Köstinger-Rücktritt: Ein "erwartbarer" Schritt
Elisabeth Köstinger, Landwirtschafts- und Tourismusministerin ist zurückgetreten.
Köstingers Rücktritt: Warum die Entscheidung schon lange fest stand
Mario Pulker, Gastronomie-Spartenobmann in der Wirtschaftskammer Österreich, gab sich gegenüber dem KURIER wenig überrascht über den angekündigten Rücktritt der Ministerin, wenn auch ob des Rücktritts am heutigen Tag.
"Wenn man sich die Umfragedaten anschaut und die Performance in letzter Zeit, und da spreche ich auch vom Austausch mit uns, dann hat das mehr als zu wünschen übrig gelassen. Das war nur eine Frage der Zeit, wenn man sich die Sonntagskurier-Umfrage anschaut." Pulker sagt, dass es in der Anfangszeit der Pandemie auch unter Sebastian Kurz ein "gutes Verhältnis" gegeben habe, das wurde dann "durch mir unerklärliche Gründe" abgebrochen.
"Erwartbarer" Schritt
Köstinger habe "politisch nicht verstanden, was Interessenspolitik bedeutet oder wie wir interessenspolitisch vorgehen müssen". Sie habe nicht verstanden, dass "die Branche und die Mitglieder im Vordergrund stehen" und nicht die politische Taktik. Es tue ihm jedenfalls "persönlich leid, dass es zu dieser Entfremdung gekommen ist". Der Schritt sei ein "erwartbarer" gewesen. Man freue sich schon sehr auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin.
Grundsätzlich wünsche man sich in Zukunft eine "bessere Abstimmung". Die größte Problematik der Betriebe sei aktuell, dass sie keine Mitarbeitenden bekommen. "Es gab kein Gespräch oder eine konstruktive Vorgabe", sich zusammenzusetzen und ein gemeinsames Vorgehen zu überlegen. "Es sind keine Impulse mehr gekommen, wie wir weiterarbeiten."
Trennung der Ressorts
Ganz allgemein müsse man sich aber überlegen, "ob man Landwirtschaft und Tourismus in einer Hand lassen will. Ich bin der Meinung, man sollte das trennen", es gäbe unüberbrückbare gegensätzliche Interessen innerhalb des Ministeriums.
Wer Köstinger nachfolgen könnte? "Ich weiß es nicht", sagt Pulker. Er wünsche sich jemanden, der "kein reiner Politiker ist und aus der Branche kommt".
Hoteliers-Sprecher Veit überrascht
Völlig überrascht über den Köstinger-Rücktritt ist Walter Veit, der Präsident der Österreichischen Hoteliersvereinigung (ÖHV). „Wir hatten vorige Woche den Hotelierskongress in Wien und da hat sie teilgenommen. Wir haben uns bedankt, dass sie den Tourismus in den Ministerrat eingebracht hat. Da waren noch keine Anzeichen, dass sie amtsmüde ist. Ich hatte eher das Gefühl, dass sie für die Landwirtschaft und den Tourismus brennt“, sagt Veit zum KURIER. „Sie war Vermittlerin zwischen der Hotellerie und dem Bundeskanzler. Ich bin erstaunt und traurig, weil wir nicht wissen, wer nach kommt.“ Eine Nachfolgerin oder Nachfolger müsse Fachwissen mitbringen und auf die Branche hören.
„Wir haben ja gesehen, dass die Gesundheitsminister nicht darauf gehört haben, was der Tourismus sagt. Das waren Schikanen gegen unsere Branche“, sagt Veit. „Als Nachfolgerin fällt mir Michaela Reitterer vom Hotel Stadthalle ein, sie war neun Jahr ÖHV-Präsidentin und könnte das sicher gut. Für Tourismus ist sie für mich die allererste Expertin.“
Österreich-Werbung-Chefin Lisa Weddig meldete sich via Aussendung zu Wort, eine darüber hinausgehende Stellungnahme werde sie nicht abgeben, hieß es gegenüber dem KURIER. Sie betonte die "enge und produktive Zusammenarbeit zwischen Tourismusministerium und Österreich Werbung in der Pandemie" und dass die Österreich Werbung unter Köstingers Führung erstmals in 20 Jahren eine "strukturelle Erhöhung des Mitgliedsbeitrags" erhalten hatte. Köstinger war Vereinspräsidentin der Österreich Werbung.
Auch Gemeindebund-Präsident Riedl überrascht
„Ich bin wirklich überrascht, ich hatte weder eine Wahrnehmung noch eine Ahnung. Ich kenne sie und habe ein sehr freundschaftliches Arbeitsklima mit ihr gehabt. Wir sind uns auch persönlich sehr freundschaftlich gegenübergestanden“, sagt Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl zum KURIER. Mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger möchte Riedl aber nicht beim Namen nennen. „Ich würde das auch niemandem über die Medien ausrichten. Da ist eine innere Debatte gefragt“, sagt Riedl.
Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger erklärte, dass er an Köstinger geschätzt habe, dass sie "trotz ihres Bemühens um Konsens nicht davor zurückgeschreckt ist, Positionen für die bäuerlichen Anliegen auch gegen Widerstände zu vertreten". Sie habe "ein offenes Ohr für die bäuerlichen Herausforderungen und Handschlagqualität bewiesen".
Umweltschutz-NGO Global 2000 kritisiert Köstinger scharf
"Landwirtschaftsministerin Köstinger stand für eine rückwärtsgewandte Agrarpolitik. Dies äußerte sich in einem nicht zeitgemäßen GAP-Strategieplan, dessen Scheitern an den Umwelt- und Klimazielen des europäischen Green Deal leider vorprogrammiert ist. Auf europäischer Ebene intervenierte Köstinger wiederholt gegen Initiativen für eine Ökologisierung der Landwirtschaft im Rahmen des Green Deal. Zuletzt ist Köstinger noch durch die Umverteilung der EU-Agrarförderungen zugunsten von Großgrundbesitz und dem Vorstoß Brachflächen für den intensiven Anbau von Getreide und Eiweißfuttermitteln einzuackern, negativ aufgefallen", heißt es in einer Global-2000-Aussendung. "Mit ihrem Rücktritt eröffnet die Ministerin die Chance auf eine Ökologisierung der EU-Agrarförderungen, auf die Umsetzung der Pestizidreduktion und den Schutz der Artenvielfalt in der Landwirtschaft - insbesondere von Bestäubern - wie die österreichische Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 dies seit langem einmahnt."
SPÖ und FPÖ wollen Neuwahlen
Die FPÖ hat auf den Rücktritt von Köstinger mit neuerlichen Neuwahl-Forderungen reagiert. „Köstinger soll die anderen Minister gleich mitnehmen und so den Weg für Neuwahlen frei machen“, so FPÖ-Mandatar Michael Schnedlitz in einer Aussendung.Die türkis-grüne Koalition habe gezeigt, dass sie nicht regieren könne und „krisenuntauglich“ sei.
Ähnlich äußerte sich auch die stellvertretende FPÖ-Klubobfrau Dagmar Belakowitsch bei einer Pressekonferenz. Von Köstinger bleibe, dass sie in der Coronazeit die Bundesgärten in Wien zusperren ließ. Sie habe viel Wien-Bashing betrieben und „sie hat es der Bevölkerung sehr schwer gemacht“, einen „toten Stadttourismus hinterlassen“ und unter ihr seien die Lebensmittelpreise durch die Decke gegangen - „sie hat hier Chaos hinterlassen“.
"Chaos und Instabilität"
In die gleiche Kerbe wie die Freiheitlich schlägt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Die Regierung sei am Ende, das zeige der neuerliche Ministerinnenrücktritt. “In der türkis-grünen Regierung reiht sich ein Rücktritt an den nächsten, Chaos und Instabilität sind an der Tagesordnung. Wenn diese Regierung nicht mehr für Österreich arbeiten will, soll sie das sagen und den Weg für Neuwahlen freimachen“.
Neos wollen Regierungsumbildung
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach sich für eine größere Regierungsumbildung aus. Sie fordert ein Ende der „Showpolitik, die an Ernsthaftigkeit und Tiefgang so einiges vermissen lässt“ und: „Ich hoffe, dass es ein Auftakt ist zu einer größeren Regierungsumbildung.“
Vor allem auf Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), die von den NEOS wiederholt zum Rücktritt aufgefordert worden war, verwies Meinl-Reisinger in diesem Zusammenhang. Auch bei den Ressortzuständigkeiten wären aus NEOS-Sicht Änderungen angebracht.
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