Es war 2010, als die damals 18-Jährige mit ihrem Cousin das erste Mal snowboarden gegangen ist. Der Funke zwischen ihr und dem Brett ist sofort übergesprungen. Die Schülerin, die bisher "ein-zweimal pro Jahr am Berg" gewesen war, wollte nur noch snowboarden. "Ich hatte so viel Spaß daran und wollte so gut werden, dass ich mir leisten kann, so viel wie möglich zu snowboarden", erinnert sie sich. "Auch, weil mir der Lifestyle gefallen hat. Da ist viel Freiheit, die Leute sind locker und leben für etwas, das sie gern mögen."
Doch Gasser wollte an die Spitze. Sie googelte sofort die Wettkampfszene und schaute sich auf YouTube an, welche Tricks sie zu lernen hatte, um bei Bewerben mitzuhalten. Und – sie offenbarte ihren Eltern, dass sie jetzt nur noch snowboarden wollte. "Du bist verrückt", hat ihre Mama gesagt. Doch mit Sturheit, Willen und Überzeugungskraft hat die junge Anna Gasser ihrer Familie gezeigt, dass sie es ernst meint.
Heute versteht sie, dass Snowboarden schwer zu begreifen war für Menschen, die damit nichts zu tun hatten: "Ich glaube vor allem Eltern nehmen das nicht ernst, wenn man sowas ohne System macht." Viel mehr seien sie gewohnt, dass Sport in einem Verein, mit Trainer, ausgeübt wird. "Ich aber hab' am Anfang alles auf eigene Faust gemacht."
Anna Gasser dürfte eine gute Trainerin für sich selbst gewesen sein. Als 2012 ihr erster Preisgeld-Scheck im Zimmer lag, dämmerte es den Eltern langsam: "Oh, die kann das ja wirklich", hat Mama Gasser gedacht. Der Traum ihrer Tochter könnte tatsächlich wahr werden.
Botschafterin des Sports
Neun Jahre später ist Anna Gasser im ganzen Land bekannt – weil sie Snowboard fährt. Aber umgekehrt ist auch der Snowboard-Sport in Österreich bekannter geworden, weil es Anna Gasser gibt: "Sie hat es geschafft, dass Snowboarden laufend in den Medien ist", sagt ihr Freund Clemens Millauer in der Snowboard Doku "Anna Gasser – The Spark Within", die ab heute zu sehen ist (15.11., 22.30 Uhr auf ServusTV, Stream ab 16.11. auf auf Red Bull TV unter www.redbull.com/annagasser).
Weil die Kärntnerin FIS-Bewerbe en suite gewonnen hat, wurden auch Zeitungen und Fernsehen auf sie aufmerksam, die bis dato nicht viel über Freestyle Snowboarden zu berichten wussten. "FIS, Weltcup und Kristallkugel ist bei uns in Österreich so sehr eingeschweißt", sagt Gasser. Die sportlich wichtigeren Erfolge waren für sie aber jene, die den Mainstream-Medien in Österreich verborgen blieben: Medaillen bei X-Games, US-Open und Dew Tour, wo die internationale Snowboardelite unter oft perfekten Bedingungen gegeneinander antritt. Bei Weltcups sind nicht alle der besten Rider am Start. "Für mich sind diese Bewerbe mehr wert als ein Weltcup." Abgesehen vom Sportlichen ist für Gasser der größte Unterschied zu FIS-Bewerben die Atmosphäre. "Es ist freier und mehr wie früher. Es kommt einfach nicht darauf an, aus welchem Land man kommt."
Dass sie als Snowboarderin – zweimal – Österreichs Sportlerin des Jahres werden könnte, hätte sie sich davor nicht gedacht. "Es ist einer meiner größten Erfolge, dass der Sport ein bisschen mehr Anerkennung in Österreich gekriegt hat", sagt Gasser. "Die Leute haben nicht gedacht, dass das ein Sport, sie dachten, dass alle Snowboarder nur kiffen. Parkfahren und Springen war vielerorts gar nicht erwünscht. Jetzt wird es als Sport ernster genommen."
Mehrmals die Erste
Mit 30 ist sie noch lange nicht müde vom Snowboarden. "Ich hoff, ich kann das noch ein paar Jahre machen", sagt sie, "so lange es mir Spaß macht". Und so lange will sie auch immer weiter an ihren Tricks arbeiten: "Ich wollte mich nie auf meinem Können ausruhen", sagt die Olympiasiegerin. An anderen misst sie sich dabei nicht. Es gehe ihr auch nicht unbedingt ums Gewinnen. "Ich möchte einfach eine bessere Version von mir selbst werden." Damit hat die Kärntnerin "unabsichtlich" den Sport gepusht. "Wenn ich einen neuen Trick gemacht hab, sind viele andere nachgezogen. Und mittlerweile ist das Niveau schon so hoch, dass es für mich teilweise schwer ist, mit den Jungen mitzukommen."
Bei den Snowboard-Wettkämpfen wird es mittlerweile ernster – speziell in einer Olympia Saison. Der Lifestyle ist mittlerweile etwas in den Hintergrund gerückt. "Bei Bewerben ist es ein richtiger Leistungssport geworden", sagt Gasser, die sich bei manchen Nationen gar ans Turnen erinnert fühlt. "Teilweise sind die Gegnerinnen wirklich Kinder." Vor allem aus China und Japan kommen junge Athletinnen, sagt Gasser, "die den Sport nicht mehr wegen dem Lifestyle machen", sondern als Leistungssport, dessen Trainingsmethoden Gasser "fast ein bisschen an meine Turnvergangenheit erinnern". Die Zukunft des Wettkampf-Snowboardens hat nicht mehr viel mit dem Freigeist zu tun, der sie selbst einst motiviert hat, aufs Brett zu steigen.
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