Ex-Kika/Leiner-Boss: "Es bestand für mich kein Anlass, Insolvenz anzumelden"
Reinhold Gütebier wollte die angeschlagene Möbelgruppe retten. Fünf Jahre und hundert Millionen Euro Verlust später steht der bald 71-jährige Deutsche vor den Trümmern – und geht es nach seinen Kritikern auch bald vor Gericht.
Drei Wochen nach dem Verkauf von Kika/Leiner durch René Benkos Signa-Gruppe und zwei Wochen nach dem Insolvenzantrag des neuen Eigentümers nimmt die Kritik an Benko und auch am früheren Management zu. Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss oder gar nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden laut. Am Mittwoch wurde (der KURIER berichtete exklusiv)mit Stephan Riel ein Sonderverwalter bestellt, der den Vermögensverlust der Möbelhandelsgesellschaft aufklären soll. Er hat bereits mit dem früheren Eigentümer Kontakt aufgenommen.
Die Hauptkritikpunkte drehen sich um zwei Fragen:
Wurden durch zu hohe Mietzahlungen die Signa-Gruppe gegenüber anderen Gläubigern, die jetzt draufzahlen bevorzugt?
Und hätte das Management nicht schon viel früher Insolvenz anmelden müssen, spätestens als man rückwirkend die beiden Gesellschaften (Kika und Leiner) 2022 verschmolzen hatte
Gütebier rechtfertigt sich
Erstmals nimmt nun der damalige Geschäftsführer Reinhold Gütebier im Exklusiv-Interview für den KURIER zu dieser Causa Stellung:
KURIER: Sie wurden nach der Übernahme von kika/Leiner 2018 zum Geschäftsführer bestellt, um das Unternehmen zu sanieren. Was ist schief gelaufen?
Reinhold Gütebier: Wir waren auf dem Weg der Sanierung. Der Eigentümer hat investiert, wir haben unsere Häuser modernisiert. Und dies trotz Corona, trotz Energiepreisexplosion, trotz Inflation und den Folgen des Krieges - die uns wie allen anderen auch natürlich geschadet haben.
Aber weswegen lief es nicht gut?
Weil sich durch die Kostenexplosion das Kaufverhalten geändert hat. Die Nachfrage in der Hauptwarengruppe, das sind die Küchen, ist eingebrochen. Dazu kamen explodierende Energiekosten und Transportkosten. Die Containerpreise haben sich fast vervierfacht. Auch die Papierpreise sind explodiert, ein wichtiger Faktor für die Prospektwerbung.
Jetzt waren aber die Bilanzen auch schon in den Jahren davor alles andere als rosig.
2018 war das Unternehmen kurz vor der Insolvenz – Signa hat dies durch die Übernahme verhindert. Tausende Arbeitsplätze blieben deshalb über Jahre erhalten. Wir haben das Unternehmen mit 70 Millionen Euro Minus beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen übernommen. Ziel, war es, bis 2021 die schwarze Null zu schaffen. 2021 betrug da das Ebitda dann minus vier Millionen, also fast eine schwarze Null.
Aber wann wurde Ihnen klar, dass es sich nicht ausgeht?
In meiner Zeit als Geschäftsführer gab es keine Veranlassung, Insolvenz anzumelden.
Sie waren mit den Eigentümern in Kontakt?
Es gab ein monatliches Reporting an die Gesellschafter über alle Aktivitäten und Monatsergebnisse. Selbstverständlich die regelmäßigen Sitzungen und Informationen des Aufsichtsrates. Darüber hinaus gab es alle zwei bis drei Monate einen Lenkungsausschuss, wo wir uns abgestimmt haben.
Wer war von den Eigentümern dabei?
Die zuständigen Ansprechpartner aus dem Aufsichtsrat und dem Handelsbereich.
Und Sie haben nie gesagt: Liebe Eigentümer – wir machen allein im Jahr 2022 jetzt 47 Millionen Jahresverlust. Wir müssen Insolvenz anmelden?
Es bestand während meiner Zeit als Geschäftsführer kein Anlass Insolvenz anzumelden.
Warum nicht?
Wir hatten eine solide Planung, die eine ausreichende Liquidität sichergestellt hat. Die laufende Finanzierung des Unternehmens war damit gesichert. Bis 2024 hätten wir auch die Steuerrückzahlungen aus den Stundungen in der Coronazeit bedienen können. Für uns stand auch der Erhalt der tausenden Arbeitsplätze im Vordergrund sowie die Absicherung unserer Marktanteile im Fokus.
Sie haben also nie über einen Insolvenzantrag nachgedacht. Jetzt aus dem Abstand betrachtet: Als Geschäftsführer sind Sie rechtlich dazu verpflichtet, wenn es zum Beispiel zu einer Überschuldung kommt….
Ich bin seit Jahrzehnten im Geschäft, kenne meine Pflichten und den Handel sehr gut. Deshalb ist meine Aussage unmissverständlich, denke ich.
Aus ihrer rechtlichen Perspektive bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Insolvenz?
Ich habe mich dazu schon unmissverständlich geäußert.
Kann es sein, dass Sie den jetzigen neuen Eigentümern unterstellen, dass sie eine Insolvenz durchziehen, nur um sich auf Kosten der Gläubiger zu entschulden?
Ich unterstelle gar nichts. Ich kann Ihnen nur Dinge sagen, die in meine Verantwortung gefallen sind.
Sie wurden also von den Verkaufsplänen des Eigentümers eiskalt erwischt?
Ein Verkauf eines Unternehmens obliegt dem jeweiligen Eigentümer. Wir wurden in der Geschäftsführung im März darüber informiert, dass es Kaufinteressenten gibt.
Wer hat Sie von den Eigentümern informiert?
Meine zuständigen Ansprechpartner aus dem Aufsichtsrat und dem Handelsbereich.
Sind Sie von Ihren Eigentümern enttäuscht, weil die verkauft haben?
(Überlegt lange) Nein, ich habe dafür Verständnis. Allerdings glaube ich, dass die österreichische Möbelbranche in den nächsten 12 Monaten wieder Aufwind bekommen hätte. Zugleich aber zeige ich Verständnis dafür, wenn ein Eigentümer sagt, dass er eine strategische Entscheidung trifft und sich aus einer Branche zurückzieht.
Der neue Eigentümer, Herr Hermann Wieser, spricht von Managementfehlern, explodierenden Kosten, zu komplizierten personalintensiven Abläufen, falschen Markenstrategien und so weiter. Was sagen Sie dazu?
Ich möchte mich über das neue Management nicht äußern. Ich kenne Herrn Wieser nicht.
Finden Sie es richtig, dass der neue Eigentümer jetzt 23 von 40 Filialen zusperrt?
Ich kenne die konkreten Pläne des neuen Eigentümers nicht. Wir haben punktuell Schließungen diskutiert - aber nur dort, wo Kika- und Leiner-Standorte im gleichen Einzugsgebiet liegen. Wir hätten vielleicht sechs bis acht Schließungen in Erwägung gezogen. Für uns stand zu keiner Zeit eine Zahl der jetzigen Größenordnung im Raum.
Die Steuern haben Sie sich während Corona stunden lassen, aber die Mieten haben Sie voll bezahlt. Wieso hat man mit dem Vermieter, also dem gleichen Eigentümer, nicht eine Stundungs-Lösung bei den Mieten erzielt?
Wir haben im Mittel drei Euro pro Quadratmeter an Miete bezahlt. Das ist eine mehr als adäquate Miete für den Möbelhandel. Und von daher war das nicht das Thema. Zudem haben wir von Vermieterseite substanzielle Zuschüsse erhalten.
Aber es gibt den Eindruck, dass man hier sozusagen Gelder von einer Gesellschaft in die andere geschoben hat.
Ich lese vieles, was nicht stimmt in diesen Tagen.
Sie haben also nie zum Eigentümer der Immobiliengesellschaft, zum Vermieter, gesagt, es läuft nicht so gut, können wir nicht Stundungen oder sonstige Nachlässe haben?
Der Eigentümer hat von Anfang an, substanziell in das Unternehmen investiert.
In der Bilanz 2022 wird sichtbar, dass man die Umsatzkomponente, sprich, die Mieten richten sich nach den Einnahmen, aus den Mieten herausgenommen und einen Fixbetrag bezahlt hat. Das hat schon einen schalen Geschmack, finden Sie nicht? Man sichert sozusagen die Mieten für die Schwestergesellschaft zulasten der operativen Möbel-Gesellschaft.
Auch bei Umsatzmieten gibt es üblicher Weise Mindestmieten. Die gesamten Mietzahlungen sind in Summe über die Jahre betrachtet annähernd gleichgeblieben.
Kika und Leiner wurden 2022 rückwirkend auf den Bilanzstichtag 2021 zu einer Gesellschaft fusioniert: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass die Kika/Leiner-Fusion nur dazu diente, damit man überhaupt noch bilanzieren konnte?
Das ist unzutreffend. Die Fusion wurde mit dem Ziel die Verwaltungskosten zu reduzieren durchgeführt.
Generell gefragt: Haben Sie keine Fehler gemacht?
Also ich glaube, jeder Mensch macht Fehler. Aber ich stelle mich hin, und das sage ich auch für meine beiden Kollegen in der Geschäftsführung: Nein, wir haben keine wesentlichen Fehler gemacht.
Es gibt es den Ruf nach dem Staatsanwalt und nach einem Untersuchungsausschuss. Wie geht es Ihnen persönlich damit, dass Sie auf das politische Schlachtfeld gezogen werden?
Ich glaube, ich bin stabil genug, damit umzugehen.
Fürchten Sie sich vor dem Staatsanwalt, falls der aktiv wird?
Also, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe fünf Jahre elementar mit meinen Kollegen, mit einer ganzen Mannschaft dazu beigetragen, dass annähernd 4.000 Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze behalten haben. Wir hatten eine vernünftige Entwicklung der Gesamtsituation und darauf bin ich stolz.
Der Gesamtblick auf die Konstellation lässt trotzdem eine Vermutung offen: Da gab es ein Möbelgeschäft. Das hat man dazu genutzt, um die Werthaltigkeit der Immobilien zu sichern, um da Gewinne zu machen. Gab es einen Druck auf Sie?
Vermutungen sind das Gegenteil von Fakten. Deshalb: es gab zu keiner Zeit Druck auf mich. Mich hat es begeistert, dass ein Eigentümer bei der Größenordnung des Unternehmens und der Vielfältigkeit der Branche so involviert ist.
Herr Benko hat sich also auch für das operative Geschäft interessiert? Nicht nur für die Immobilien?
Für Signa war das operative Handelsgeschäft von großer Bedeutung und ich hatte regelmäßigen Kontakt zu Vertretern der Eigentümer. Die Zusammenarbeit war sehr gut.
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