps wegen der hohen Gaspreise, macht sich das bei Ihnen schon bemerkbar?
Nein, und dazu sollte es auch nicht kommen. Wir sind eine Schlüsselindustrie. Wenn wir keine Feuerfestprodukte machen, stehen innerhalb von wenigen Wochen alle unsere Kundenindustrien.
Tut der Staat genug, um die Industrie zu unterstützen?
Ich glaube nicht, dass staatliche Subventionen auch nur mittelfristig für die Industrie besonders hilfreich sind. Besser wäre es, wenn der Staat Genehmigungsverfahren beschleunigt und das Geld, das er für Konsumsubventionen ausgeben würde, in die Erforschung von neuen Technologien investiert.
Was bedeuten die hohen Energiepreise für Sie?
Das bedeutet, dass unsere Kosten hochgehen und wir diese an die Kunden weitergeben müssen – und diese dann an ihre Kunden und am Ende trägt das zum Inflationsdruck bei. Wir haben jetzt eine Ausnahmesituation wegen der Ukraine-Krise, aber auch wenn wir darüber hinaus in die Zukunft schauen, müssen wir uns daran gewöhnen, dass Energie teurer wird, damit es attraktiver wird, auf andere Energieträger zu switchen.
Was sind die Alternativen zu Erdgas und wann stehen die zur Verfügung? Bei Wasserstoff hört man oft das Jahr 2030...
2030 wäre schon schnell. Wir müssen unsere gesamte großindustrielle Energie-Infrastruktur umbauen. Ich glaube, Wasserstoff ist die einzige echte gangbare Lösung. Um ausreichend grünen Wasserstoff herzustellen, brauchen wir eine dramatische Erhöhung des grünen Stroms. Wir brauchen nicht 20 Prozent mehr Strom, sondern 300 Prozent mehr Strom. Die zweite Möglichkeit wäre Atomtechnologie, aber das ist in Zentraleuropa unpopulär.
Kann der Wasserstoff importiert werden?
Nein, wir werden den nicht in riesengroßen Mengen importieren können. Wasserstoff ist dramatisch schwieriger zu transportieren als Gas, weil er sich so schnell verflüchtigt. Wenn wir den Wasserstoff nicht selbst herstellen, werden wir alles, was hochenergieintensive Industrie ist, aus dem Land verlieren. Das ist eine Grundsatzentscheidung und ich glaube wir sollten dafür kämpfen, dass das nicht der Fall ist. Ich glaube, wenn wir eine intelligente, wirklich gute Wasserstoffwirtschaft hinkriegen, haben wir eine fantastische Chance, eine neue Branche aufzubauen. Das Thema Wasserstoff gehört in Österreich beschleunigt.
Wie stark fallen Lieferkettenprobleme ins Gewicht?
Wir haben extrem lange Lieferketten, die Zuverlässigkeit der weltweiten Schifffahrt ist dramatisch schlecht. Auch die Transportmöglichkeiten im Land sind knapp, wir haben zu wenig in die Eisenbahnen investiert und jetzt geht die Anzahl der Lastwagenfahrer wegen des demografischen Wandels zurück. Das kostet viel mehr Kapital, weil Sie die gesamte Lieferkette mit Lagerbeständen füllen müssen.
Wie könnte man dem Fachkräftemangel begegnen?
Wir können versuchen, mehr Flexibilität in die Arbeitswelt zu bringen, um zum Beispiel mehr gut ausgebildete Frauen vermehrt in Beschäftigung bringen. Außerdem sollten wir die Lohnnebenkosten senken und weniger Qualifizierte besser ausbilden und die weniger qualifizierten Jobs automatisieren. Aber kurzfristig brauchen wir Einwanderung. Vielleicht gibt es durch die Ukraine-Flüchtlinge eine neue Chance.
Was erwarten Sie sich von der Übernahme von Horn & Co?
Wir wollen Material, das nach dem Gebrauch aus den Öfen unserer Kunden ausgebrochen wird, recyceln. Damit reduzieren wir unseren Rohstoffverbrauch. Bisher haben wir 7 Prozent unseres Verbrauchs durch Sekundärrohstoffe ersetzt, bis 2025 wollen wir auf 10 Prozent kommen. Ich glaube mit diesem Schritt schaffen wir das schneller.
Wie „grün“ kann ein Unternehmen sein, das die Schwerindustrie beliefert?
Wir wollen unseren CO2-Ausstoß bis 2025 um 15 Prozent senken. Der größte Hebel ist dabei das Recycling, der zweitgrößte ist die Umstellung von Öl und Kohle auf Gas – das ist aber nur eine Zwischentechnologie, die angesichts der aktuellen Ereignisse natürlich auch voraussetzt, dass Gas verfügbar ist. Und dann braucht es eine echte Dekarbonisierung der ganzen Kette. Dafür investieren wir derzeit 50 Millionen Euro. Wir fangen heuer an, große Pilotanlagen zu bauen, die wir Ende 2023 in Betrieb nehmen, zum Beispiel zur Produktion von CO2-freien Rohstoffen, denn da gibt es den größten CO2-Ausstoß.
Bis wann soll RHI Magnesita klimaneutral sein?
Die Technologiefrage ist noch nicht gelöst, daher finde ich das nicht ehrlich, ein Jahr zu nennen. In der nächsten Dekade muss das Ziel sein.
Geschichte
Das Unternehmen RHI geht auf die 1899 gegründeten Veitscher Magnesitwerke zurück, 2017 kam es zur Fusion mit dem brasilianischen Mitbewerber Magnesita
Energieintensiv
Alleine in Österreich verbraucht RHI Magnesita jährlich 1 Terawattstunde Energie, in den Produktion zu 75 % Gas. Die Emissionen entsprechen 600.000 Tonnen CO2-Äquivalenten
12.000 Mitarbeiter
hat der Konzern weltweit, in Österreich sind es 1.400
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