ÖSV-Superstar Kraft: "210 Meter machen mich nicht mehr glücklich"
Der 30-jährige Salzburger ist bei der Skiflug-WM der Favorit auf WM-Gold. Warum Kraft der Usain Bolt der Lüfte ist und dennoch immer wieder Angst beim Fliegen verspürt.
2013, mit noch 19 Jahren, absolvierte Stefan Kraft in Oberstdorf seinen ersten Skiflug. 2016 holte er WM-Bronze am Kulm, im März 2017 stellte er den noch immer geltenden Weltrekord von 253,5 Metern in Vikersund auf, 2022 holte er dort wieder WM-Bronze.
Mit 30 Jahren ist der Salzburger nach sieben Siegen in den 14 Weltcupbewerben der Saison der große Favorit auf WM-Gold am Kulm. Dort, wo er im Jahr 2020 den ersten Sieg auf österreichischem Boden gefeiert hatte – er hält bei 37 Weltcuperfolgen und drei WM-Titeln im Einzel.
KURIER: Welche Bedeutung hat es für Sie, der Mensch zu sein, der am weitesten geflogen ist?
Stefan Kraft: Vor diesem Flug in Vikersund war der Weltrekord eigentlich nie so richtig in meinem Fokus. Wobei ich davon schon immer fasziniert war. Als Kind habe ich mir sicher Hunderte Male auf YouTube die Weltrekordflüge von Janne Ahonen und Björn Einar Romören angesehen. Es ist schön und cool, dass ich da jetzt daher komme, wenn man Skijumping und World Record eingibt.
Sie verspüren also schon einen gewissen Stolz?
Seit ich damals die 253,5 gesprungen bin und gesehen habe, wie alle rundherum ausgeflippt sind, habe ich erst realisiert, dass das etwas Besonderes ist. Da ist keiner neidisch. Der Weltrekord hat in unserem Sport einen enormen Status, so wie in der Leichtathletik der 100-Meter-Weltrekord einen besonderen Status hat.
Die Anspannung ist schon deutlich größer als sonst. Da kannst du noch so viel Erfahrung haben. Gerade vor dem ersten Flug im Winter bin ich immer noch sehr aufgeregt. Da ist dann sogar ein bisschen Angst dabei. Das ist aber auch das Schöne: Weil wenn du dann den ersten Flug hinter dich gebracht hast, dann weißt du: Ja, es fliegt wieder, es passt wieder. Von diesem Moment an freust du dich richtig auf den nächsten Flug und kannst es kaum erwarten, wieder rauf auf die Schanze zu kommen.
Muss man denn beim Skifliegen etwas anders machen als beim herkömmlichen Skispringen?
Im besten Fall nicht. Ich versuche normal nichts anders zu machen, als auf einer Großschanze. Skifliegen ist kein Sport für Experimente.
Ab wann bekommen Sie mit, dass ein Flug weit geht?
Zwischen 50 und 100 Metern weißt du dann schon, wo die Reise hingeht. Du spürst, ob du auf der Welle drauf bist oder ob du die Luft eher vor dir her schiebst.
Was passiert genau auf dieser Welle?
Wenn du beim Skifliegen diese Welle erwischt, dann hebt es dich unten am Hang noch einmal weg. Das fühlt sich an, als ob dich jemand noch einmal am Rücken nach oben zieht. Ob es dann 230, 240 oder 250 Meter weit geht, merkst du dann aber erst zum Schluss.
Was spüren Sie in der Luft?
Man ist viel schneller, du kommst um 10 bis 15 km/h schneller zum Schanzentisch, in der Luft ist der Druck damit auch viel größer. Dir fliegen die Ski meistens um die Ohren. Bei Springern wie Domen Prevc ist der Kopf beim Skifliegen 20 Zentimeter unterhalb der Ski.
Ist Skifliegen für Sie Genuss?
Wenn man auf der Welle oben ist, dann fliegt man oft von selbst. Das ist dann schon ein unbeschreibliches Gefühl und ein echter Genuss. Wobei ich sagen muss: 210 Meter machen mich inzwischen nicht mehr glücklich. Ab 220, 225 Meter wird’s cool. Skifliegen ist die Champions League des Skispringens.
Wie oft haben Sie ihren Weltrekordflug angesehen?
Ich schau’ ihn mir schon einige Male im Jahr an. Vor allem immer auch dann, wenn es nach Vikersund geht als Einstimmung auf die Schanze. Ansonsten zeige ich den Weltrekordflug gerne Leuten, die mit Skispringen nicht so viel am Hut haben. Ich selbst muss ihn mir nicht so oft ansehen, weil in meinem Kopf alles noch so präsent ist.
Apropos Weltrekord: FIS-Renndirektor Ivo Pertile hat Pläne, die Flugschanzen vergrößern zu lassen, um den Weltrekord in die Höhe zu treiben.
Die 253,5 Meter müssen nicht das Ende sein, ich bin immer dafür zu haben, wenn es weiter geht. Man müsste halt die Schanzen entsprechend umbauen. Ich glaube, dass es schon 20, 30 Meter weiter gehen könnte, wenn die Anlagen passen.
Körperlich wäre das kein Problem?
Wir haben einmal unter den Springern diskutiert, ob dann wirklich mehr Druck zusammen kommen würde. Man muss sich aber sowieso langsam steigern, man wird jetzt nicht gleich eine 300-Meter-Schanze bauen. Grundsätzlich hinterlässt das Skifliegen körperlich Spuren. Du verlierst über die Tage an Gewicht, du spürst es in den Haxn, die immer schwerer werden.
Als Weltrekordhalter sind Sie bei der Skiflug-WM zwangsläufig der Gejagte: Verspüren Sie einen Druck?
Ich gehe sicher mit breiter Brust in den Bewerb, weil bei mir in diesem Winter springerisch alles passt. Leider habe ich meine Trainingspläne ein bisschen umschmeißen müssen, weil ich seit der Tournee ein bisschen krank war. Es spricht aber nichts dagegen, dass ich am Kulm gute Flüge zeige.
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