Ski-Zukunftsforscher: "Skifahren hat ein grandioses Imageproblem"
Ist Skifahren zu teuer geworden? Hat das Skifahren eine Zukunft? Der Tiroler Skitourismusforscher Günther Aigner beschäftigt sich mit der Zukunft des Skifahrens.
KURIER: Ist Skifahren denn Schnee von gestern?
Ganz und gar nicht. Dass wir aber glauben, es sei Schnee von gestern, sagt viel über unsere Gesellschaft aus. Wir wissen, dass sich das Klima wandelt. Das ist Fakt. Zugleich habe ich das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft einen Trend zur Akzeleration gibt – und der ist ungesund. Wir neigen zu hysterischen Übertreibungen.
Woran machen Sie das fest?
Es ist Fakt, dass sich das Klima wandelt. In 30 Jahren werden wir zum Beispiel in Tirol weniger Schnee haben als heute. Die Winter werden kürzer sein als heute. Aber deshalb zu glauben, man könnte in 30 Jahren nicht mehr Skifahren und es würde nie wieder schneien, – das sind völlig absurde Vorstellungen.
Woher rührt dieser Pessimismus?
Das ist eine gute Frage, die ich so nicht beantworten kann. Aber ich finde es spannend, darüber zu reden. Ich unterrichte an der Fachhochschule Kufstein und frage zwei Mal im Jahr junge Studenten, um wie viele Höhenmeter die Schneegrenze bis ins Jahr 2050 steigen wird. Die richtige Antwort wäre maximal 200 Meter.
Und was bekommen Sie zu hören?
Die mittlere Antwort der letzten Gruppe, die ich befragt habe, war 750 Meter. Das ist eine unglaubliche Einschätzung. Im Gespräch haben sich die Studierenden erstaunt gezeigt. Ich bin der Ansicht, dass sich hier die Übertreibungen in den Sozialen Medien widerspiegeln. Wir haben unter jungen Leuten zum Teil eine Endzeitstimmung, die mich erstaunt. Ehrlich gesagt macht mir dieser Zukunftspessimismus auch ein wenig Sorgen.
Hat das Skifahren auch ein Imageproblem?
Ja klar, natürlich. Salopp gesagt hat das Skifahren ein grandioses Imageproblem. Interessant ist dabei ja auch, wo es dieses Imageproblem vorrangig gibt.
Wo denn?
Vorwiegend im deutschsprachigen Raum. Wir in Mitteleuropa sind am strengsten mit und zu uns selbst und damit auch am strengstem zum Skifahren. Meine Kollegen in den Pyrenäen und in Italien sind von dieser Härte der Deutschsprachigen mit sich selbst immer erstaunt.
Woher kommt dieser teils negative Ruf? Skifahren findet in der Natur statt, es erzeugt positive Emotionen.
Das ist es ja. Ist das Skifahren wirklich so schlecht wie sein Image, oder haben wir hier einfach eine breite Schere zwischen der subjektiven Wahrnehmung und den objektiven Daten und Fakten? Ich vertrete die These: Die Vorstellung der Leute vom Skifahren sind verschoben von der Realität.
Wie sieht die Realität aus?
Ich könnte jetzt die Leser mit der Realität provozieren.
Zögern Sie bitte nicht.
Es gibt derzeit 135 Millionen Skifahrer weltweit. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der größte Skifahrer-Markt sind die USA mit 25 Millionen Skifahrern. Die USA hatten in den letzten zwei Jahren sogar zwei Rekordsaisonen hintereinander. Wenn man das aber im deutschen Sprachraum erzählt, dann ist das natürlich eine unglaubliche Provokation.
Eine Provokation?
Weil das ja nicht sein kann. Weil wir Deutschsprachigen ja wissen, dass die Skifahrer immer weniger werden und dass es diesen Sport in der Zukunft nicht mehr gibt. Diese Arroganz amüsiert mich, wie wir manchmal ohne mit der Wimper zu zucken, die globale Realität ignorieren. Dabei haben wir erst heuer erlebt, welche zeitlose Faszination das Skifahren und der Winter auf uns alle ausüben.
Sie sprechen vom den intensiven Schneefällen Anfang Dezember?
Dieser Wintereinbruch, den wir alle erlebt haben mit einem halben Meter Schnee in München hat uns neben all den Verkehrsproblemen vor Augen geführt, wie so eine Winterlandschaft ausschaut. In den Sozialen Medien habe ich gesehen, wie verrückt die Leute danach waren, Winteraufnahmen zu machen und diese Bilder zu teilen – und das allein zeigt mir, dass der Wintersport und das Skifahren eine zeitlose Faszination haben. Und eines darf man in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen.
Was denn?
Beim Skifahren geht’s ja vordergründig gar nicht ums Skifahren an sich. Natürlich ist das Dahingleiten auf Schnee etwas Wunderbares, aber es geht doch in Wahrheit vor allem darum, dass ich mich in einer grandioser winterlicher Naturkulisse bewege. Genau aus diesem Grund haben sich auch die Skihallen nie durchgesetzt. Weil Skifahren ohne dieses Naturerlebnis uninteressant ist.
Apropos Naturkulisse. Kritische Stimmen monieren gerne den Einsatz von Schneekanonen.
Auch da ist die Wahrnehmung unserer Gesellschaft diametral entgegengesetzt von der faktischen Realität. Die technische Beschneiung ist eines meiner Lieblingsthemen. Da sind so viele falsche Dinge im Umlauf.
Was ist so ein Irrglaube?
Meine Studierenden glauben häufig, die Schneekanonen laufen von Weihnachten bis Ostern permanent durch. Wenn ich sie mit der Realität konfrontiere, dass es nämlich nur eine Woche im Jahr ist, können die das fast gar nicht glauben. Und dann sage ich auch noch, dass das Wasser, das in die Schneekanonen kommt, trinkbar ist – auch dann noch, wenn es wieder rauskommt.
Die Studierenden sind ganz enttäuscht, dass da kein Plastik im Schnee ist und keine Chemie. Auch der CO2-Foodprint der technischen Beschneiung ist verschwindend gering. So wie jener des Railjets, der von Innsbruck nach Wien fährt. Viele Leute glauben außerdem, dass die beschneiten Skipisten im Sommer wie Mondlandschaften aussehen. Wenn ich bei Vorträgen Bilder zeige von den Blumenwiesen, dann kann man das kaum glauben. Die technische Beschneiung hat praktisch keinen Einfluss auf die alpine Flora und Fauna.
Vor welchen Herausforderungen steht das Skifahren?
Es findet definitiv eine Luxurisierung des Skifahrens statt. Seit über 30 Jahren steigen die Kosten für das Skifahren schneller an als die Löhne, Gehälter und Pensionen. Das ist Tatsache und das darf man auch nicht schönreden. Gleichzeitig ist aber auch die Qualität unserer Skigebiete überdurchschnittlich gestiegen.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Österreicher und die Einheimischen können sich das Skifahren immer weniger leisten. Gleichzeitig sind die Skigebiete in Westösterreich auf dem Weltmarkt vom Preis-Leistungsverhältnis her fast unschlagbar. Jene Skigebiete, die nur bei den Einheimischen fischen, haben es immer schwerer. Jene Skigebiete, deren Markt die ganze Welt ist, denen braucht nicht Angst und Bange sein, weil die Qualität und das Preis-Leistungsverhältnis dermaßen gut ist. Mit der Willkommenskultur, mit dem Knowhow, und, und, und – wir sind in dem Bereich mit Südtirol in der Pole Position.
Sie haben die Einheimischen angesprochen. Werden in Zukunft immer weniger Österreicher skifahren.
Wir haben einen gesellschaftlichen Wandel, wir haben Migration, die Gesellschaft wird heterogener. Die Gesellschaft hat sich über die die letzten Jahrzehnten mindestens so dramatisch verändert wie das Klima. Das dürfen wir nicht vergessen. Trotzdem sollten wir endlich aufhören, die Zukunft des Skifahrens nur am Klimawandel festzumachen. Wir werden auch in 50 Jahren noch Schnee haben.
Wie wird das Skifahren 2050 aussehen?
Ich glaube, dass es bei uns in der Breite der Gesellschaft abnehmen wird. Ich glaube, dass viele Skigebiete, die hauptsächlich für Einheimische da sind, es nicht überleben werden. Und ich glaube, dass viele klassische Skigebiete, die es seit 100 Jahren gibt, weiterhin Bestand haben. Die werden Menschen aus der ganzen Welt anziehen. Die technische Beschneiung wird großteils den weniger werdenden Naturschnee ersetzen. Da, wo der Naturschnee die Ausnahme ist, wo es diese bezaubernde Winterlandschaft nicht mehr gibt – diese Gebiete werden auch aus dem Markt ausscheiden. Ich glaube nicht, dass das Skifahren ohne Winterfeeling auf Dauer attraktiv ist. Grundsätzlich: Die Erwartung der Menschen, dass in 20, 30 Jahren in Tirol niemand mehr Ski fährt, wird sich nicht erfüllen. Das sind absurde Erwartungen, die dem Realitätscheck nicht standhalten. Das Skifahren wird’s bei uns noch lange geben.
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