US-Fiskalstreit: Dramatik pur zum Jahreswechsel

Eine Einigung im Fiskalstreit sei in Sicht, aber noch nicht erreicht, so Präsident Obama in einer TV-Rede.

Dramatischer hätte das Finale im US-Budgetstreit nicht verlaufen können: Der Senat trat am Silvestertag um 11 Uhr Ortszeit (17 Uhr MEZ) erneut zusammen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Als sich zweieinhalb Stunden später Fortschritte abzeichneten, drängte Präsident Barack Obama via TV nochmals öffentlich-wirksam auf einen Kompromiss.

TV-Rede

Eine Einigung im US-Fiskalstreit sei in Sicht, aber noch nicht erreicht. Es gebe noch immer einige Themen, bei denen noch kein Kompromiss erzielt werden konnte. Wenige Stunden vor Ablauf der Frist um Mitternacht (6.00 Uhr MEZ) rief Obama am Sonntagabend in Washington Republikaner und Demokraten in einem dramatischen Appell auf, noch in letzter Minute einem Kompromiss im Kongress zu finden. Gleichzeitig warnte er erneut vor den Gefahren der Fiskalklippe.

Kongress tagt zu Silvester

Es war überhaupt das erste Mal seit mehr als 40 Jahren, dass der Kongress am letzten Tag des Jahres tagte.

Das aber mit gutem Grund. Es war die zunächst letzte Chance, Amerika vor dem Abgrund zu bewahren. Das Damoklesschwert massiver Steuererhöhungen für alle und Ausgabenkürzungen hing über den Parlamentariern und letztlich über allen US-Bürgern. Sollte es Schlag Mitternacht herabfallen, könnte es in der größten Volkswirtschaft der Welt eine neue Rezession mit globalen Folgen auslösen.Bis zuletzt wurde deshalb gerungen, wobei der Ton immer rauer wurde. Obama gab den oppositionellen republikanischen Hardlinern die Schuld an einem etwaigen Scheitern. Deren Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, konterte scharf und warf dem Staatschef Führungsschwäche vor.

Polit-Haudegen mussten ran

Weil sich auch in der Sache bis zuletzt wenig bewegte, versuchten sich zwei langgediente Polit-Haudegen als Retter in der Not. Der republikanische Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, und sein alter Freund, Vize-Präsident Joe Biden – sie saßen gemeinsam fast ein Vierteljahrhundert im Senat – wollten den Karren aus dem Dreck ziehen. An den großen Wurf glaubte in Washington gestern aber niemand mehr so recht. „Ich glaube, wir werden über die Klippe springen“, so der republikanische Senator Graham.

Als mögliche Variante wurde ein Mini-Kompromiss gehandelt: Die automatisch mit Jahres-beginn in Kraft tretenden Steuererhöhungen werden irgendwie abgefangen, die Sozial-Kürzungen eingebremst; alle anderen Streitpunkte werden auf 2013 vertagt – insbesondere die von Obama geforderte Reichensteuer, die die Republikaner strikt ablehnen. Unklar blieb bis zuletzt, ob die Republikaner, die die Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer haben, dieser „Einigung light“ zustimmen würden oder nicht.

Der KURIER bietet einen Überblick über die gefährlichen Situation, die in den USA eine neue Rezession auslösen könnte – mit möglicherweise weltweiten Folgen.

Was passiert konkret, wenn es bis zum Neujahrstag keinen Kompromiss gibt?

Dann würden die Steuervergünstigungen der früheren Regierung unter George Bush jr. auslaufen – das beträfe alle Einkommensbezieher, die jährlich unter 250.000 Dollar verdienen. Auch die Hilfen für Arbeitslose und sozial Schwache, die die Obama-Administration einführte, würden wegfallen. Zugleich würden automatisch Budgetkürzungen in Kraft treten – allein das Verteidigungsministerium müsste mit neun Prozent weniger das Auslangen finden.

Was wären die weiteren Folgen?

Da durch die Maßnahmen dem US-Markt 600 Milliarden Dollar entzogen würden, befürchten Ökonomen, dass die US-Wirtschaft wieder in eine Rezession schlittern könnte. Weltweit könnten die Börsenindizes abstürzen und die Finanzmärkte in Turbulenzen geraten.

Ist der Budgetstreit das einzige ökonomische Problem der Amerikaner?

Nein, zu Jahresende wird auch das Schuldenlimit (16,4 Billionen Dollar) erreicht – die USA wären zahlungsunfähig. Finanzminister Timothy Geithner hat nun aber den Streitparteien im Kongress zwei Monate Spielraum verschafft: Indem er unter anderem Zahlungen an einen Pensionsfonds für Staatsbedienstete stoppt und Wertpapiere ausgibt, will er 200 Milliarden Dollar generieren.

Woran scheiterte bisher eine Einigung?

Obama drängt zur Verminderung des Budgetdefizits auf Ausgabenkürzungen und höhere Einnahmen. Knackpunkt ist die Reichensteuer. Der Präsident will Jahreseinkommen ab 250.000 Dollar, zumindest aber ab 400.000 Dollar besteuern. Die Republikaner lehnen das ab. Die radikalsten wollen auch Superreiche (mehr als eine Million Dollar) nicht höher besteuern.

Wie stehen die Chancen für eine Last-Minute-Einigung?

Nicht mehr sehr gut. Kommentatoren sehen bestenfalls eine Minimallösung. Konkret: Die Reichensteuer und das Ausmaß der Budgetkürzungen werden auf 2013 vertagt, dafür bleiben die niedrigen Steuersätze für 98 Prozent aller US-Haushalte und 97 Prozent aller Kleinunternehmer erhalten.

Gibt es noch eine Hintertür?

Eventuell. Bleiben die Republikaner bei ihrer Blockade-Haltung bis ins neue Jahr, könnten sie in den ersten Jännerwochen die zuvor automatisch in Kraft getretenen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sogar rückwirkend wieder aufheben. Das Kernproblem der Budgetsanierung wäre aber weiter ungelöst. Und wie die Märkte in der Zwischenzeit reagieren, ist höchst ungewiss.

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