„Schmerzhafte“ Rückkehr zum Rettungsplan der EU

epa03635475 Banking sector workers protest outside of the Cyprus' parliament in Nicosia, Cyprus, 22 March 2013, as lawmakers debate emergency legislation leading to the break-up of Popular, the island's second-largest bank. Cyprus struggled to find funds to avert an immediate financial breakdown as the ECB threatened to pull liquidity to the island's banks. EPA/KATIA CHRISTODOULOU
Mit dem Rücken zur Wand ringt Zypern um eine Rettung vor dem drohenden Finanzkollaps.

Kehrtwende zurück zu einem abgemilderten „Plan A“: Ausgerechnet die Chefs der beiden größten Banken Zyperns preschten am Freitag vor. Der ursprüngliche Plan der Regierung, eine Zwangsabgabe auf Sparguthaben einzubehalten, sei „schmerzhaft, aber es gibt keine alternative Lösung.“ Immer deutlicher mehrten sich gestern die Zeichen, dass Nikosia nun absegnen könnte, was sein Parlament vor wenigen Tagen noch glattweg abgelehnt hatte: Von Bankguthaben mit Einlagen von über 100.000 Euro sollen nun doch mindestens zehn Prozent einbehalten werden.

So könnte das vor der Pleite stehende Bankenparadies Zypern doch noch auf die notwendigen 5,8 Milliarden Euro Eigenleistung kommen. Diese gelten als Voraussetzung dafür, dass EU und IWF der Insel mit weiteren zehn Milliarden Euro Krediten unter die Arme greifen und so die drohende Pleite doch noch abwenden. Endgültig vom Tisch sind hingegen frühere Pläne, auch die Konten mit Einlagen unter 100.000 Euro zu belasten.

Geduldig stehen die Menschen indessen in Schlangen vor den Bankomaten. Seit fast einer Woche haben die Banken nun geschlossen. Präsentiert Zypern bis Montag keinen auch von Brüssel akzeptierten Rettungsplan, will die EZB ihre Zahlungen an Zyperns moribunde Banken einstellen. Einige Bankinstitute würden dann gleich für immer zu bleiben – sie wären zahlungsunfähig. Das aber hieße: Bankencrash, Chaos und Finanzkollaps – und Abgang aus der Eurozone.

Dieses Horrorszenario vor Augen, suchte Zyperns Führung hektisch nach einem Ausweg. Noch ehe das Parlament Einschränkungen im Kapitalverkehr und die Bildung eines Fonds zur Rekapitalisierung der Banken gestern billigte, hatte es aus der Eurozone Kritik gehagelt für Nikosias Pläne, mithilfe von Kirchenvermögen und dem Griff in die Pensionskassen einen „Solidaritäts“-Fonds aufzulegen. Eine Verstaatlichung der zypriotischen Pensionsfonds werde Europa nicht mittragen, warnte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. CDU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder sprach von einem „undenkbaren Vorschlag. Man muss sich vorstellen, wir in Deutschland nehmen den Pensionsfonds beispielsweise von der Telekom zur Absicherung. Und wenn er dann eingesetzt wird, gibt es halt keine Pensionen.“

Dabei geht es nicht nur darum, dass man die Belastung der Pensionskassen für falsch hält. In der Eurozone herrscht Konsens, dass man Zypern nur auffangen will, wenn es sein Geschäftsmodell als Steuer- und Schwarzgeld-Paradies aufgibt.

Das habe man der zypriotischen Regierung schon bei der ersten Verhandlungsrunde vor einer Woche versucht klarzumachen, sagt ein EU-Diplomat: „Die Bedingungen für Hilfsgelder aus dem Euro-Rettungsschirm waren von Anfang an klar. Es wurde deutlich gesagt, dass es nicht sein kann, dass Zypern jetzt geholfen wird und dann geht alles so weiter wie bisher. Die Regierung muss einsehen, dass das alte Geschäftsmodell Zyperns tot ist.“

Ähnlich formulierte es Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegenüber der griechischen Tageszeitung Ta Nea: „Die Haltung, dass dieses Problem nur von den Steuerzahlern in der Eurozone ohne die Beteiligung der wichtigsten Kreditgeber der zypriotischen Banken gelöst wird, kann von den europäischen Bürgern nicht akzeptiert werden.“

Hohe Zinsen

Deshalb plädierte Merkel vor ihren Unions- und FDP-abgeordneten, die eine Zypern-Rettung absegnen müssen, immer noch für eine Sonderabgabe auf große Bankguthaben. Sie rechnete vor, dass die sich mit den abnormal hohen zyprischen Zinsen seit 2008 um rund 45 Prozent vermehrt hätten, deutsche mit marktgerechten aber nur um etwa 10 Prozent. Damit wären zyprische Kontoinhaber auch nach einem Zehnprozent-Schnitt immer noch besser dran.

Erschwert werden die Verhandlungen durch die Kommunikationspolitik der zypriotischen Regierung. „Es ist schwierig, dass wir aus Zypern keine Details bekommen“, ärgerte sich Luxemburgs Finanzminister Luc Frieden. Auch in der EU-Kommission wird kritisiert, dass man nur schleppend mit Informationen versorgt werde.

Bezeichnend: Zyperns Finanzminister Sarris soll beide Telefonkonferenzen der Eurogruppe diese Woche geschwänzt haben. Nicht zuletzt sorgte das Moskau-Abenteuer von Finanzminister Sarris für Unmut bei den Geldgebern. Drei Tage sei man hingehalten worden, klagt ein Diplomat in Brüssel: „Nikosia sollte einsehen, dass die Zeit für Spielchen vorbei ist.“

EU-Krisentreffen

Nach der entscheidenden Abstimmung auf Zypern heute, Samstag, werden tags darauf die Euro-Finanzminister tagen. Die österreichische Position könnten Österreichs Kanzler Werner Faymann und sein Vize, Michael Spindelegger, schon am Wochenende absprechen. Beide sind – unabhängig von einander – skifahren am Arlberg.

Außer Spesen nichts gewesen. Zyperns Finanzminister Michalis Sarris, der zu Beginn der Rettungsverhandlungen mit Moskau noch im Brustton der Überzeugung erklärt hatte, man werde „so lange bleiben, bis eine Einigung erzielt ist“, reiste Freitag Früh unverrichteter Dinge wieder ab. Fast zeitgleich erklärte sein russischer Amtskollege Anton Siluanow die Verhandlungen für gescheitert.

Demzufolge hatte der Inselstaat angeboten, die zyprischen Gasvorkommen in einer Staatsfirma zu bündeln. Diese sollte russischen Unternehmen Anteile und Schuldscheine verkaufen. „Unsere Investoren“, so Siluanow wörtlich, „haben diese Frage erwogen, aber kein Interesse gezeigt“. Die staatsnahe russische WTB-Bank hatte bereits am ersten Verhandlungstag, als es um den Einstieg russischer Geldhäuser bei den Kreditinstituten Zyperns ging, abgelehnt.

Russische Spielregeln

Kritische Beobachter glauben indes, Moskaus „Njet“ sei nicht endgültig, sondern Teil eines Masterplans, mit dem die Insel gefügiger für politische Forderungen Russlands gemacht werden soll. Medien berichteten, bei den Verhandlungen sei es auch um einen Stützpunkt für die russische Kriegsmarine gegangen, die seit kurzem mit einem Schiffsverband wieder auf Dauer im östlichen Mittelmeer präsent ist. Putins Wirtschaftsberater Sergei Glasjew hatte frisches Geld aus Russland sogar von einem Beitritt Zyperns zu der von Moskau dominierten Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft ehemaliger Sowjetrepubliken abhängig gemacht: „Wer von uns Kredite will“, so Glasjew gegenüber RIA nowosti, „muss sich in unsere Integrationsprozesse einbinden“.

Dazu müsste Zypern allerdings nicht nur aus der Eurozone, sondern auch aus der EU austreten. Deren Mitglieder dürften sich zwar querlegen, doch Moskau hat ein starkes Druckmittel in der Hand, um die Widerstände zu brechen: Russland hatte Ende Februar Gold-und Devisenreserven im Wert von umgerechnet rund 406 Milliarden Euro gebunkert. 60 Prozent davon – 244 Milliarden – sind in der europäischen Gemeinschaftswährung angelegt. Um diese zum Absturz zu bringen, müsste Moskau den Euro-Anteil nicht einmal in andere Währungen konvertieren. Die bloße Drohung mit einer solchen Option würde ein Erdbeben an den Finanzmärkten auslösen.

Darum geht es Russland jedoch gar nicht. Mit einer Quasi-Übernahme der Insel sollen zum einen die Einlagen russischer Oligarchen gerettet werden, auf deren Loyalität der Kreml angewiesen ist. Vor allem aber: Das kleine Zypern ist der perfekte Testballon für eine mögliche Rettung anderer EU-Südstaaten. Die Risiken sind, selbst wenn das Experiment schief geht, für Russland überschaubar. Das BIP der Insel liegt bei nur 19 Mrd. Euro. So viel bringt jede der sechs russischen Boom-Regionen auf die Waage.

Zur Sicherheit will Moskau den Fernen Osten erneut zur Sonderwirtschaftszone und damit zur Steueroase machen. Dort vor allem sollen Anleger, die ihr Geld bisher in Zypern horteten, einen neuen sicheren Hafen finden.

Gerüchte unterstellen Russland großes strategisches Interesse an Zypern: Moskau wolle sich mit einer zweiten Marinebasis in der Region für eine mögliche Niederlage seines Verbündeten Bashar al-Assad in Syrien wappnen. Außerdem plane Russland eine mächtige Mittelmeerflotte aufzubauen. Da reiche die eine Marinebasis im syrischen Tartus, die noch im Kalten Krieg den Zugang zum Mittelmeer sichern sollte und für deren Reaktivierung Wladimir Putin einst viel Geld lockergemacht hat, nicht aus.

Doch nicht nur Russland hat geopolitische Interessen in Zypern. Eingeklemmt zwischen der Türkei im Norden, Syrien und Libanon im Osten, Israel im Südosten und Ägypten im Süden wirkt die 9251--Insel wie der östliche Außenposten der Europäischen Union. Oft wird die Insel als „unsinkbarer Flugzeugträger“ der Nato bezeichnet: Seit 1878 sind die Briten hier stationiert, deren Militärbasen – wie Tartus für Russland – als Augen und Ohren zur Überwachung des Nahen Osten dienen. Auch für Washington.

Schon lange ist klar, dass es bei einem Bankrott Zyperns um mehr als um den Euro geht. Mehrere Staaten beobachten die Situation mit Argusaugen:

Etwa die Türkei. Zypern war vom 16. bis 19. Jahrhundert osmanisch, viele Türken siedelten sich auf der Insel an. Seit 1974 ist der Norden von fast 40.000 türkischen Soldaten besetzt, um die Annexion an Griechenland zu verhindern. Die Türkei hat neben politischen auch wirtschaftliche Interessen. Seit vor der zypriotischen Küste Gasvorkommen gefunden wurden, und die Griechenzyprer diese zu erkunden begonnen haben, sind auch die Türken auf diesem Gebiet tätig.

Gasvorkommen

Das Gas lockt aber nicht nur Ankara, sondern auch Israel. Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen der Türkei und Israel wurde durch das Gas noch weiter belastet. Als die provisorischen Bohrungen der Zyprioten begonnen hatten, schickte Ankara Kriegsschiffe. Denn die Regierung der Türkei erkennt die Republik Zypern – und somit deren Wirtschaftszone – nicht an. Die Israelis antworteten mit Militärjets.

Für Israel ist Zypern Urlaubsdestination, aber auch eine Brücke nach Europa. Eingebettet zwischen Feinden, sieht Jerusalem westlich, im Meer, den einzigen israelfreundlichen Staat. Die EU in unmittelbarer Nähe gibt Sicherheit. Seit Kurzem existiert zudem ein außenpolitisches Bündnis zwischen Griechenland, Israel und Zypern.

Wie sah der Vorschlag der Eurogruppe aus?

Die Eurogruppe forderte, Kontoinhaber des aufgeblähten Bankensektors an der Rettung zu beteiligen. Vergangenen Dienstag sollte das Parlament folgendem Vorschlag zustimmen: Geldeinlagen bis 100.000 Euro mit 6,75 Prozent zu belasten, darüber 9,9 Prozent zu berechnen. Doch der Plan scheiterte. Kein Abgeordneter stimmte der einmaligen Zwangsabgabe zu, obwohl die Regierung sie bereits abgeschwächt hatte. Nach der Änderung sollte das Gesetz Guthaben bis zu 20 000 Euro verschonen. Der Eigenbeitrag, den die Zyprioten aufbringen sollen, beträgt 5,8 Mrd. Euro. Nur dann ist die EU bereit, 10 Mrd. für die Rettung des Staates beizusteuern.

Wie sieht der "Plan B" der Regierung aus?

Der neue Plan sieht die Bildung eines sogenannten Nationalen Solidaritätsfonds (ETA) vor. Er soll Staatsanleihen ausgeben. Der Fonds soll mit Kapital von der zypriotischen Kirche, den Rentenkassen und anderen Einrichtungen gefüllt werden. Auch die zypriotische Zentralbank soll mit ihren Goldreserven dazu beitragen.

Was wird aus dem Geld der Rentner?

Mit dem Solidaritätsfonds wird praktisch das Vermögen der Rentenkassen zwangsverstaatlicht. Die teils halbstaatlichen, teils privaten Pensionskassen, Pensionsfonds und Ersatzkassen wären dem Plan zufolge gezwungen, ihre Geldeinlagen in den Solidaritätsfonds einzubringen. Dafür würden sie Anleihen des Fonds bekommen, deren Laufzeit bisher nicht bekannt ist. Die Rede ist von bis zu zehn Jahren. Um die Anleihen abzusichern, sollen auch mögliche Gewinne aus Gasvorkommen herangezogen werden, die vor Zypern entdeckt wurden, aber noch nicht erschlossen sind. Diese Kassen dürfen erst einmal rund 2,2 bis 2,8 Mrd. Euro abgeben, schätzten Medien am Freitag.

Was geschieht, wenn die Banken wieder geöffnet werden?

Um einen massenhaften Kapitalexport ins Ausland zu verhindern, soll dem "Plan B" zufolge vorübergehend der Zahlungsverkehr eingeschränkt werden. Die zypriotischen Banken sind seit sieben Tagen geschlossen und sollen nach jetziger Planung erst am kommenden Dienstag wieder öffnen. Wichtigster Bestandteil dieses Beschlusses ist, dass größere Summen nicht ohne die Genehmigung der Zentralbank außer Landes überwiesen werden können. Damit soll gesichert werden, dass die Sparer nicht ihr ganzes Geld ins Ausland schaffen und der Bankensektor der Insel zusammenbricht. Dies wird auch russische, britische, ukrainische, griechische und auch deutsche Bürger treffen, die auf Zypern ständig wohnen. Den Preis bezahlen damit sowohl sogenannte Oligarchen aus Russland wie auch Kleinsparer, die ein Konto auf einer zypriotischen Bank haben.

Was soll mit den angeschlagenen Banken passieren?

Der aufgeblähte Bankensektor soll schrumpfen. Die zweitgrößte zypriotische Bank, Popular Bank (Laiki Bank), soll aufgespalten werden. Die Bank soll in ein voll funktionierendes Institut und eine sogenannte "Bad Bank" mit riskanten Papieren und Anlagen geteilt werden. Der "gute" Teil der Bank soll alle Geldeinlagen bis zu 100.000 Euro sowie einen Teil der Immobilien sowie die Kredite erhalten, die normal bedient werden. Dieser "gesunde" Teil soll mit der anderen großen Bank, der Cyprus Bank, zusammengelegt werden. Die Bad Bank soll die unsicheren Kredite, die Geldeinlagen über 100.000 Euro und die nicht unmittelbar benötigte Gebäude, die nicht näher definiert sind, umfassen.

Wann bekommen die Anleger ihre Geld zurück?

Dieser Teil des "Plan B" wird von Analysten als besonders trickreich und damit umstritten angesehen. Praktisch komme damit für die Kunden der Popular Bank die am Dienstag abgelehnte Zwangsabgabe aufs Vielfache durch die Hintertür zurück, argumentieren sie. Auf folgendes Beispiel wird verwiesen: Der ursprüngliche Plan der Zwangsabgabe habe vorgesehen, dass beispielsweise der Inhaber eines Kontos mit 500.000 Euro folgendermaßen belastet worden wäre: 6.750 Euro für den Teil unter 100.000 Euro und mit knapp 40.000 Euro für den Teil bis zu 500.000 Euro.

Mit der neuen Regelung werde er zwar die ersten 100.000 Euro behalten können, aber was aus den restlichen 400.000 Euro würde, wäre höchst unsicher. Die Verwaltung der "Bad Bank" solle dem "Plan B" zufolge versuchen, Gelder einzutreiben beispielsweise durch den Verkauf von Gebäuden und aus den Verwertungen anderer Teile, um die verbliebenen Mittel dann zu verteilen. Wann und wie das geschehen soll und wann Gelder bei der "Bad Bank" zurückfließen würden, stehe aber in den Sternen. Es sei damit zu rechnen, dass die Kunden möglicherweise nur einen Bruchteil ihrer Geldeinlagen zurückbekommen könnten.

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