Nach der Finanzkrise kommt Pensionskrise

"Österreich hat sein eigenes Mikroklima", sagt Prader. Der Oberösterreicher arbeitet für den Internationalen Währungsfonds in Washington.
Johann Prader, IWF-Exekutivdirektor, warnt vor unterschätzten Risken und Selbstgefälligkeit.

Der Österreicher Johann Prader arbeitet seit 25 Jahren beim Internationalen Währungsfonds in Washington und leitet seit November 2012 eine neu geschaffene zentraleuropäische Stimmrechtsgruppe. Darin sind neben Österreich auch die Türkei, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Kosovo, Tschechien und Weißrussland vertreten.

KURIER: Zwischen EU-Ländern und der Türkei ist das Verhältnis gespannt. Warum ist die Türkei in dieser Gruppe auch vertreten?

Johann Prader: Wir vollziehen nur nach, was in der Investmentstrategie der Banken passiert. In deren Portfolio „Zentral- und Osteuropa“ ist die Türkei dabei. Wenn Sie die Bewegung der Wiener Börse anschauen, dann hat noch vor den Erschütterungen 2008 jedes Problem der Türkei auch Wien bewegt.

Wie ist die externe Sicht auf Österreich?

Österreich zählt zu den 25 Ländern, wo der Bankensektor so relevant ist, dass er Auswirkungen auf die Weltfinanzwirtschaft haben kann.

Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugmann hat 2009 vor einer möglichen Pleite Österreichs wegen des Banken-Ostrisikos gewarnt. War das falsch?

Wenn Sie überlegen, was sich auf den Finanzmärkten damals abgespielt hat, war es nichts Neues. Das wurde zu sehr hochgespielt.

Wäre ein Staatsbankrott Österreichs realistisch gewesen?

Nein, aber Möglichkeiten gibt’s immer, wenn man ein bestimmtes Ausmaß an Staatsverschuldung hat und gleichzeitig Garantien für die Banken abgibt, die der Steuerzahler tragen muss.

Ist Osteuropa für Österreich mehr Risiko oder mehr Chance?

Österreich hatte in der Vergangenheit einen ungeheuren Erfolg in der Region. Profit ohne Risiko gibt es aber nicht. Seit 2008 ist das Risiko natürlich gestiegen. Ökonomen und Beamte schauen auf das Risiko, doch Unternehmer leben vom Risiko. Österreich profitiert davon, dass es Leute gibt, die über ihr Land hinausgehen.

Nun hat sich die Situation in Osteuropa wieder stabilisiert.

Ja, aber solange die Eurozone stagniert, so lange besteht ein Risiko für Osteuropa und alle, die dort engagiert sind, weil osteuropäische Länder vom Export nach Westeuropa abhängig sind.

Wobei die meisten dennoch höhere Wachstumsraten aufweisen als „alte“ EU-Länder.

Ja, sicher, weil die Arbeitskosten niedriger sind. Aber es gibt auch ein politisches Risiko, etwa in der Ukraine oder in Ungarn. Dort ist es durch die EU-Mitgliedschaft aber gemildert.

Was muss geschehen, damit die Krise in der Eurozone bewältigt wird? Fürs Erste hat jetzt die EZB die Geldschleusen geöffnet.

Man muss Fortschritte wie bei der europäischen Bankenunion und der fiskalpolitischen Integration weiter ausbauen und darf nicht in Selbstgefälligkeit verfallen.

Nach der Finanzkrise kommt Pensionskrise
Interview Johann Prader am 04.02.2013 in Wien

Der IWF hat vor Kurzem gemeint, man habe die Folgen der harten Spar-Auflagen – dramatisch steigende Arbeitslosigkeit – unterschätzt. War das eine Kurskorrektur?

Kurskorrektor würde ich nicht sagen. Bedenken Sie, dass der IWF eine Institution mit Hauptquartier in den USA ist. Daher sind die wirtschaftspolitischen Ansichten der US-Debatte nicht ohne Auswirkungen auf den IWF.

Waren die Auflagen zu hart für die europäischen Krisenländer?

Das Problem mit Griechenland ist , dass Länder wie Lettland viel höhere Sparanstrengungen gemacht haben. Vor allem vor Wahlen sind nicht einmal Steuern eingehoben worden.

Die Spar-Auflagen waren also nicht zu hart?

Wenn Sie anschauen, was Europa für Griechenland getan hat, nein. Europa hat 120 Milliarden in eine Wirtschaft gesteckt, die nur 180 Milliarden wert ist.

War das ein Fehler?

Würde ich nicht sagen. Hätte man Griechenland aus der Eurozone entfernt, wären die Auswirkungen auf die Finanzmärkte wahrscheinlich größer als die Kosten der Durchfinanzierung.

Zahlen für die Krise jetzt nicht alle Sparer, auch in Österreich? Deren Geld schrumpft durch niedrige Sparzinsen.

Die Frage ist, wie man mit hoher Staatsverschuldung umgeht. Alle reden über die Eurokrise, aber auch die Amerikaner haben ein Schuldenproblem.

Geht der Schulden-Abbau in Österreich rasch genug?

In der Vergangenheit hätte der IWF gesagt, es geht nicht schnell genug. Das hat sich geändert. Der Kurs ist in Ordnung – weil Österreich innerhalb Europas zu den wenigen Ländern zählt, wo nur ein milder Konsolidierungskurs erforderlich ist.

Die Ratingagentur Fitch hat uns aber erst kürzlich attestiert, zu den zehn am meisten gefährdeten Ländern bezüglich hoher Pensionslasten zu zählen.

Es gibt Studien, wonach die Pensions- und Gesundheitskrise auf die G7-Länder vier Mal so große Auswirkungen haben wird wie die Finanzkrise. Die wachsenden Kosten für das Gesundheitswesen werden unterschätzt. Eine Finanzkrise dauert laut Experten rund sieben Jahre. Danach kommt langfristig die Pensionskrise.

Wir sind erst in der Mitte der Finanzkrise und dann folgt die Alterungskrise?

Unter Ökonomen ist das derzeit Standardweisheit.

Und ist diese auch in Österreich angekommen?

Österreich hat sein eigenes Mikroklima. Offensichtlich haben viele Leute für sich den Schluss gezogen, dass es besser ist, früher in Pension zu gehen. Aber jede einzelne Entscheidung verschärft das Problem für alle. Trotz vieler Reformen erhöht sich das Pensionsalter kaum. Historisch betrachtet, hat Österreich Erfahrung mit Pensionskrisen. Es war das erste Land, das in den Zwanzigerjahren ein Stabilisierungsprogramm des Völkerbundes für die Nachfolgestaaten der Monarchie hatte. Das verschärfte sich, weil Österreich der Handel mit Deutschland verboten war.

Also Ja zur Globalisierung?

Zu glauben, dass in Österreich ohne Globalisierung alles besser wäre, ist eine Riesen-Illusion. Zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts hängen von der Exportnachfrage ab. Man muss sich vorstellen, wie arm Österreich wäre, wenn es unter den Bedingungen der Handelssysteme und der geschrumpften Märkte der Zwischenkriegszeit agieren müsste. Leider herrscht nicht nur in Österreich die ganz große Gefahr des zunehmenden Nationalismus und Protektionismus.

Von welchen Ländern könnte man lernen?

Wenn Sie die Erfinder des Wohlfahrtsstaates, die Schweden betrachten, dann haben diese schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren große Krisen und Veränderungen durchgemacht.

Und zum Beispiel ihr Pensionssystem verändert.

Ja, Österreich und einige Länder in Kerneuropa sollten die nordischen Länder studieren. Aber das ist schwierig, wenn es allen Leuten so gut geht. Den Sozialstaat anzupassen, wäre hierzulande Sache der Sozialpartnerschaft. Das ist eine Stärke Österreichs.

Erleben wir gerade einen Tanz auf dem Vulkan?

Das Leben ist immer gefährlich (lacht). Die Krise ist noch nicht vorbei. Die Märkte unterschätzen momentan das Risiko, wodurch der Druck auf die Politik sinkt. Die Zeit jetzt muss aber für Reformen genützt werden.

Erst im vergangenen Jahr wurde in der Wiener Hofburg die Bildung einer Zentral- und Osteuropäischen Stimmrechtsgruppe im Internationalen Währungsfonds (IWF) besiegelt. Leiter dieser CEE-Gruppe ist der „Währungsfonds-Veteran“, der Innviertler Johann Prader. Der 61-jährige lebt seit einem Vierteljahrhundert in Washington, kommt aber regelmäßig beruflich nach Wien.

Türkei übernimmt

Österreichs Stimmrechtsanteil im IWF beträgt 0,9 Prozent, die Gruppe hält nun gemeinsam 3,4 Prozent. Prader führt den Vorsitz für insgesamt zwei Jahre. Danach geht die Leitung an die Türkei.

Warum wurde gerade er zu einem der 24 IWF-Direktoren gekürt? „Weil ich, wie man im Englischen sagt, ein ,old war horse‘ bin und allein in meiner Ländergruppe hunderte Minister und Gouverneure erlebt habe“, sagt er. Den neuen Job betrachtet er als „Modell für Kooperation, Toleranz und Respekt“. Es sei eines der wichtigsten Signale Österreichs an die Nachbarstaaten, aufgrund der Stärke des Bankensystems nicht auf Dominanz zu setzen, sondern, „dass wir alle das gemeinsame wirtschaftliche und finanzielle Interesse der Region im IWF, der wichtigsten Institution des Finanzsystems, vertreten. Er habe im IWF schon oft die Erfahrung gemacht, dass es nicht auf Stimmrechtsanteil und Macht ankomme, sondern darum, ob jemand Ideen und Vorstellungen habe.

„Ich bin eine Stimme der Mäßigung und versuche die Dinge in die richtige Proportion zu rücken.“ Manchmal würde die Lage hoffnungslos erscheinen, aber „wir müssen miteinander Geduld haben“.

Nach der Finanzkrise kommt Pensionskrise

Kommentare