USA schaden Weltkonjunktur

epa02952766 Dennis Snower, director of Kiel Institute for the World Economy gestures at the closing press conference of the 4th Global Economic Symposium in Kiel, Germany, 06 October 2011. About 400 politicians, entrepreneurs and scientists from around the world attended the conference. EPA/CARSTEN REHDER
Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, kritisiert die kurzsichtige Finanzpolitik der USA.

Die USA stürzen vorerst nicht von der Fiskalklippe. In letzter Minute fanden Demokraten und Republikaner eine Einigung im Budgetstreit. Am Mittwochabend setzte US-Präsident Barack Obama seine Unterschrift unter den errungenen Kompromiss (Details siehe unten) und verschob damit automatische Sparmaßnahmen in Milliardenhöhe um zwei Monate – weiterer Streit im Kongress um das Schuldenlimit (Obergrenze von 16,4 Billionen Dollar) ist vorprogrammiert. Denn nach der jüngsten Einigung, die als Sieg für Präsident Obama zu werten ist, wollen die Republikaner kein weiteres Mal klein beigeben. Prominente Parteivertreter kündigten am Mittwoch an, die anstehende Debatte über die Erhöhung der Schuldengrenze zu nutzen um ihre Forderungen nach umfangreichen Kürzungen der Staatsausgaben durchzusetzen.

Kurzfristige Finanzpolitik

Die US-Fiskalpolitik wurde am Mittwoch von Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, heftig kritisiert. Die Weltwirtschaft habe nach Ansicht des Ökonomen bereits unter der Kurzsichtigkeit der Geldpolitik gelitten. "Und die Weltkonjunktur wird in Zukunft weiter unter Druck geraten, wenn in den USA nicht ein grundlegendes politisches Umdenken gelingt", sagte Snower in einem dpa-Gespräch.

Es fehle an einem langfristigen Fiskalplan in den USA, um die Verschuldung abzubauen und die Wirtschaft anzukurbeln: "Präsident Barack Obama hat nicht festgelegt, wo langfristig die nationale Schuldenquote liegen soll, wie schnell man konsolidiert und wie antizyklisch die Fiskalpolitik sein darf", kritisierte der amerikanische Wissenschaftler.

Unsicherheit

International herrsche auch Zweifel, ob die USA überhaupt bereit seien zum konsequenten Sparen und Zurückzahlen von Schulden. Demokraten und Republikaner hätten in der Vergangenheit kurzfristig auf die Wählergunst geschielt und seien zudem zerstritten, das erzeuge Unsicherheit. "Die Bewertung eines Landes hängt aber nicht nur von der Bonität, sondern auch von der Zahlungswilligkeit ab - und die ist in Amerika angeschlagen."

Die Ratingagentur Moody's fordert nach dem Kompromiss weitere Maßnahmen zum Abbau des gewaltigen Defizits ein. Nur wenn neue Schritte erfolgten, könne der derzeit negative Ausblick der Kreditbewertung wieder auf "stabil" angehoben werden, hieß es Mittwochabend. Noch werden die USA bei Moody's, wie auch bei Fitch, mit der Bestnote "Aaa" bewertet. Doch wenn das Land seine Topbonität behalten wolle, müsse "mittelfristig ein Abwärtstrend" bei der Staatsverschuldung erkennbar sein.

Bei Standard & Poor's hat die größte Volkswirtschaft der Welt die Topnote bereits verloren und wird auch weiterhin mit „AA+“ bewertet werden. Die erzielte Einigung ändere auch nichts am Ausblick, urteilten die Bonitätswächter von S&P am Mittwoch.

Schuldenobergrenze von 60 Prozent

Nach Ansicht Snowers wäre langfristig eine Verschuldungsobergrenze der USA von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinnvoll - zurzeit beträgt die Quote der Staatsschulden über 100 Prozent, Tendenz steigend. In zwanzig Jahren könnte in gleichmäßigen Schritten die Zielmarke erreicht werden. Sollten die USA sich auf einen Fiskalplan einigen, hätten sie Dank ihres Automatismus von Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen einen glaubwürdigen Mechanismus - anders als Europa. Hier gebe es einen, wenn auch nicht besonders guten Fiskalplan, aber keine überzeugende Implementierung.

Das Schuldeniveau sollte sich aus Sicht Snowers nach dem Konjunkturzyklus richten. In schlechten Zeiten müsse die Verschuldung höher sein dürfen als in guten. Er wandte sich gegen ein neue starre Verschuldungsobergrenze, die nach ein oder zwei Jahren schon wieder hinfällig sei wie zuletzt die 16,4 Billionen-Dollar-Marke. "Es solcher Prozess wäre absurd. Statt einer Verschuldungsobergrenze brauchen die USA eine langfristige Staatsschuldenquote, die im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung festgelegt wird."

Schuldenobergrenze

Früher als befürchtet, nämlich schon zu Jahresende, haben die USA ihre selbst gesetztes Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen Dollar erreicht. Spätestens Ende Februar wird der Kongress diese Deckelung erneut anheben müssen, damit die USA zahlungsfähig bleiben. Bis vor knapp zwei Jahren war dies keine große Sache: Allein in der Ära George W. Bushs wurde die Schuldenobergrenze acht Mal angehoben. Nun aber sperren sich die Republikaner radikal dagegen.

Großverdiener zahlen

US-Bürger mit einem Jahreseinkommen von 400.000 Dollar und mehr müssen nun statt 35 Prozent 39,6 an den Fiskus abliefern; ebenso werden Kapitalerträge und große Erbschaften stärker besteuert. Damit sollen in den kommenden zehn Jahren 620 Milliarden in die Kassen gespült werden. Die Steuererleichterungen für Normalverdiener werden hingegen in geltendes Recht umgewandelt. Die Lohnsteuern aber steigen für alle.

Kostenfalle Medicare

US-Bürger über 65 Jahre und Behinderte haben Anspruch auf eine staatliche Krankenversicherung (Medicare). 500 Milliarden Dollar wendet der Staat derzeit dafür auf, wegen der wachsenden Zahl an Pensionisten aber werden in zehn Jahren bereits 900 Mrd. Dollar benötigt. Kürzungen bei Medicare aber sind für die Demokraten ein absolutes „No-go“, während die Republikaner auf massive Einsparungen drängen.

Hilfe für Arbeitslose

Mit 7,7 Prozent lag die Arbeitslosigkeit in den USA im Dezember so niedrig wie schon seit vier Jahren nicht mehr. Und doch mussten die Jobsuchenden, besonders die zwei Millionen Langzeitarbeitslosen, in den vergangenen Tagen zittern. Im Fall eines „Fiscal Cliffs“ hätten viele die staatliche Unterstützung verloren. Diese ist nach dem jüngsten Budgetkompromiss gesichert – zumindest noch für ein weiteres Jahr.

Die Steuern um 35 Prozent erhöhen und gleichzeitig die Sozialausgaben um 35 Prozent kürzen. Nur mit einer derartigen Rosskur, so rechnete es der Internationale Währungsfonds vor, könnten die USA theoretisch langfristig den Weg aus ihrer Schuldenkrise finden. Die Praxis sieht, wenig überraschend, ganz anders aus: Mit dem jüngsten Budget-Kompromiss, der bestenfalls ein halber ist, hat sich Washington nur über die nächsten zwei Monate gerettet. Dann steht die nächste Krise an.

Auch dieses nächste Mal, wenn über eine – unausweichliche – Anhebung der staatlichen Schuldenobergrenze gestritten wird, werden sich Demokraten und Republikaner zu Minimalkonzepten zusammenraufen, anstatt sich des eigentlichen Problems zu stellen: 74 Prozent betragen die öffentlichen Schulden am BIP. In zehn Jahren werden es 90 Prozent sein. In 30 Jahren, wenn nicht radikal gegengesteuert wird – gigantische 247 Prozent.

An schmerzhaften Strukturreformen, wie sie viele europäische Staaten vorexerzieren, werden auch die USA nicht vorbeikommen. Noch aber halten sowohl Republikaner als auch Demokraten starr an ihren Dogmen fest: „Keine höheren Steuern“, postulieren die einen, „keine Kürzung der Sozialausgaben“, die anderen. Dieses Patt, das auch US-Präsident Obama mit mehr Flexibilität sprengen könnte, kennt langfristig nur Verlierer: Wähler, Wirtschaft und Wohlfahrtsstaat.

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