"EZB hat die Gefahren übersehen"
KURIER: Was halten Sie von der Beschränkung der Banker-Boni? Ist sie in Ordnung oder ein Eingriff in Eigentümerrechte?
Peter Bofinger: Im Prinzip kann jedes Unternehmen seinen Mitarbeitern so viel Geld geben, wie es mag. Wenn eine Bank zu hohe Boni ausschüttet, muss ich ja keine Aktien dieser Bank kaufen. Das Wichtigste ist, die Boni auf langfristigen Erfolg auszurichten. Das verhindert das Verhalten „Hinter mir die Sintflut“. Aber das hat man mit den neuen Regeln verabsäumt.
Wie bewerten Sie, dass Banken künftig mehr Eigenkapital haben müssen?
Das ist natürlich sehr wichtig, aber man muss behutsam vorgehen. Viele Banken sind Reha-Patienten, die Verfassung ist schwach, und wenn man die Eigenkapitalanforderungen zu schnell erhöht, geht das zulasten der Kredite an die Realwirtschaft. Wichtig wäre vor allem, dass man die Vernetzung unter den Banken drastisch reduziert. Damit könnten alle Institute stehen bleiben, selbst wenn theoretisch die Deutsche Bank insolvent wird.
Müssen Banken noch strenger reguliert werden?
Man braucht Eigenkapitalanforderungen, die direkt an der Bilanzsumme ansetzen und nicht nur an den risikogewichteten Aktiva. Und man braucht auch antizyklische Eigenkapital-Regeln, zum Beispiel für Immobilien-Kredite. Aber auch die Notenbanken sind gefordert. Sie müssen bei der Geldpolitik stärker auf die Kreditentwicklung achten. Bei den enormen Zuwächsen 2004 bis 2006 bei Immo-Krediten in Spanien und Irland (was zu Blasenbildung mit anschließendem Absturz führte, Anm.) hat die Europäische Zentralbank versagt. Das hat sie verschlafen. Mit ihrer Fixierung auf die Preisstabilität hat sie die Gefahren für das Finanzsystem völlig übersehen.
Wo hat die EZB aus Ihrer Sicht noch Fehler gemacht?
Etwa, als sie im Juli 2008, als die Finanzkrise schon im Gange war, die Leitzinsen noch einmal erhöht hat. Oder im Herbst 2008, als die Refinanzierungs-Zinsen der Banken drei Wochen nach Lehman auf ein Rekordhoch stiegen. Und jetzt: Die EZB müsste die Leitzinsen von 0,75 auf 0,25 Prozent senken. Wenn sich Banken bei ihr Geld ausleihen, bekommt sie 0,75 Prozent Zinsen. Wenn Banken bei ihr Geld einlegen, zahlt sie keine Zinsen. Die EZB verdient im Moment an schwachen Banken, das ist widersinnig.
Kommt nach dem Patt in Italien die Krise jetzt zurück?
Da muss man unterscheiden. In der Finanzwirtschaft hat sich die Krise entspannt. In der Realwirtschaft war die Krise nie weg und geht ungebremst weiter, die Arbeitslosigkeit hat im Euroraum einen Rekordwert von 11,9 Prozent erreicht. Ich wundere mich über die Prognostiker, die sagen, im zweiten Halbjahr wird’s besser. Wo soll denn das herkommen?
Sie haben die Sparprogramme mit Magersucht verglichen. Wie gefährlich ist diese Magersucht?
Aber wie können diese Länder aus der Rezession finden?
Das geht nur, wenn die Euro-Länder die Krise gemeinsam angehen. Wir müssen erkennen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Das heißt, es muss gemeinsame Investitionsprogramme geben.
Wie können schwer verschuldete Länder wie Italien finanziell wieder auf die Beine kommen?
Zum Beispiel durch eine einmalige Vermögensabgabe, die über zehn Jahre verteilt zu zahlen ist.
Welche Abgabenhöhe stellen Sie sich vor?
Ab einer Million Euro zehn Prozent, ab zehn Millionen dann zwanzig Prozent.
Und die Vermögenden werden nicht abwandern?
Wenn die Abgabe einmalig und auf einen Stichtag bezogen ist, gibt es dafür keinen Grund.
Wäre eine derartige Vermögensabgabe auch für Deutschland oder Österreich denkbar?
Da sehe ich nicht, dass das notwendig ist.
Aber auch die stabilen Länder haben hohe Staatsschulden ...
Die Maastricht-Quote von 60 Prozent ist vollkommen willkürlich. Deutschland und Österreich bekommen Geld derzeit praktisch geschenkt. Das zeigt die äußerst positive Einschätzung beider Länder durch die Investoren. Bei den niedrigen Zinsen sollten Deutschland und Österreich eigentlich Geld aufnehmen und es in Infrastruktur und Bildung investieren. Die volkswirtschaftlichen Erträge wären sehr viel höher als die Zinsen.
Wird es die Eurozone in zehn Jahren noch geben?
Ich glaub’ schon, dass man sich zusammenrauft. Aber man wird viele Probleme haben, wie politische Instabilität, Unzufriedenheit, Rezession. Am Ende wird man um einen Politikwechsel nicht herumkommen. Das eindimensionale Sparen hat die Währungsunion in eine desolate Lage gebracht. Es gibt in den USA die Redewendung: „Wenn man in einem Loch sitzt, muss man aufhören zu graben.“ Wir müssen jetzt das Wachstum fördern.
Wird es für Griechenland einen zweiten Schuldenschnitt geben?
Griechenland allein wird es nicht packen, es wird einen zweiten Schuldenschnitt geben. Das ist ein Modell, das wir ja auch in der Gesellschaft haben, wenn Menschen finanziell unverantwortlich gewirtschaftet haben. Durch eine Privatinsolvenz kann man wieder auf die Beine kommen.
Viele Ökonomen warnen davor, dass die Geldschwemme der EZB zu hoher Inflation führen wird. Sie auch?
Nein. Ein Beispiel dafür ist Japan. Die haben seit vielen Jahren die weltweit höchsten Staatsschulden und die Bank of Japan hat enorme Aufkaufprogramme für Anleihen. Japan ist aber auch das Land mit den niedrigsten Inflationsraten.
Eine ganz andere Frage: Wie vereinbaren Sie Familie und Beruf?
Peter Bofinger: Einer von fünf Weisen
Unabhängiges Gremium
Bereits 1963 wurde in Deutschland per Gesetz der Sachverständigenrat eingeführt. Dieser Rat analysiert die Lage der Wirtschaft und berät die Politik. Dem unabhängigen Gremium gehören fünf Professoren an, die als Wirtschaftsweise bezeichnet werden. Seit Dienstag ist der Bochumer Professor Christoph Schmidt neuer Vorsitzender.
Zur Person
Peter Bofinger, 1954 in Pforzheim geboren, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 ist er einer der Wirtschaftsweisen. Am 18. und 19. April wird Peter Bofinger einer der Keynote-Referenten beim CFO-Forum 2013 von Business Circle in Stegersbach (Burgenland) sein.
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