Skisprung-Star Kraft: "Manchmal wäre ich gerne noch 22"
Er ist Serienweltmeister und Skiflugweltrekordler. Er hat drei Mal den Gesamtweltcup gewonnen und eine Trophäensammlung wie kaum ein anderer Skispringer. Stefan Kraft (31) ist ein fliegender Superlativ.
KURIER: Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie gut Sie sind?
Stefan Kraft: Manchmal kann ich es fast selbst nicht glauben, was ich schon alles erreicht habe. Je älter ich werde, umso mehr realisiere ich es auch, weil ihr Journalisten immer wieder neue Statistiken und Zahlen heraussucht. Das macht mich schon ein bisschen stolz, weil es nicht viele Skispringer gibt, die das geschafft haben. Ich wollte als kleiner Bub immer einer der besten Skispringer der Welt sein. Jetzt bin ich es.
Vor allem sind Sie schon seit einem Jahrzehnt immer ganz vorne. Wie ist das möglich?
Gute Frage. Uns wird es nämlich echt schwer gemacht, jedes Jahr auf dem höchsten Level zu sein. Ständig gibt es Veränderungen beim Material und beim Regelwerk. Kaum hast du ein gutes Set-up gefunden, dann kommt wieder etwas Neues daher.
Stefan Kraft (*13.5. 1993) ist der beste Skispringer der Gegenwart. Seit einem Jahrzehnt prägt der Pongauer den Skisprungsport
Großereignisse
Kraft ist dreifacher Einzel-Weltmeister (2017/2017/2021). Mit dem Team wurde er 2022 in Peking Olympiasieger. 2014/’15 gewann er die Vierschanzentournee, dazu kommt noch Gold bei der Skiflug-WM heuer am Kulm-
Weltcup
Der Salzburger gewann drei Mal die große Kristallkugel (2017, 2020, 2024) und feierte 43 Weltcupsiege. Damit liegt er in der ewigen Bestenliste an dritter Stelle. Auf Rekordmann Gregor Schlierenzauer (53) fehlen noch zehn Erfolge.
Kraft kann im Weltcup 118 Podestplätze vorweisen. Kein anderer Springer landete häufiger auf dem Podium.
Skiflugweltrekord
253,5Meter segelte Kraft im März 2017 in Vikersund und hält damit den Skiflugweltrekord.
Das muss frustrierend sein.
In den letzten Jahren gab es ständig andere Anzüge. Sie haben mir meine Keile für die Schuhe weggenommen. Dann haben wir plötzlich kürzere Ski gebraucht, ein anderes Mal musste ich Gewicht zulegen. Ich habe wirklich oft umlernen müssen und schon viel mitgemacht.
Aber offenbar hat Sie nichts aus der Bahn geworfen. Stefan Kraft schwebt permanent auf Wolke sieben.
Weil meine Grundtechnik so stabil ist, dass ich nicht so angreifbar bin. Meine Art des Skispringens funktioniert auf vielen Schanzen und bei vielen Bedingungen. Trotzdem muss ich jedes Jahr meine Technik verfeinern.
Stellt sich bei Ihnen kein Sättigungsgefühl ein?
Wenn ich drei Tage nichts trainiere, dann werde ich unrund. Dann sagt meine Frau: ,Beweg dich, bitte und mach’ was!’ Ich schinde mich gerne in der Kraftkammer, Trainieren fällt mir nicht schwer.
Was ist dabei Ihr Antrieb?
Ich will die Hymne hören.
Sie wollen die Hymne hören?
Das gibt mir so viel. Und da ist es mir auch wurscht, ob es ein Sommer-Grandprix wie vor zwei Wochen in Courchevel ist oder im Winter. Oben zu stehen, die Hymne zu hören, mitzusingen, dieses Gefühl ist genial. Dafür lebe ich.
Weil es Emotionen sind, die man im Alltag in dieser Form nicht erleben kann?
Wahrscheinlich. Das sind schon sehr spezielle Momente. Wenn du bei der Tournee im zweiten Durchgang als Letzter oben sitzt und unter riesigem Druck stehst. Und dann schaffst du es, diesem Druck standzuhalten und deine Leistung abzurufen. Und dann fährst du unten aus und 20.000 Leute jubeln dir zu. Für diese Moment trainiere ich. Und dafür verzichte ich auch auf viel.
Nehmen Sie die Karriere bewusster wahr. Können Sie mehr genießen?
Ich sauge die Emotionen heute sicher mehr auf. In der Hinsicht hilft mir die Routine. Trotzdem wäre ich manchmal sehr gerne noch einmal 22.
Warum das?
Damals hat mir nichts wehgetan und ich habe nicht überlegen müssen, ob ich beim Aufwärmen zwei oder vier Sätze Volleyball spiele. Die Mischung wäre ideal: Die Erfahrung von heute und die Unbekümmertheit von früher. Ich genieße die Erfolge sicher bewusster, weil man ja auch nie wissen kann, ob es nicht vielleicht der letzte Sieg der Karriere war.
Verspüren Sie heute mehr Druck als früher? Von Ihnen werden ja nur Siege, Erfolge und Rekorde erwartet.
Im Sommer bin ich immer relativ locker. Aber kaum kommt der Winter, dann beginnt das Kribbeln. Mir kommt ja fast vor, dass ich jedes Jahr noch aufgeregter und nervöser werde. Aber diesen Druck brauche ich: Da kommen bei mir normalerweise die besten Sprünge heraus.
Apropos Druck: Sie trennen noch zehn Weltcupsiege vom Rekord von Gregor Schlierenzauer. In der letzten Saison haben Sie 13 Springen gewonnen. Fällt im nächsten Winter also der Rekord?
Ich sehe den Rekord vom Schlieri im Moment nüchtern und die 53 Siege sind auch sehr weit weg. Wobei ich natürlich hoffe, dass es irgendwann einmal zum Thema wird. Mein vorrangiges Ziel ist es, dass ich in den nächsten Jahren einer der besten Skispringer der Welt bleibe. Und dann kommen die Stockerlplätze und Siege von alleine.
Sie haben von den nächsten Jahren gesprochen. Heißt das, Sie verfolgen langfristige Pläne?
Zwei Jahre springe ich auf jeden Fall noch weiter. Und wenn ich sehe, dass andere auch noch mit 37 und noch älter richtig gut springen, dann kann ich mir gut vorstellen, dass es länger geht.
Machen Sie sich auch schon Gedanken über die Zeit nach der Karriere?
Natürlich rede ich immer wieder einmal darüber. Aber richtig glücklich macht mich das nicht.
Was können Sie noch richtig gut außer Skispringen?
Ich glaube, ich könnte gut jungen Sportlern etwas weitergeben und ihnen vermitteln, worauf es im Spitzensport ankommt. So eine Berater- und Betreuerrolle im Skispringen würde mir schon taugen, vielleicht auch als Kommentator oder als Personaltrainer. Ich sehe meine Zukunft jedenfalls im Sport.
Im Gegensatz zu etlichen anderen Sportlern werden Sie sich keine Existenzsorgen machen müssen. Empfinden Sie das als Privileg?
Es ist ein wunderschönes Zuckerl, dass ich nach dem Skispringen keinen Stress habe und mir wirklich die Aufgabe suchen kann, die mir richtig Spaß macht und worin ich aufgehe. Und ob es dann einen Tausender im Monat abwirft oder 2.000 Euro, das ist nicht so wichtig. Hauptsache ich finde etwas, wofür ich brenne. Das wird eh schwer genug nach dem Skispringen.
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