"Husband Stitch": Entmündigung bei der Entbindung

Frauen sind weltweit von Grenzüberschreitungen bei der Geburt betroffen.
Frauen schildern auf einer Gesundheitsplattform, dass die Naht ihres Dammschnitts nach der Geburt bewusst enger gesetzt wurde. Damit machen sie auf eine entmündigende medizinische Praxis nach der Entbindung aufmerksam.

Bei Entbindungen kommt es immer wieder zu Dammschnitten. Dabei wird der Genitalbereich der Frau mit einer Schere aufgeschnitten. Meist wird auf eine Presswehe gewartet, bevor zum Schnitt angesetzt wird. Die medizinische Praktik ist nicht unumstritten. Aktuell sorgt der sogenannte "Husband Stitch", bei dem die Scheide der Frau nach dem Dammschnitt bewusst enger genäht wird, für Empörung bei Patientinnen und Ärzten.

Erfahrungsberichte

Im Gespräch mit der Gesundheitsplattform Healthline berichten mehrere Frauen über ihre Erfahrungen damit. Sarah Harkins schildert, dass ihr Arzt den "Husband Stitch" nach ihrer Niederkunft im Jahr 2005 anwandte. Ziel der Prozedur: Die Verengung der Scheide für mehr sexuelle Befriedigung beim Mann. Harkins zufolge hätte der Mediziner die Naht, die ohne ihr Einverständnis enger gesetzt wurde, gegenüber ihrem Ehemann mit den Worten "Lass uns noch einen Faden durchziehen, damit wir sicherstellen, dass es schön eng ist" kommentiert. Angela Sanford erzählte der Plattform von einem ähnlichen Erlebnis. Die 36-Jährige bemerkte die enge Naht zunächst aber nicht. Erst nachdem sie jahrelang unter Schmerzen beim Sex litt, wurde sie von einer Hebamme darauf aufmerksam gemacht.

Kein Mythos

Gynäkologin Sheila F. Newman bestätigt im Interview mit dem Independent, dass es sich beim "Husband Stitch" keinesfalls um einen Mythos handelt und warnt vor den Folgen für die Frau: "Wenn die Naht zu eng gemacht wird, kann das starke Schmerzen beim Geschlechtsverkehr mit sich ziehen." In seltenen Fällen sei auch sie schon darum gebeten worden. Derartige Anfragen habe sie jedoch immer kategorisch abgelehnt.

Grenzüberschreitungen im Kreißsaal

Der "Husband Stitch" ist nur ein Beispiel dafür, welche gewaltvollen Grenzüberschreitungen Frauen im Kreißsaal erleben. Offizielle Statistiken, wie viele Gebärende betroffen sind, gibt es nicht. Die mit der UNO vernetzte Organisation Human Rights in Childbirth schätzt, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Frauen bei der Geburt physische oder psychische Gewalt - und in weiterer Folge Traumatisierungen - erleben. Im konkreten Fall hat die medizinische Praxis gravierende Folgen für das Sexualleben der Mutter. Von der Objektivierung, Entwürdigung und Bevormundung, die die Frau dabei erfährt, ganz zu schweigen.

Auch der Dammschnitt selbst, vorausgesetzt er wird ohne medizinischen Grund (unter anderem: Gefahr für die Gesundheit des Kindes, bestehende Vernarbungen am Damm, Saugglocken- und Zangengeburt) durchgeführt, ist ein Beispiel für gewaltvolle Übergriffe, die Frauen bei der Geburt erleben. Bei Geburten im Krankenhaus ist laut der Bürgerinitiative Geburtsallianz Österreich je nach Spital mit einer Dammschnittrate von bis zu 40 Prozent oder mehr zu rechnen. Vor 15 Jahren lag der Prozentsatz noch bei 80 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält eine maximal fünf- bis zehnprozentige Dammschnittrate als rechtfertigbar, wobei die Empfehlung ist, dass die Klinik bestrebt sein sollte, diese Rate weiter zu senken.

Geteilte Expertenmeinung

Ob Dammschnitte medizinisch gesehen notwendig sind, wird in Expertenkreisen seit geraumer Zeit diskutiert. Während die einen der Meinung sind, dass ein Schnitt besser verheilt als ein Einriss, gehen andere davon aus, dass die Chancen auf Heilung am besten sind, wenn das Gewebe ohne Außeneinwirkung reißen darf. Dammschnitte müssen in jedem Fall genäht werden und verursachen oft mehr und länger andauernde Schmerzen beim Sitzen, Stehen, Tragen und Bewegen. Auch Monate und Jahre später können Frauen den Dammschnitt beim Sport, Schwitzen, Tragen des Kindes, bei Hitze oder beim Sex spüren.

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