Budgetstreit in USA in der nächsten Runde

epa03521390 US Vice President Joe Biden (C) speaks briefly with the media as he leaves a Democratic caucus to negotiate a fix to the so-called fiscal cliff in Washington, DC, USA, 31 December 2012. The Senate may still vote tonight on legislation, with the House following in the next few days. EPA/JIM LO SCALZO
In Washington ist es in der vergangenen Nacht doch noch zu einer Einigung im Fiskalstreit gekommen.

Die „Ohio Clock“, eine große Standuhr im Kapitol, schlug im Blitzlichtgewitter der Fotografen Mitternacht. Doch von Jubelstimmung zu Neujahr konnte in Washington keine Rede sein. Das Ultimatum zur Beilegung des US-Budgetstreits, in dem es um nicht weniger als 600 Milliarden Dollar geht, war verstrichen. Schließlich schafften zwei 70-jährige Polit-Haudegen einen Schulterschluss, der die USA vor einer neuerlichen Rezession retten soll: Vizepräsident Joe Biden verhandelte mit seinem langjährigen Freund Mitch McConnell, Fraktionschef der Republikaner im Senat, einen Kompromiss aus, der Amerika vor dem Sturz über die „Fiskalklippe“ in eine neue Rezession bewahren soll. Um zwei Uhr Früh Ortszeit billigte der Senat das Paket mit überwältigender Mehrheit von 89 gegen acht Stimmen.

Damit begann erneut die Uhr zu ticken. Denn ohne Zustimmung des Repräsentantenhauses, in dem heftiger Widerstand der Republikaner erwartet wurde, ist der Kompromiss nichts wert: Beide Häuser müssen die gleiche Gesetzesvorlage absegnen, damit die Bestimmungen in Kraft treten können. Von Vorteil war nur, dass die Börsen weltweit zu Neujahr geschlossen blieben.

Riskantes Taktieren

Formal sind die USA über die Fiskalklippe gestolpert: Mit 1. Jänner 2013 endeten automatisch Steuererleichterungen im Wert von 536 Milliarden Dollar. Zugleich folgen nach dem Rasenmäherprinzip Kürzungen der Staatsausgaben um 110 Milliarden Dollar. Dieser Automatismus kann im Fall einer Einigung rückwirkend aufgehoben werden. Frühestens um 18 Uhr MEZ wollten die republikanischen Abgeordneten am Neujahrstag ihre Beratungen aufnehmen. Eine Abstimmung im Abgeordnetenhaus sollte – wenn irgendwie möglich – noch vor Donnerstag über die Bühne gehen. Denn dann tritt das Abgeordnetenhaus neu zusammen. Und die neuen, erst am 6. November gewählten Mandatare gelten als weitere Unsicherheitsfaktoren bei diesem hochriskanten politischen Taktieren.

Sollten die USA vollends über die Fiskalklippe stürzen, könnte die größte Volkswirtschaft der Welt nach Expertenschätzung heuer um vier Prozentpunkte schrumpfen – mit Folgewirkungen rund um den Globus. Zwei Millionen weitere Arbeitslose allein in den USA wären die Folge.

Doch selbst der von Biden und McConnell ausverhandelte Deal brächte der Politik nur zwei weitere Monate Spielraum für weitere Budgetverhandlungen. Verschärfend kommt hinzu, dass die USA am Silvestertag die gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze erreicht haben sollen. Finanzminister Timothy Geithner hat laut Finanzkreisen eine Reihe von Notmaßnahmen eingeleitet, um eine drohende Ausgabensperre des Bundes abzuwenden. Sein Plan sehe vor, die Zahlungsfähigkeit der Regierung um ebenfalls zwei Monate zu verlängern. Der Kampf im Kongress um die Schuldenobergrenze hatte die USA bereits im Sommer 2011 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. Die US-Bürger haben jedenfalls die Nase voll. Sie kürten den Ausdruck „Fiskalklippe“ zum Unwort des Jahres. Ein Internet-User schrieb dazu: „Da kriegt man Lust, wirklich jemanden über eine Klippe zu werfen.“

Nach einem erbitterten Streit um das Budget beschlossen Republikaner und Demokraten im Sommer 2011 das sogenannte Budgetkontrollgesetz (Budget Control Act). Dieses sieht automatische Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen für den Fall vor, dass bis zum 1. Jänner 2013 keine Einigung zur Reduzierung des jährlichen Defizits erreicht wird.

Das Budgetkontrollgesetz war als Drohung gedacht, die beiden Parteien zu einer Einigung im Streit um das Defizit zu zwingen. Republikaner und Demokraten sind seit Jahren uneins, ob der Budgetlücke von jährlich rund einer Billion Dollar mit höheren Steuern oder niedrigeren Ausgaben begegnet werden soll. Bisher ist trotz der drohenden Frist aber keine Einigung gelungen.

WAS WÄREN DIE FOLGEN?

Das Budgetkontrollgesetz sieht Kürzungen von 1,2 Billionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren vor. Im kommenden Jahr wären dies Einsparungen von rund 109 Milliarden Dollar (84,08 Mrd. Euro) beim Verteidigungsbudget und anderen Ressorts. Zudem würden Steuererleichterungen und Arbeitslosenhilfen auslaufen, so dass Millionen Bürger weniger Geld im Portemonnaie hätten.

Die Erhöhung der Steuern und die Kürzung der Ausgaben würden das Defizit drastisch reduzieren - im kommenden Budgetjahr schätzungsweise um eine halbe Billion Dollar. Der Kongress befürchtet jedoch, dass diese Schockbehandlung das Land zurück in die Rezession stürzen und die Arbeitslosenrate weiter in die Höhe treiben könnte. Zahlreichen Staatsbediensteten würde der Zwangsurlaub drohen, während Unternehmen staatliche Aufträge verlieren könnten.

WAS IST DIE SCHULDENOBERGRENZE?

Noch vor dem 1. Jänner könnten die USA an die Schuldenobergrenze stoßen. Nach Angaben des Finanzministeriums wird am Montag das gesetzliche Limit der Staatsschulden von 16,39 Billionen Dollar erreicht. Wenn diese Grenze nicht angehoben wird, könnte Washington nur noch das ausgeben, was es einnimmt, und müsste seine Ausgaben drastisch kürzen. Denkbar wäre etwa ein Aussetzen von Soldzahlungen an Soldaten oder von Sozialleistungen.

Schon im Sommer 2011 hatte der Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Schließlich wurde diese um 2,1 Billionen Dollar erhöht.

Es war rund eine Stunde vor Anbruch des neuen Jahres, als Vizepräsident Joe Biden im Washingtoner Kapitol strahlend aus einem Konferenzraum kam. Gerade hatte er seinen Parteifreunden im Senat den Deal verkauft, den Kompromiss im US-Haushaltsstreit, der die Wirtschaft vor einem drohenden Absturz bewahren soll.

Der Republikaner Mitch McConnell ist eher verschlossen, er vermeidet es, nach außen allzu viel Emotionen zu zeigen. Und dennoch klang es diesmal dramatisch, als der Fraktionschef der Republikaner den Senat beschwor, Grünes Licht für die Vereinbarung zu geben. Die Senatoren taten es, mit überwältigender Mehrheit.

Biden und McConnell hatten es wieder einmal geschafft: Zwei 70 Jahre alte politische Hasen stellten nach langem nervenzehrendem Tauziehen einen Kompromiss auf die Beine, der noch kurz vorher schon fast unmöglich schien. Zum dritten Mal in kurzer Zeit exerzierte das Duo vor, dass auch in einem politisch derart konfrontativen Klima wie dem Washingtoner gemeinsame Schritte möglich sind - wenn man es versteht, miteinander zu reden.

Schon vor zwei Jahren, Ende 2010, hatten die beiden langjährigen früheren Senatskollegen einen heftigen Streit um auslaufende Steuererleichterungen entschärft. Dann kam der Showdown um eine Erhöhung der Schuldenobergrenze im Sommer 2011, der die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte. Wieder waren es Biden und McConnell, die als Troubleshooter das Ruder gerade noch rechtzeitig herumreißen konnten.

Dabei sind die zwei keine "Power Player" aus der ersten Reihe, sie spielen sozusagen eine zweite Geige. Biden ist der Vize von Präsident Barack Obama, McConnell Chef der Minderheit im Senat. Aber "schiere Macht" sei offenbar manchmal weniger wirksam als die persönliche Fähigkeit von zwei Menschen zusammenzuarbeiten, formulierte es die "Washington Post".

Biden und McConnell kennen sich praktisch in-und-auswendig, nach 24 gemeinsamen Jahren im Senat - als Rivalen, aber auch oft als Freunde, vor allem aber als nüchterne Kollegen, die sich jenseits aller politischen Differenzen respektieren, wie es in Kongresskreisen heißt. "Es ist nicht so sehr ein Kameradending", zitiert die "Washington Post" einen Kongressmitarbeiter. "Die beiden sind in der Lage, Geschäfte zu machen. Sie können zusammen Lösungen finden."

Demnach schätzt McConnell Biden als einen Mann, der schnell Entscheidungen treffen und Vereinbarungen erzielen könne, ohne die andere Seite zu belehren. Biden seinerseits möge an McConnell, dass er realistisch sei und keine Versprechungen mache, die er nicht halten könne.

Dabei könnten die beiden Männer nicht unterschiedlicher sein - auch äußerlich. Der weißhaarige Biden lacht gern, zeigt oft seine blendend weißen Zähne und hat einen Hang zum Unkonventionellen - wie etwa während des jüngsten Präsidentenwahlkampfes, als er sich mit einer Rockerbraut auf dem Schoß ablichten ließ. Und mit seinem losen Mundwerk hat er seinen Boss Barack Obama schon mehr als einmal in Verlegenheit gebracht.

McConnell mit seinen dicken Brillengläsern wirkt dagegen oft etwas säuerlich, strahlendes Lachen zählt nicht zu seinen Markenzeichen. Stattdessen gilt er als reserviert, überlegt und nüchtern. Eine Rockerbraut in Leder auf seinem Schoß wäre jedenfalls kaum vorstellbar.

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