Warum denn das?
Gegen Ende der Vorbereitung hat es mich richtig gefuchst. Ich habe in dieser Zeit viel Selbstvertrauen verloren und war dann auch ziemlich verwirrt.
Was hat Sie so verwirrt?
Ich war so verwirrt, weil im Sommer noch alles perfekt war, und dann hat auf einmal gar nichts mehr funktioniert. Ich war im Training weit weg, ohne dass ich genau gewusst hätte, warum. Das Skispringen ist mir sehr, sehr schwergefallen. Von fünf Sprüngen sind vielleicht zwei gelungen, der Rest war zum Vergessen. Das nagt am Selbstvertrauen. Und diese Sicherheit habe ich erst wieder finden müssen.
Sie sind der beste Skispringer der vergangenen zehn Jahre. Warum hat jemand wie Sie Selbstzweifel?
Nach einer erfolgreichen Saison wie der letzten ist es immer schwierig. Was verändert man? Wo wagt man einen Schritt? Was bewahrt man sich? Da kann man leicht einmal falsch abbiegen. Ich habe viel getüftelt beim Material und hoffe, dass ich die letzten kleinen Fragezeichen in ein Rufzeichen umwandeln kann. Jetzt ist es aber sowieso vorbei mit dem Ausprobieren und Testen, jetzt wird skigesprungen.
Sie sind Vierter im Weltcup, das ist aber schon Jammern auf allerhöchstem Niveau.
Das stimmt. Ich bin ohne grandiose Sprünge vorne dabei und weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es fehlt im Moment vielleicht noch die letzte Stabilität, dass ich einen Sprung nach dem anderen runterklopfen kann. Wenn alles passt, dann wird auch der Einser wieder aufleuchten. Es muss nur noch der letzte Knopf aufgehen.
Reicht da bei Ihnen womöglich ein einziger Sprung, um wieder in diesen berühmten Flow zu kommen?
Bei mir genügt ein Aha-Erlebnis, ich muss es nur spüren, dann geht’s dahin. Das weiß ich aus der Vergangenheit. Da braucht es oft wirklich nur den einen Sprung und du hast das Gefühl in dir. Und dann kann man dich zu jeder Uhrzeit über die Schanze schicken und es wird klappen.
Der Fokus ist bei dieser Tournee ausnahmsweise einmal nicht auf Sie gerichtet, sondern auf die Teamkollegen Jan Hörl und Daniel Tschofenig. Ist das eine angenehme Situation?
Natürlich ist es viel cooler, wenn das ganze Team gut drauf ist und einen Lauf hat. Schon allein für das Klima innerhalb der Mannschaft. Zugleich gebe ich zu, dass ich nicht glücklich bin, wenn drei Kollegen besser sind als ich und ich nur Zwölfter werde. Da bringt mir selbst das starke Team dann nichts, weil wir natürlich ein Einzelsport sind. Am liebsten ist mir, wenn der Einser bei mir aufleuchtet.
Was bedeutet diese mannschaftliche Stärke der Österreicher für die Tournee?
Die Ausgangsposition ist mega, viele von uns können die Tournee gewinnen. Der Druck verteilt sich heuer auf mehrere Schultern. Mich persönlich hat das aber nie wirklich gestört, dass ich in den letzten Jahren bei der Tournee immer im Fokus gestanden bin. Ich brauche sogar diesen Druck, um meine besten Sprünge zu zeigen.
Die Nervosität beflügelt?
Ich mag das Gefühl, wenn ich so aufgeregt bin. So sind meine Sinne noch mehr geschärft und ich kann das Letzte aus mir rauskitzeln. Die Nervosität hindert mich nicht, Leistung zu zeigen, sie tut mir gut. Das Kribbeln ist noch immer so intensiv wie bei meiner ersten Tournee.
Ist es ein Vorteil, dass Sie die Tournee schon einmal gewonnen haben?
Ich bin froh darüber, weil man in den letzten Jahren gesehen hat, wie schwierig es ist, in Bischofshofen vorne zu sein. Gute Sprünge allein reichen ja bei der Tournee nicht. Du brauchst Windglück, du musst gesundheitlich bis Bischofshofen durchkommen, du darfst dir praktisch keinen Fehler erlauben.
Wie war das denn bei Ihrem Tourneesieg?
Die Ausgangssituation war damals ähnlich wie jetzt: Ich war im Weltcup immer vorne dabei, gewonnen haben aber immer die anderen. Ich war nicht der große Favorit, aber mit dem Start in Oberstdorf war ich dann auf der Welle. Da hat es klick gemacht und auf einmal hatte ich einen Lauf. Vom Gefühl her ist es dann einfach von selbst gegangen.
Was unterscheidet den Stefan Kraft von damals vom Stefan Kraft von heute?
Damals war meine Unbekümmertheit viel größer, dafür habe ich jetzt die Erfahrung. Mir ist in den letzten zehn Jahren bei der Tournee so viel passiert, dass ich keinen Fehler zwei Mal mache.
Von welchen Fehlern sprechen Sie?
Ich habe sicher das eine oder andere Mal zu viel gewollt und mich zu sehr unter Druck gesetzt. Ich hatte oft im Kopf: Oberstdorf ist meine Schanze, da muss ich gleich gewinnen. Heute weiß ich: Wenn es in Oberstdorf vielleicht nicht ganz nach Wunsch klappt, dann muss ich nicht in Garmisch hinterherrennen und alles zerreißen. Es dürfen bei der Tournee Fehler passieren, es braucht nicht zwingend die perfekten Sprünge, sondern vor allem einen guten und mutigen Zugang.
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